Religion und Gewalt - Wahrheitsanspruch und Toleranz

von Hans-Jürgen Benedict
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Religion und Gewalt sind schwer voneinander zu trennen, auch und gerade in der jüdisch-christlichen Tradition nicht. Zum einen: Der jüdisch-christliche Monotheismus hat etwas Exklusives und Ausschließendes in die Welt des Religiösen gebracht, die Unterscheidung von wahr und falsch, von Gott und Götzen im Bereich der Verehrung des Göttlichen. Im allgemeinen sehen wir das als Fortschritt. Ich mache auf die Nachteile aufmerksam.

Das erste Gebot lautet: "Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben." Um diese bildlose Verehrung des einen und einzigen Gottes durchzusetzen, wurden strenge Maßnahmen getroffen und Sanktionen angedroht, bis hin zur Zentralisation des Kultus auf eine einzige Stätte, den Tempel in Jerusalem. Die Verehrung fremder Götter wurde absolut nicht gestattet, vielmehr: "Du sollst ihre Altäre umstürzen und ihre Steinmale vernichten" ( Ex,34,13), ja: "Du sollst das Böse ausrotten aus deiner Mitte." (Dt 13,6) Das gab es in der Antike vorher nicht. Allerdings ist dieser radikale Monotheismus älter als der des Mose. Bereits der Pharao Echnaton stiftete im 14. Jhdt v. Chr. in einer Religionsrevolution ohnegleichen eine rein monotheistische Religion des Lichts; sie wurde von seinem Volk als Versündigung gegen die Götter empfunden, kurz nach Echnatons Tod wieder abgeschafft und alle an sie erinnernden Spuren wurden verwischt. Erst Ende des 19. Jhdts wurde in Amarna dieser ägyptische Monotheismus wiederentdeckt. Freud meinte daher, dass Mose ein Ägypter war, der den Monotheismus von Echnaton übernommen habe und bei den Israeliten, die er aus Ägypten herausführte, durchsetzte. Ägypten aber, eigentlich der Ursprung des Monotheismus, wurde zum Inbegriff des Götzendienstes, des Ausgegrenzten (siehe dazu ausführlich die interessante gedächtnisgeschichtliche Studie von Jan Assmann, Moses der Ägypter, 1998). Zwar verehrte man verschiedene Götter in unterschiedlichen Kulturen. Doch ihre Ähnlichkeit führte dazu, dass sie kulturell übersetzt wurden. Astarte bei den Kanaanäern war Isis bei den Ägyptern und Athene bei den Griechen. Die Vergleichbarkeit und Anerkennung der Götter der anderen war eine frühe Kulturleistung und ermöglichte Austausch, Handel und Wandel. Bereits bei den Sumerern 2300 v. Chr. gab es sogannte Listen von Schwurgöttern, mit denen man Verträge besiegeln konnte. In hellenistischer Zeit setzte sich immer mehr der Gedanke durch, dass es hinter der Erscheinungsvielfalt des Polytheismus ein göttliches Prinzip gibt, das das Universum durchwaltet. So sagt Plutarch. "Da alle Menschen in derselben Welt leben, verehren sie dieselben Götter."
 

Dieser Kosmotheismus war gewissermaßen eine ökumenische Religion der Antike, die auf Ausgleich und Toleranz abzielte. Mit dem Sieg des Christentums verschwand dieser Kosmotheismus von der Bildfläche. Der Monotheismus siegte in verwandelter christlicher trinitätstheologischer Gestalt im Römischen Reich, dann noch einmal im streng monotheistischen Islam. Das Christentum als Staatsreligion betrieb Missionierung auch mit Gewalt. "Nötigt sie hereinzukommen" (Lk 14,23) war das Motto gegenüber Häretikern, gegenüber den Sachsen wie den Indios und forderte Millionen Opfer. "Die Kirchengeschichte ist ein Mischmasch von Irrtum und Gewalt" lautete daher das berühmte Verdikt Goethes.

