Bundeswehr

Rekrutierungsoffensive der Bundeswehr und Widerstand

von Renate Wanie

Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 sorgt sich die Bundeswehr zunehmend um den Nachwuchs für die Laufbahn an der Waffe und intensiviert die Rekrutierung. Mit Großwandplakaten, „Mach, was wirklich zählt!“, wirbt die Bundeswehr seit 2015 offensiv für Nachwuchs – aktuell im Internet mit Videos, mit Abenteuer- und Spaßfaktor und Technikbegeisterung, vor allem aber mit Verdienstmöglichkeiten und Ausbildungsangeboten (z.B. für ein Studium ohne Numerus Clausus). Daneben finden die herkömmlichen Werbeveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen statt. Die tatsächlichen Realitäten der Auslands- und Kampfeinsätze werden ausgeblendet.

Allein von März bis April 2016 (verun)zierten 18.000 Großplakate der Bundeswehr die Werbeflächen der Republik. Im Jahr 2015 haben Personalwerbemaßnahmen über 35 Millionen Euro (1) verschlungen, um die Bundeswehr für junge Leute attraktiver zu machen. Motto: „Aktiv.Attraktiv.Anders.“. In diesem Zusammenhang plant das Verteidigungsministerium die Truppenstärke von derzeit 178.000 auf 185.000 im Jahr 2017 zu erhöhen („Frankfurter Rundschau“ vom  29.2.2016). Bis 2019 sollen die Verteidigungsausgaben von knapp 33 Milliarden Euro (2015) auf 34,2 Milliarden Euro im Jahr erhöht werden. Dies ist eine Politik der Aufrüstung – von der Kultur der Zurückhaltung Anfang der 1990er Jahre zur Enttabuisierung des Militärischen in der Außenpolitik hin zu Rekrutierungsoffensiven für eine „Armee im Einsatz“.

Die Werbemaßnahmen des „attraktive Arbeitgebers“
Da ist z.B. der „Tag der Bundeswehr“, der 2015 zum 60jährigen Bestehen der Bundeswehr erstmalig gefeiert wurde und dieses Jahr auf den 11. Juni fällt. Der Auftritt der Bundeswehr mit Big Band oder Luftwaffenmusikcorps, der „Tag der offenen Tür“ auf einem Kampfschiff in Wilhelmshaven usw. ist ein Versuch, die Bundeswehr in der Bevölkerung zu verankern. Der Gipfel dieser Werbemaßnahmen war im vergangenen Jahr die Umfunktionierung der Autobahn 49 zu einem 26 km langen Parkplatz  für die Besucher einer Großveranstaltung. Geboten wurden Flugvorführungen mit Kampfhubschraubern, Fallschirmspringer-Einsätzen und Vorführungen im militärischen Nahkampf. (2) Kosten für diese „attraktive Unternehmungen“: 2,375 Millionen Euro. 
Der Infostand der Bundeswehr auf der für sie bedeutendsten Bildungsmesse Didacta ist einer der größten Stände. Der zahlungskräftige Aussteller bietet täglich das Simulationsspiel POL&IS (Politik und Internationale Sicherheit) an; Lehrkräfte werden mit bundeswehreigenen Fahrzeugen zur Didacta gefahren. Gewinnspiele locken Interessierte, Inforeisen zur Deutschen Marine werden angeboten.
Mit „personalwerblichen Maßnahmen außerhalb von militärischen Liegenschaften“ (3) ist die Bundeswehr z.B. auch auf Ländertagen (z.B. Hessentag), der IAA (Internationalen Automobilausstellung), der mitteldeutschen Handwerksmesse, dem Hafengeburtstag in Hamburg sowie auch auf der Grünen Woche und dem Städtetag präsent. Musikcorps treten im Rahmen von Wohltätigkeitskonzerten oder einem Kurkonzert „Open Air“ auf, wie z.B. Anfang Mai in Wilhelmshafen. Laut Jugendoffiziersbericht 2015 (4) standen die Jugendoffiziere durch viele dieser Veranstaltungen im sicherheitspolitischen Dialog mit der breiten Bevölkerung. Hier wird versucht, volksnah aufzutreten, Sympathie für die Bundeswehr an der „Heimatfront“ zu wecken und die Armee in der Gesellschaft zu verankern – mit Attraktionen, die Krieg als unterhaltsames Geschäft erscheinen lassen.

