Aktionen gegen Rheinmetall

„Rheinmetall entwaffnen!“-Camp und Aktionen in Unterlüß

von Carsten Orth
Initiativen
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In Unterlüß im Süden der Lüneburger Heide (zwischen Celle und Uelzen) hat das größte deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall seit 1899 (damals „Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik Ag“) einen Standort. Heute sind die zwei Fabriken und der dazugehörende Schießplatz (mit 50 Quadratkilometern das größte private Test- und Versuchsgebiet in Europa) von Rheinmetall Landsysteme und Rheinmetall Waffe Munition sowohl die einzigen relevanten Arbeitsplatzanbieter als auch die einzigen nennenswerten Gewerbesteuerzahler für die Gemeinde. Dementsprechend ruhig war es dort jahrzehntelang, was Kritik an den Produkten und der Geschäftspolitik von Rheinmetall Defence angeht. Abgesehen von jährlichen Protesten am Weltfriedenstag von wenigen örtlichen Aktiven fand nichts statt.

Das änderte sich im vergangenen Jahr, als das „Jugendnetzwerk für politische Aktionen“ (JunepA) -Träger des „Aachener Friedenspreises“ 2017 - sich das Thema Rüstungsexporte und den Ort Unterlüß für seine Jahresaktion aussuchte und die „Hamburger Initiative gegen Rüstungsexporte“ und den COMM e.V. zum Mitmachen einlud. So gab es Mitte Mai 2017 auf dem Dorfplatz von Unterlüß erstmals ein kleines Protestcamp, am Sonntagvormittag eine Predigt zum Thema „Es ist Krieg. Entrüstet Euch!“ in der vollbesetzten Friedenskirche, am Nachmittag einen Demonstrationszug zu den Fabriken und am Montagmorgen JunepAs Blockade-Aktion an allen Toren der beiden Rheinmetall-Werke. Das zusammen hatte endlich auch überregional für Aufsehen und Schlagzeilen gesorgt, und ich hoffte, dass das nur der Anfang war und kündigte mehr im Scherz an, dass wir im kommenden Jahr unser Zirkuszelt in Unterlüß aufbauen würden.

Und so kam es: Angefeuert durch die immer öffentlicher werdende hemmungslose Geschäftspolitik von Rheinmetall und auch durch die Bilder von Panzern aus deutscher Produktion beim Angriff der Türkei auf das kurdische selbstverwaltete Afrin in Nordwest-Syrien fanden sich Ende April diesen Jahres über 40 Menschen aus unterschiedlichsten Gruppen und Initiativen zu einem ersten Vorbereitungstreffen in Celle zusammen. Dieses und die weiteren Treffen waren geprägt von einem sehr offenen, vertrauensvollen und produktiven Miteinander, und so war schnell klar, dass es um den 1. September in Unterlüß wieder ein Camp, eine Demo und eine angekündigte, anschlussfähige Blockade-Aktion geben soll. Der gemeinsam erarbeitete Aufruf wurde nach und nach von mehr als 80 Gruppen und Organisationen bundesweit unterstützt, außerdem von rund 50 Einzelpersonen, darunter FunktionärInnen in Gewerkschaften und Parteien.

Gemessen daran war dann die Beteiligung an der konkreten Vorbereitungsarbeit, aber auch am Camp selbst eher kleiner als erhofft. Fraglich ist dabei, ob das anfängliche behördliche Schlafverbot auf dem Camp, das wir dann im gerichtlichen Eilverfahren erfolgreich angefochten haben, eine nennenswerte Zahl potenzieller Camp-TeilnehmerInnen abgehalten hat, oder ob viele von ihnen in Chemnitz oder im Hambacher Wald waren. So oder so war das schade, weil das bunte interessante Campprogramm (siehe https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/) und die Workshop-ReferentInnen mehr Aufmerksamkeit und Beteiligung verdient hätten.

Die Demo vom Bahnhof am Camp vorbei nacheinander zu den beiden Fabriken - wobei uns wieder der Weg zum Werk Neulüß verwehrt wurde, weil die (eindeutig öffentlich genutzte) Straße dorthin Rheinmetall gehöre; eine Klage gegen das gleiche Demorouten-Verbot vom Vorjahr läuft noch – war mit rund 500 TeilnehmerInnen zwar bunt, laut und die größte jemals in Unterlüß, aber auch da wäre noch Platz für mehr gewesen.

Und die Blockade-Aktion am frühen Montagmorgen auf der (nicht einzigen) Zufahrt zum „Werk Neulüß“ war eher „symbolisch“ als „effektiv“, wobei erfahrungsgemäß und auch in diesem Fall wieder schon die Ankündigung der Blockade die Firmenleitung selbst zu massiven Eingriffen in den Betriebsablauf veranlasste: Da wurden Lieferungen umdisponiert und MitarbeiterInnen aufgefordert, Urlaub zu nehmen, damit der „Schaden“ begrenzt bleibe. So ließ die Polizei, nachdem klar war, dass es zumindest für Pkw eine andere Zufahrtsmöglichkeit gibt, uns auch sitzen, solange wir wollten.

Mein Fazit: (Stellvertretend für die gesamte Rüstungsindustrie) „Rheinmetall entwaffnen“ zu wollen heißt ein dickes Brett zu bohren. Dazu braucht es viele AktivistInnen an verschiedenen Orten und einen langen Atem. So ist es gut, dass seit Jahren in Düsseldorf und Berlin demonstriert wird. Aber es braucht auch einen Symbolort, der als Kristallisationspunkt für die Bewegung fungiert. Dieser kann Unterlüß werden, als wichtiger Rheinmetall-Standort in einer seit langem militärisch geprägten Region (z.B. NATO-Truppenübungsplatz Bergen, Bundeswehr-Fliegerhorst Faßberg, Bundeswehr-Truppenübungsplatz und -Ausbildungszentrum Munster, dem größten Standort des deutschen Heeres).

Nach dem gelungenen Start im letzten Jahr haben die TeilnehmerInnen am diesjährigen spektrenübergreifenden Camp sehr verantwortungsvoll daran mitgewirkt, dass wir auch im nächsten Jahr deutlich sichtbar auf dem Dorfplatz von Unterlüß antimilitaristisch campen können, und dann hoffentlich mit mehr Teilnehmenden. Der Platz ist groß...

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Carsten Orth ist Aktivist bei COMM e.V.