Zur Diskussion um die "Neue Bundeswehr"

Replik auf Winni Nachtweis Böge-Replik (Friedensforum 5/2000, S. 23)

von Stefan Gose
Hintergrund
Hintergrund

Vorweg, ich kann Volker Böges Einschätzung zur programmatischen Offensivorientierung der Bundeswehr (Friedensforum 3/2000, S. 3, im gleichen Sinne 4/2000, S. 23f.) uneingeschränkt unterschreiben. Nachtwei nicht, warum? Nachtwei möchte "Schlüsselfragen legitimer deutscher und europäischer Interessen, des verantwortungsvollen Umgangs mit der realen Macht und staatlichen Verhaltens in humanitären Extremsituationen auf den Tisch" bringen, wohlan! Raus damit, Herr Abgeordneter, was sind denn die "legitimen deutschen/europäischen Interessen", für die Sie die Bundeswehr einsetzen möchten? Die Naumann-Agenda, Stoltenberg-Papier, VPR, KLL, Strategisches Konzept, Scharping-Reform, kurz das anything goes-Potpouri, das die UN-Charta aus gutem Grund verbietet? Ein "deutsches Interesse" verliert genau dann seine "Legitimität", wenn es militärisch umgesetzt wird. - "Verantwortungsvoller Umgang mit der realen Macht einer BRD": sprechen sie vom völkerrechtswidrigen Kosovokrieg, der Munitionsfabrik für die Türkei oder der Plutoniumfabrik für Russland? Wie sieht denn Ihre Verantwortung für die über 500 NATO-Opfer in Jugoslawien aus? (Auch wenn Sie das Urteil - 20 Jahre Haft für die Herren Schröder, Scharping und Fischer - des Distriktgerichtes Belgrad nicht teilen, lesen Sie doch mal die akribische Auflistung der NATO-Opfer in der Anklageschrift unter www.schmaehling.de/aktuell.htm) Militär übernimmt keine Verantwortung, das ist - theoretisch - Sache der Politik. Doch Ihre Regierung reformiert (europaweit) das Militär, und eben leider nicht dessen Wurmfortsatz Politik. - "Humanitäre Extremsituationen" und Bundeswehr: sprechen Sie von Ruanda, Kongo, Indonesien (wo die Politik samt ihrer starken Truppe gestern wie heute abgetaucht ist) - oder beteiligen Sie sich jetzt auch an der Mär, die NATO-Bomben waren das Fundament eines demokratischen Jugoslawien? In der Tat, da gäbe es noch einige Länder zu bombardieren, die dann irgendwann bereitwillig nach jedem Strohhalm greifen. Ja, es gibt "humanitäre Extremsituationen" (Kosovo war zumindest nicht der von Ihrer Regierung behauptete Genozid). Aber nennen Sie ein Beispiel, wo ausgerechnet Militär der Menschlichkeit wieder zum Sieg verholfen hat!? (Selbst der 2. Weltkrieg wurde von alliierter Seite nicht zur Beendigung des Holocaust geführt). Schauen Sie sich die Tradition der "humanitären Intervention" an: Von den Kämpfen Roms gegen die Babaren über die Kreuzzüge, Inquisition, die Eroberung Amerikas, Hitlers "Anschluss" des Sudetenlandes, neuerdings Kambodscha, Somalia, Balkan, Australien/Indonesien - die Begründungen waren stets "humanitär", aber was hat es den Betroffenen gebracht? In welcher humanitären Kosten-Nutzen-Relation stehen denn die von Böge "negierten" SFOR/KFOR- Einsätze? SFOR: Wiederaufbauinvestitionen seit Dayton/1995: ca. 10 Mrd. DM plus jährlich 15 Mrd. DM (seit 1999 gut 10 Mrd. DM) für die verbliebenen 20.000 SFOR-Soldaten. Wiederaufbaubilanz: Korrupte Stagnation; Friedensbilanz: erneute Kämpfe bei Abzug von SFOR. Bisherige Kosten: ca. 90 Mrd. DM, unbefristete Fortsetzung, da keine Aussöhnung in Sicht. KFOR: Kriegskosten: 27 Mrd. DM, jährliche KFOR-Kosten: ca. 20 Mrd. DM, notwendige Wiederaufbaukosten: etwa 55 Mrd. DM (bereitgestellte Wiederaufbaukosten maximal 10 Mrd. DM), Gesamtkosten 6/Jahre: ca. 200 Mrd. DM, 10/Jahre: Fast 300 Mrd. DM, Wiederaufbauerfolg: Grundversorgung, Befriedungserfolg: verfeindete allein nicht lebensfähige Regionen, die unbefristet durch eine NATO-Soldateska ruhiggestellt werden. Widersprechen Sie, Herr Abgeordneter! Könnte es nicht sein, dass mit diesen Milliarden auf zivilem Wege mehr zu erreichen wäre? - "Diese Einsätze prägen die Realität der heutigen Bundeswehr und sind ein wesentlicher Hintergrund ihrer Reform," behaupten sie. Klären Sie uns auf: Wozu braucht eine humanitäre Bundeswehr auf dem Balkan neue U-Boote mit strategischer Reichweite, wozu die Fregatte 124, neue Korvetten, Spionagesatelliten, den Eurofighter, den Angriffshubschrauber Tiger oder hochseetaugliche Truppenversorger? Als Oppositionsabgeordneter wussten Sie noch, warum Sie diese Angriffswaffen nicht wollten, - was schert mich mein Geschwätz von gestern? - "Eine Militärreform kann nur dann zur Gewaltminderung im Dienste kollektiver Sicherheit beitragen, wenn sie eingebettet ist in ein regelrechtes Aufholprogramm zur Stärkung ziviler Konfliktbearbeitung. Wir behaupten keineswegs, dass