Menschenrechte

Reichtum der Regierung: Usbekistans Baumwolle

von Umida Niyazova

Am 11. Dezember 2015 war es soweit: feierlich verabschiedete sich nach 13 Jahren das deutsche Bundeswehrkontingent von seiner Kaserne im usbekischen Termes. Ungefähr 300 deutsche Soldaten waren seit 2002 dort, an der Grenze zu Afghanistan, stationiert. Ein großer Teil des Nachschubes der deutschen ISAF-Truppen wurde über Termes abgewickelt.

Trotzdem weiß man in Deutschland wenig über Usbekistan, wo die Verfolgung von AktivistInnen, Folter und Zwangsarbeit zum Alltag gehören.

Usbekistans Baumwolle

Usbekistan ist einer der fünf größten Baumwollexporteure weltweit. Eine Milliarde Euro spült die Baumwolle jedes Jahr in die Wirtschaft des Landes. Dabei sehen die, die die Baumwolle pflücken, fast nichts von diesen Profiten. In Usbekistan pflückt kaum jemand freiwillig Baumwolle. Wer nicht zur Baumwollernte will, muss bezahlen. So macht sich die Zwangsarbeit für die wenigen, die mit der Baumwolle reich werden, doppelt bezahlt: die gezahlten Hungerlöhne von 3-4 Cent (in $) pro Kilogramm garantieren hohe Renditen. Wer sich von der Baumwollernte freikaufen will, muss Beamte bestechen. In der Folge blüht die Korruption. Bezahlen muss aber auch, wer die tägliche Norm nicht erfüllt. Und die liegt bei StudentInnen bei 50-60 Kilogramm pro Tag, bei Soldaten bei 100 Kilogramm.

Ein ausgeklügeltes Produktionssystem

3,5 Millionen Tonnen Baumwolle werden jedes Jahr in Usbekistan geerntet. Sofort nach Bekanntwerden des Erntebefehls durch den Premierminister versammeln die Behörden Chefs und AbteilungsleiterInnen aus staatlichen Behörden, Schulen, Krankenhäusern und verlangen von diesen, ihre Untergebenen für die Baumwollernte zu mobilisieren. Diese wiederum erlassen ebenfalls Befehle zur Entsendung ihrer MitarbeiterInnen zum Ernteeinsatz.

Nach Schätzungen unserer Menschenrechtsorganisation mussten im Herbst 2015 ungefähr 40 % aller ArbeiterInnen und Angestellten landesweit in die Baumwollernte. Manche Betriebe und Abteilungen mussten für die Zeit der Ernte gar ganz geschlossen werden, da alle Beschäftigten zur Ernte geschickt wurden.

In ihren Bemühungen, die Bevölkerung in die Baumwollernte einzubinden, sind die Behörden sehr erfinderisch. Wer seine Stromrechnung nicht bezahlt hat, muss mit einem Besuch eines Beamten rechnen. Entweder er gehe freiwillig zur Baumwollernte oder er müsse damit rechnen, dass man in seiner Wohnung den Strom abschalte, wird dem Mieter mitgeteilt. Weigert sich eine Firma, MitarbeiterInnen für die Baumwollernte zu mobilisieren, drohen ihr Schwierigkeiten mit den Finanzbehörden. Und dann kann sich die Firma vor Zwangsmaßnahmen nur noch retten, wenn sie ihre MitarbeiterInnen zur Ernte schickt. Eine Krankenschwester berichtete uns, man habe sie zu zwei schriftlichen Erklärungen genötigt: der Erklärung einer freiwilligen Beteiligung an der Baumwollernte und ein Entlassungsgesuch. Sollte sie bei der Baumwollernte nicht die geforderte Norm pflücken, drohte man ihr, werde man ihre Kündigung annehmen und dann müsse sie sich nach einer anderen Arbeit umsehen.

Erstmalig: Usbekistan lässt ILO-Experten ins Land

Das hatte es bisher noch nicht gegeben: erstmalig ließ die usbekische Regierung ExpertInnen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ins Land. Das Land war wegen Kinder- und Zwangsarbeit international in die Kritik gekommen. Und die internationale Kritik hatte etwas bewirkt. Seit 2014 werden Kinder nicht mehr im großen Stil in der Baumwollernte eingesetzt. Trotzdem sind uns Schulen bekannt, die während der Erntezeit geschlossen wurden, weil alle Kinder in den Baumwollfeldern waren.

In ihrem im November 2015 veröffentlichten Bericht gelangte die “International Labour Organization” zu der Erkenntnis, dass man bei der Baumwollernte 2015 weder von Kinder- noch von Zwangsarbeit sprechen könne.

Doch wie kommt die ILO zu diesem Ergebnis?

Sofort nach Bekanntwerden eines Kredites der Weltbank für die usbekische Landwirtschaft in Höhe von 500 Millionen Dollar 2015 war Kritik an der Maßnahme laut geworden. Deswegen beauftragte die Weltbank die ILO, den Vorwürfen nachzugehen.

Gemeinsam mit Beamten der usbekischen Regierung machten sich ILO-Experten während der Ernte 2015 auf den Weg zu den usbekischen Baumwollfeldern. Dass sämtliche Gespräche im Beisein von usbekischen Beamten stattfanden, schien bei der ILO niemanden zu stören. Dies hatte jedoch zur Folge, dass die ILO-ExpertInnen keine vertraulichen Gespräche mit den LandarbeiterInnen führen konnten. Jeder ILO-Experte wurde von mindestens drei Regierungsbeamten begleitet. Die Menschen in Usbekistan haben Angst. Niemand kann in Anwesenheit von Regierungsbeamten die Zwangsarbeit kritisieren. Vor diesem Hintergrund kann dieses ILO-Monitoring nicht mehr als unabhängig verstanden werden.

Und so bleiben in Usbekistan Zwangsarbeit und Sklaverei weiterhin fester Bestandteil der Landwirtschaft.

 

Aus dem Russischen: Bernhard Clasen

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Krisen und Kriege

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