Kooperation mit Schulen
Mit einem „attraktiven Erlebnisprogramm für alle Interessierte“ werben beispielsweise „Jugendoffiziere Freiburg“ für den bundesweiten „Tag der Bundeswehr“,  z.B. in der Kaserne Stetten am Kalten Markt, am 11. Juni 2016. Direkt angeschrieben wurden „Lehrer und interessierte Bürger im Bereich Regierungspräsidium Freiburg“. Angeboten werden auch hier „kostenlose An- und Abreise Ihrer Gruppe mit dem Bus“ sowie eine Mittagsverpflegung. Neben den klassischen Waffenschauen und improvisierten Einsätzen wird Familienfreundlichkeit propagiert. 
Zum „Tag der Schulen“ werden Schulen oder Schulklassen von der Bundeswehr eingeladen, Busfahrten zu Truppeneinheiten in der ganzen Republik angeboten, z.B. zum Taktischen Luftwaffengeschwader in Laage, Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelegen oder zum Panzergeschwader 21 in Augustdorf (5). Vor Ort sollen die Jugendlichen über den attraktiven „Arbeitgeber Bundeswehr“ und die Möglichkeiten einer Berufsausbildung bei den Streitkräften informiert werden. Über die Soldaten, „die bei Auslandskriegseinsätzen ums Leben kamen und traumatisiert zurückkehrten“, werde nicht geredet, kommentiert die GEW-Landesvorsitzende NRW, Dorothea Schäfer, bei ihrer Rede zum Antikriegstag am 1. September 2015 in Bochum.
Laut  Jahresstatistik 2015 der Jugendoffiziere fanden insgesamt 6666 Besuche von Schulklassen bei der Truppe statt. Davon kamen als größtes Kontingent der Klassen 10  1830 SchülerInnen aus Realschulen, 842 SchülerInnen aus Gymnasien und 658 aus berufsbildenden Schulen. Im Vergleich zum Jahr 2014 reduzierten sich die Besuche 2015 insgesamt um etwa ein Viertel. Doch allein für Juni 2016 sind etwa 10 Truppenbesuche mit SchülerInnen angemeldet.
An den Informationsveranstaltungen der Jugendoffiziere in Schulen und Universitäten zur Sicherheitspolitik Deutschlands haben 2015 insgesamt 115.708 SchülerInnen und StudentInnen teilgenommen. Das sind etwa Zweidrittel der Teilnehmenden, die die Jugendoffiziere 2015 insgesamt erreichten. (mehr dazu: Pfisterer Klaus: Werben fürs Sterben, FF 6-2015, S. 21) Nicht uninteressant ist, dass laut Jahresbericht 2015 Jugendoffiziere die Erfahrungen machten, dass deutsche Sicherheits- und Außenpolitik, in Bezug auf den Syrienkrieg und den militärischen Einsatz gegen den IS, oft kritisch hinterfragt und negativ bewertet wird. (8) 
Kaum zu glauben, aber wahr: Die Bundeswehr wirbt auch in Kindergärten! So wurden z.B. in der Stadt Erbeskopf Kindern im Rahmen der vorschulischen Ausbildung explizit der Soldatenberuf vorgestellt und mit ihnen eine Transallmaschine besucht. (9) Soll etwa auf diesem Weg bereits im Kindergartenalter Begeisterung für das Militär geweckt werden? Ist das die frühkindliche Erziehung des „normalen Arbeitgebers Bundeswehr“?

Rekrutierung von Minderjährigen 
Der Anteil der Unter-18-Jährigen bei der Bundeswehr hat nach sich Informationen des „Spiegel“ seit 2011 mehr als verdoppelt. (Spiegel-online, 6.2.2016) Von den 21.000 RekrutInnen im vergangenen Jahr waren laut Bundesverteidigungsministerium 1500 noch nicht volljährig (Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke). Einschränkend wurde berichtet, dass rund ein Drittel von ihnen bereits nach wenigen Monaten die Bundeswehr verlässt. Die direkte Werbung unter Jugendlichen für den Dienst bei der Bundeswehr, wie auch die automatische Datenübermittlung von Minderjährigen aus dem Melderegister an die Bundeswehr, verstoßen gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Zudem sind die Werbeauftritte der KarriereberaterInnen durch keine der Kooperationsvereinbarungen mit den Kultusministerien in acht Bundesländern gedeckt. Co-Koordinator der Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr!“, Benno Fuchs, berichtete von einem Berufsinformationstag am neuen Gymnasium Feuerbach. Eine Karrierberatin antwortete auf die Frage eines Schülers, ob ein Pilot bei der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen auch schießen müsse: Die Bundeswehr habe noch in keinem der Einsätze eine Waffe gebraucht. (10) Laut einer IMI-Studie (11) gab es allein in Afghanistan beim 20. und 21. Einsatzkontingent rund 1.000 Tötungen durch deutsche Soldaten. Stattdessen stellt sich die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber vor, als einen Arbeitgeber wie jeder andere. Vom Töten-müssen und Getötet-werden ist nicht die Rede. 