Übrigens: Im Pantheismus der deutschen Klassik und Romantik und in der Vernunftreligion der Aufklärung tauchte der antike Kosmotheismus dann wieder auf. Die "Weisheit der Ägypter", in der Moses nach Apg 7,22 erzogen worden war, war immer ein Subtext der europäischen Geistesgeschichte geblieben und feierte jetzt in der Freimaurerei (in Mozarts Zauberflöte singt Sarastro: In diesen heilgen Hallen kennt man die Rache nicht ...) wie in der Naturfrömmigkeit Goethes Triumphe. Gegenüber der kirchlichen monotheistischen Autorität bekennt Faust: "Wer darf ihn nennen./Und wer bekennen:/ ich glaub ihn. /Wer empfinden und sich unterwinden /Zu sagen: ich glaub ihn nicht./Der Allumfasser, /Der Allerhalter,/ fasst und erhält er nicht/Doch, mich, sich selbst." Er verweist auf Himmel, Sterne, Erde, auf die Liebe und das ewige Geheimnis und fährt fort: "Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,/nenn es dann, wie du willst/Nenn`s Glück!Herz!Liebe!Gott!/ ich habe keinen Namen dafür!Gefühl ist alles;/Name ist Schall und Rauch." Lessing, ein Verehrer des Gott ist Ein und Alles-Gedankens verfocht im Nathan das Prinzip der Toleranz. In der Ringparabel spricht der weise Richter: Der wahre Ring ging verloren, doch seine Kraft erweist sich darin, vor Gott und den Menschen angenehm zu machen. Jede der drei monotheistischen Religionen zeige also ihren Anteil an der göttlichen Wahrheit durch gute - Taten. Doch die pantheistische Liebes- und Naturreligion hatte keine Chance und ist erst nach der Trennung von Kirche und Staat und einem neuen religiösen Pluralismus eine von vielen Möglichkeiten. Religion wird zur Privatsache und erlebt doch in fundamentalistischen Schüben (nicht nur im Islam, man denke an die Aggressivität der US-Kreationisten und Abtreibungsgegner) immer neue militante Verlebendigungen.
Also: prophetisch-monotheistische Religionen vertreten einen Absolutheitsanspruch, sind in der Regel intolerant und benutzen auch Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele, besonders dann, wenn sie sich mit Herrschaftinteressen verbinden. Doch das ist nur die eine Seite der Wahrheit. Es gibt in den monotheistischen Religionen auch eine Kritik der Gewalt, und diese ist ebenfalls gut in der jüdisch-christlichen Tradition zu erkennen. Einerseits redet das Alte Testament von heiligen Kriegen, genauer von den Kriegen Jahwäs. Weil alles Leben in Beziehung zu Gott steht, gehört auch der Krieg zu diesen Realitäten. Jahwä führt die Kriege, er streitet für die Rettung und den Bestand des Volkes Israel. Aber der Krieg ist kein Mittel menschlicher Politik, so sagt die Erzählung 1 Sam 15, er ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Die Geschichtsdarstellung aus dem Glauben will zeigen: die Landverheißung an Israel erfüllt sich auch gegen eine Übermacht von Feinden. Strikt defensiv gedacht, sind diese Texte dennoch nicht unschuldig gegenüber ihrer Wirkungsgeschichte und wurden gerade von christlichen Herrschern immer wieder für Eroberungskriege herangezogen.

Auf der andern Seite tritt Jahwä gegen die soziale Gewalt in Israel auf den Plan (Am 2,14-16), zieht die Reichen und Mächtigen zur Rechenschaft. Bei den Propheten Jesaja und Micha wird die Hoffnung auf ein Ende von Krieg und Gewalt ausgedrückt. Am Ende der Zeiten gibt es eine allgemeine Abrüstung als Umrüstung/Rüstungskonversion ("Schwerter zu Pflugscharen" Jes 2,4) und "man wird hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen." Und Micha ergänzt bäuerlich-visionär: "ein jeder wird unter seinem Feigenbaum sitzen und keiner wird sie schrecken." Ein messianisches Friedensreich wird entstehen, in dem es sogar zu einem Frieden zwischen Mensch und Tier kommen wird (angesichts des Verwertungs- und Vernichtungs-Krieges, den wir modernen Fleischfresser gegen die Nutztiere führen, ein bedrängend aktueller Gedanke).

Diese Verheißungen von Jes 9 und 11 wurden von den frühen Christen auf Jesus gedeutet und in der Botschaft der Engel auf den Feldern von Bethlehem aufgenommen: "Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens". Das Kind in der Krippe als Gegenbild zum Machtfrieden der Pax Romana. Jesus ist der Friedensbringer, ein gewaltfreier Messias, der in der Bergpredigt zur Feindesliebe ermutigte und die Friedensstifter selig pries. Jesus hat im Konflikt mit der Jerusalemer Priesteraristokratie auf Gewalt verzichtet: "Stecke dein Schwert in die Scheide, denn wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen." (Mt 26,52) Dieser Gewaltverzicht ist in der Nachfolge jeweils neu zu vollziehen, kann nicht institutionell garantiert werden.
 

Nicht in den Großkirchen, aber immer wieder in Sekten und Gruppen am Rande der Kirche fand diese Botschaft Gehör, besonders bei den Täufern und den historischen Friedenskirchen, die die Linie des Gewaltverzichts und der Leidensbereitschaft im Christentum durchgehalten und so zur Anerkennung gebracht haben. Auf diese Weise ist das Friedenszeugnis im 20. Jhdt auch wieder in den Großkirchen gehört worden und fand nach zwei Weltkriegen in der Verurteilung des Krieges als Mittel der Politik (Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein) und im Gewaltverzicht als dem christusgemäßeren Weg seinen Niederschlag.

In noch zaghaften Bemühungen, die großen Weltreligionen im Friedenszeugnis miteinander zu verbinden (kein Weltfrieden ohne Frieden der Religionen), wird die Durchsetzung religiöser Wahrheiten mit Gewalt als Irrweg einbekannt. Es ist die große Aufgabe der Religionen im 21. Jhdt, sich an der Überwindung von gewaltförmiger Auseinandersetzungen durch die Förderung ziviler Konfliktregelungen zu beteiligen. Religionen sollten soweit als möglich bei ihren Anhängern jene seelischen Kräfte stärken, die auf Liebe, Vertrauen und guten Willen setzen. Die Anerkennung auch des anders Glaubenden als Teil einer umfassenden göttlichen Wirklichkeit ist dazu besser geeignet als die Unterscheidung von wahr und falsch. Diese behält allerdings im Sozialen ihr begrenztes Recht. Ethische Religiosität sollte anleiten zur Erkennung von sozialem Recht und Unrecht und zum gewaltfreien Protest.

Das Göttliche ist eine zugleich gerechte und barmherzige Macht, sie ist darin eine intentional rettende Macht, die auf unsere Kooperation angewiesen ist. Gott hat mit der Schöpfung gegeben, jetzt ist es an uns, ihm zu geben. Angesichts der organisierten Macht des willentlich Bösen in politischer und sozialer Gestalt ist es unsere Aufgabe, die göttliche Wirklichkeit, die allenthalben wohnt und wartet, gequält und beleidigt wird und die deswegen aufs tiefste verstört ist (H. Jonas), weiter in die Verborgenheit zurückweicht, nicht alleine zu lassen sondern mit entschiedenen Anstrengungen vor diesen Verletzungen durch das willentlich Böse zu bewahren.

Dabei müssen wir aber auf der Hut sein, das willentlich Böse nur auf die anderen zu projizieren. "Erlöse uns von dem Bösen" heißt es im Vaterunser. Nur eine Religion, die sich selbstkritisch sieht und befragt, kann heute zum Frieden und zur Toleranz beitragen. Mystisch orientierte Religionen sind toleranter als prophetische. Und insofern sind die mystischen Anteile im christlichen Glauben wieder zu entdecken.

Vor allem aber sollten wir dem Wort Jesu folgen: "es kommt die Zeit, in der ihr weder auf diesem Berge (Garizim) noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Gott ist Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten." (Joh 4,24) Ist das nicht ein Plädoyer für ein plurales Religionsverständnis? In der Tat - es gibt verschiedene Wege zum Heil, und auf der Gewalt liegt kein Segen. Mag der religiöse Mensch sein maßgebendes Vorbild lieben und verehren, Sokrates, Jesus, Buddha, Mohammed, Gandhi oder Martin Luther King; wissen soll er, dass alle Teil des großen Geheimnisses des Göttlichen sind.

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Hans-Jürgen Benedict ist Professor für diakonische Theologie an der Ev. Fachhochschule für Sozialpädagogik des "Rauhen Hauses" in Hamburg und Mitherausgeber der Zeitschrift "Junge Kirche".