dieser Anspruch schon realisiert ist, dafür ist die Mittelverteilung noch viel zu unausgewogen. " Hört, hört! Gerne möchte ich zustimmen, würden Sie nicht anschließend "die Durchbrüche zum Aufbau einer Infrastruktur ziviler Konfliktbearbeitung" feiern, statt nüchtern aus der eigenen These zu folgern, dass eine Militärreform ohne dieses Aufholprogramm eben nicht zur Gewaltminderung beiträgt, dass also die augenblickliche Bundeswehrreform trotz ZFD-Folklore die Gewaltneigung "im Dienste kollektiver Sicherheit" erhöht. Einen besseren Pressesprecher könnte Rudolf Scharping nicht engagieren. "Zugleich ist Tatsache, dass heute schon der Auftrag der Bündnisverteidigung erhöhte Mobilität, Flexibilität etc. erfordert," behaupten Sie. Worauf stützen Sie diesen Geistesblitz? Der einzige Auftrag zur Bündnisverteidigung rührt aus Art. 5 NATO-Vertrag, und der schreibt nicht einmal vor, dass die Bundeswehr auch nur einen Soldaten schicken muss, wenn ein Bündnispartner angegriffen würde (zum Glück, wie Zypern lehrt). Das "Strategische Konzept" der NATO steht vielfach im Widerspruch zum NATO-Vertrag (völkerrechtliche, geographische und Auftrags-Entgrenzung) und kann an eben diesen Punkten deshalb nicht verpflichtend sein. Definieren sie bitte einmal "Bündnisverteidigung", für die die Bundeswehr 40 Jahre keine überseetauglichen Angriffsverbände benötigte (Recherchetip: Lesen Sie das Kleingedruckte zum out-of-area-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes). Wenn Sie mit dem Euphemismus "Bündnisverteidigung" mobile Interventionsfähigkeit meinen, dann sagen Sie es bitte auch ebenso offen, wie ihre UnionskollegInnen. - Weiterhin möchten Sie "die Schwelle für Bundeswehreinsätze durch klare Bedingungen erhöhen, zuerst und absolut die Bindung an ein VN-/OSZE-Mandat." Toll. Hinweis: Das ist (bis auf ein zweifelhaftes OSZE-Mandat - UNO-light/West?) bereits heute Gesetz und Völkerrecht. Sie haben es "lediglich" gebrochen und auch anschließend juristisch nichts unternommen, um diesen Rechtsbruch festzustellen und für die Zukunft auszuschließen. Oder haben wir da eine grüne Normenkontrollklage gegen den Kosovo-Krieg oder das Strategische Konzept übersehen - dann bitte etwas lauter! Gibt`s da etwa eine grüne Gesetzesinitiative, die "Gefahr im Verzug" oder "humanitäre Nothilfe" in einklagbare Lettern schmieden möchte? Wie stand es um Ihre Gewissensnot beim fait à compli der Bundeswehrreform, zu deren finanzieller "Deckelung die Grünen beigetragen" haben (ist Hans Eichel konvertiert?)? Bevor Sie sich über andere echauffieren, tun Sie doch bitte das Ihnen Mögliche, weniger noch: Halten Sie sich wenigstens an bestehendes Recht und Gesetz. Falls ich Ihnen Unrecht tue, erklären Sie mir bitte, für welche Situationen all die einschlägigen Absätze in Grundgesetz, UN-Charta, Soldatengesetz, 2+4-Vertrag, Menschenrechtskonvention etc. geschrieben wurden? - Zuletzt behaupten Sie, "Volker Böge blendet ... den teilweisen Funktionswandel von Militär und Herausforderungen an Regierungspolitik aus. Dadurch verlieren leider die richtigen Aspekte seiner Kritik an Wirksamkeit." Pardon, Herr Abgeordneter, aber genau das ist Böges Thema. Böge benennt den Funktionswandel des Militärs, auch wenn er nicht extra erwähnt, dass Sie wieder auf das (neu bemäntelte) Faustrecht vor Verabschiedung der UN-Charta zusteuern. Die Herausforderungen an Regierungspolitik - zivile Mediation bei Konflikten - haben sich in den vergangenen 100 Jahren nicht verändert. Das Versagen der Politik vor dem militärischen Primat leider auch nicht. Winni Nachtwei, Sie versuchen auf ausgetretenen Pfaden, dem Militär eine politische Rolle und damit Legitimation zuzuschreiben, die es nie haben kann. Denn Androhung und Einsatz von Gewalt sind das Ende von Politik. Vielen Abgeordneten war diese Banalität in der Vergangenheit bereits geläufig. Erst der Aufbau eines effizienten Gewaltapparates ermöglicht, sich von politischen Bemühungen zu verabschieden, ja er verleitet zu militärischen "Lösungen", die (siehe Kalter Krieg, siehe Irak, siehe Balkan, ja siehe jeden deutschen out-of-area- Einsatz) nach dem Waffenstillstand erheblich verfahrenere, kompliziertere und teurere Probleme aufwerfen. Aus humantiären Gründen ist es nachvollziehbar, wenn das politische Personal Frieden mit dem Gewaltapparat schließt, dessen Teil es sein will. Für die Konflikte, die Abgeordnete politisch lösen sollen, ist dieser Weg zumeist fatal.

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Stefan Gose ist Redakteur der "antimilitarismus information" (ami).