Protest, Widerstand, Alternativen
Eine der seit 2010 aktiven Initiativen in Deutschland ist die Mitmach-Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr- Lernen für den Frieden!“ in Baden-Württemberg (12). Seit 2015 skandalisiert sie mit vielfältigen öffentlichen Aktionen, Aufklärung und Zeitungsinterviews das vermehrte Auftreten der Bundeswehr im Ländle. Getragen wird die Kampagne von Aktiven aus Friedensorganisationen und -Initiativen sowie Kirchen, Terre des Hommes und Jugendringen. Sie wird koordiniert von der Landesgeschäftsstelle der DFG-VK Baden-Württemberg. Derzeit liegt der Schwerpunkt auf der Störung von Schulbesuchen der Bundeswehr mit ihren KarriereberaterInnen und Jugendoffizieren sowie auf der direkten Ansprache von LehrerInnen und Schulleitung. http://www.schulfrei-für-die-bundeswehr.de/was-kann-ich-tun/lehrerinnen/ Die Öffentlichkeit soll sensibilisiert und zugleich Druck auf die politischen Akteure ausgeübt werden. Zur Anregung und Ermutigung werden Positiv-Beispiele von Schulen veröffentlicht, die sich per Beschluss der Schulkonferenz für „militärfrei“ erklärt haben, so z.B. die Bertolt-Brecht-Schule in Darmstadt oder das Robert-Blum-Gymnasium in Berlin Schöneberg. 
Die 2015 in Baden Württemberg eingerichtete Servicestelle Friedensbildung – Grundlage ist die Vereinbarung zwischen Kultusministerium und Friedensorganisationen, Kirchen u.a. – bietet fächerübergreifend Qualifizierungsangebote und Unterrichtsmaterialien zur Friedensbildung in Schulen an (vgl. http://www.friedensbildung-bw.de/). Das Kampagnenziel  war und ist, die Kooperationsvereinbarung der Landesregierung mit der Bundeswehr aufzulösen. 
Konkreter Widerstand regt sich gegen die Sammlung von Daten junger Erwachsener, die die Bundeswehr über die Einwohnermeldeämter erhält. So hat z.B. der Runde Tisch in Freiburg, Mitglied der Kampagne, die automatisierte Datenweitergabe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen an die Bundeswehr und das damit verbundene Widerspruchsrecht öffentlich bekannt gemacht. Seit dem 21. April steht zudem ein Formular auf der Homepage der Stadt Freiburg, mit dem der Widerspruch  eingereicht werden kann. 
Wenig bekannt ist, dass Eltern ihre Kinder vom Unterricht mit BundeswehrvertreterInnen befreien lassen können. Dafür bietet die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes im Internet ein Muster für Befreiungsanträge (13). Postkarten an die Verteidigungsministerin und der alljährliche Red Hand Day, der Aktionstag am 12. Februar, rufen zum Protest gegen die gezielte Rekrutierung von Minderjährigen, z.B. in Schulen und Abenteuercamps der Bundeswehr, auf. Die Gewerkschaft GEW veröffentlichte aktuell in ihrer Bundeszeitung, gemeinsam mit Terre des Hommes, die Beilage „Kinder im Visier“ zu diesem Skandal. 
Auch international entwickelt sich Widerstand gegen die Militarisierung der Jugend: Im Jahr 2016 organisierten die War Resisters‘ International (WRI) zum dritten Mal eine Aktionswoche gegen die Militarisierung der Jugend in Bildung, Forschung und in öffentlichen Räumen. 
Die rekrutierungsoffensiven Maßnahmen der Bundeswehr erstrecken sich auf gesellschaftliche Teilbereiche wie Bildung, Sport und öffentliche Plätze. Diese schleichende Militarisierung, wird in der Bevölkerung noch zu wenig wahrgenommen. Die Friedensbewegung sollte sich auf eine langfristige Kampagne einstellen und mit ihren Aktionen die Werbefeldzüge der Bundeswehr weiterhin skandalisieren. Konträr zum Slogan der Rekrutierungsoffensive der Bundeswehr „Aktiv.Attraktiv.Anders.“ lautet das Motto der Friedensbewegung: „Aktiv.Antimilitaristisch.Alternativ.“.

Anmerkungen 
1 www.bundeswehr-journal.de
2 IMI- Analyse 2015/021, http.imi-online.de/2015/05/21/der-tag-der-bundeswehr/
3 Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr, Ausgabe 2015
4 ebd.
5 Kleine Anfrage von Ulla Jelpke, Frank Tempel sowie der Fraktion Die Linken im Bundestag  vom 24.2.2016, Öffentliche Auftritte der Bundeswehr im zweiten Quartal 2016
6 Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr, Ausgabe 2015
7 ebd.
8 ebd.
9 https://verqueert.de/werben-fuers-sterben-schon-im-kindergarten-wie-die-...     die-fruehkindliche-erziehung-wirkt/ (20.2.2016)
10 Benno Fuchs: in Zivilcourage/Südwest-Kontakte, März/April 2016/1
11 IMI-Analyse, oben zit.
12 www.schulfrei-fuer-die-bundeswehr.de
13 www.tdh.de/schule-ohne-militaer.html

Renate Wanie arbeitet in der Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr – Lernen für den Frieden!“ in Baden-Württemberg als Delegierte der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, mit und ist Redakteurin des Friedensforums.

 

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund