Resist-Prozesse vor dem Landgericht Frankfurt

von Martin Singe

Inzwischen wurden die ersten Prozesse um die gewaltfreie Blockade der US-Airbase Rhein-Main während des Irak-Krieges in 2. Instanz geführt. Der erste Prozess betraf zwei Personen, die vom Amtsgericht wegen Nötigung verurteilt worden waren und dagegen Berufung eingelegt hatten. Das Schöffengericht unter Leitung von Richter Bach entschied nun, dass die Berufung weitestgehend zu Recht eingelegt worden war. Das Landgerichtsurteil spricht die Angeklagten vom Vorwurf der Nötigung frei. Allerdings wurde ihnen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Nichtentfernen aus einer aufgelösten Versammlung) ein Bußgeld von 75,- bzw. 50,- Euro auferlegt. Gemäß Kostenentscheidung gehen 9/10 der Verfahrenskosten zu Lasten der Staatskasse.

Um wegen Nötigung verurteilt zu werden, muss der Täter Gewalt ausgeübt haben und zudem verwerflich gehandelt haben. Richter Bach bezweifelt in seinem Urteil, ob überhaupt das Tatbestandsmerkmal der Gewalt erfüllt gewesen sei. Jedenfalls eindeutig verneint das Gericht das Vorliegen der Verwerflichkeit. Daher wurden die erstinstanzlichen Amtsgerichtsurteile aufgehoben. Nun wurde lediglich eine Geldbuße verhängt.

Die Staatsanwaltschaft hat auch gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Dies scheint konsequent, da bislang kein Freispruch und kein "mildes" Urteil seitens der Staatsanwaltschaft akzeptiert worden ist. Vermutlich gibt es entsprechende Anweisungen von "weiter oben". Es geht das Gerücht, dass Ministerpräsident Roland Koch seinerzeit selbst den Amerikanern bzw. der FRAPORT, die die Airbase betreibt, reibungslosen Verkehrsablauf während des Krieges zugesichert hatte. Dann waren die Blockadeaktionen für die politisch Verantwortlichen natürlich besonders schmerzhaft. Das würde das außerordentlich starke Strafbedürfnis erklären. Sicherlich soll zugleich von künftigen Aktionen abgeschreckt werden.

Im 2. Landgerichtsverfahren ging es um das Urteil von Richter Rupp. Er hatte fünf Angeklagte zu einer symbolischen Geldbuße von jeweils 5,- Euro verurteilt (vgl. Friedensforum 3/2004). Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt und erneut eine Verurteilung wegen Nötigung gefordert. Der Landgerichtsprozess wurde am 5.10.2004 eröffnet, musste jedoch vertagt werden, da die Beweisaufnahme neu aufgewickelt werden muss. Die Angeklagten und das Gericht wollten sich zwar auf eine Verfahrenseinstellung einigen, doch die Staatsanwaltschaft machte da nicht mit. Der anwesende Oberstaatsanwalt forderte für eine Einstellung des Verfahrens Mindestgeldbußen zwischen 150,- und 300,- Euro. Das wäre einem Schuldanerkenntnis gleichgekommen, was die Angeklagten ablehnten. Eine Schöffin fragte den Oberstaatsanwalt, warum er nicht der Verfahrenseinstellung ohne Auflagen zustimmen könne. Diese Frage wurde mit Ausführungen zum staatlichen Strafbedürfnis beantwortet, woraufhin die Schöffin meinte, sie habe doch den Eindruck gewonnen, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen werde. Jedenfalls wird dieser Prozess nun an zwei weiteren Verhandlungstagen fortgesetzt werden.

Die Prozessgeschichte ist also noch lange nicht zu Ende. Die Friedensbewegung und andere soziale Bewegungen hatten nach dem so genannten Blockadeurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 den Nötigungsparagraphen 240 des Strafgesetzbuches eigentlich für erledigt gehalten. Doch nun wird er neu als Strafkeule aus der Mottenkiste ausgebuddelt. Hans-Ernst Böttcher, Präsident des Landgerichts Lübeck und DFG-VK-Mitglied, hielt im Oktober 2002 vor dem Forum Justizgeschichte einen Vortrag zu den Besonderheiten dieses § 240, woraus kurz zitiert werden soll (ventlicht in: H. Kramer / W. Wette (Hg.), Recht ist, was den Waffen nützt. Justiz und Pazifismus im 20. Jahrhundert):

"Wenn, sagen wir, im Jahre 2103 eine `Europäische Rechtsgeschichte` erscheinen würde, so würde sie womöglich für die ersten 50 Jahre der Bundesrepublik Deutschland ... eine Besonderheit benennen: die periodisch auftretenden massenhaften Verurteilungen wegen strafbarer Nötigung laut § 240 des Strafgesetzbuches als eine besondere Erscheinungsform des politisctrafrechts." Böttcher zitiert Rolf Lamprecht, der im "Spiegel" vor der ersten Bundesverfassungsgerichtsentscheidung von 1986 zu Sitzblockaden der Friedensbewegung schrieb: "Um zu beschreiben, was Gewalt ist, braucht man nicht Jura studiert zu haben. ...Nur krause Logik kann den friedlichen Schneidersitz vor einem amerikanischen Kasernentor als Gewalt qualifizieren und den angestrebten Zweck, nämlich die Ächtung von Massenvernichtungswaffen, als verwerfliche Absicht." Böttcher rühmt dann das "erlösende" Verfassungsgerichtsurteil von 1995, das Klarheit geschaffen habe, obwohl der Bundesgerichtshof kurz nach dieser Entscheidung mit der so genannten 2.-Reihe-Rechtsprechung (während das erste Auto zwar nur psychisch an der Weiterfahrt gehindert sei, werde das 2. Auto physisch, also mit Gewalt, gehindert) neue Verwirrung auslöste. Böttcher spricht hier von einer "Renitenz des Bundesgerichtshofs": "Man wird in Zukunft genau beobachten müssen, ob das Bundesverfassungsgericht die eigene, mit dem Urteil von 1995 festgefügte klare Rechtsprechung verwässert, und ob es damit vorhandenen oder potenziellen Tendenzen anderer Gerichte Vorschub leistet, denen `die ganze Richtung nicht passt`." - Leider ist es nun mal wieder so weit, dass die Frankfurter Staatsanwaltschaft genau mit diesem BGH-Beschluss strafrechtliche Verurteilungen für friedliche Sitzdemonstrierende erzwingen will. Der lange und beschwerliche Weg, von dem Böttcher zu Ende seines Vortrages sprach, ist leider wohl noch lange nicht zu Ende: "Insgesamt ist die Geschichte vom langen und beschwerlichen Weg der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Anerkennung von Demonstrationsformen, bei denen `neue soziale Bewegungen die eingefahrenen Gleise politischer Artikulation und Kommunikation verlassen und neue Formen öffentlicher Darstellungen ihrer Ziele, ihrer Symbole und Lebensstile entwickeln`, ein Lehrstück zum Thema: Wie lange brauchen die Gesellschaft und insbesondere die Gerichte eines ehemals durch und durch an der Staatsraison orientierten Landes, die Wirkkraft der Grundrechte zu begreifen, zu beherzigen und in handhabbare Maßstäbe für die tägliche Praxis umzusetzen?"

 

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".