Die Opfer des albanischen Nationalismus werden zwangsrepatriiert

Roma zurück in das Kosovo!?

von Eva Klippenstein

Deutschland gehört zu den ersten Gratulanten, die das Kosovo, dieses fragile Protektorat der UN, nach seiner einseitigen Unabhängigkeitserklärung als souveränen Staat anerkannt haben. Welche Motive leiten die deutsche Politik, zu welchem Preis gab es diese Anerkennung und wer muss sie bezahlen?

Die ungeliebten Minderheiten, die Roma aus dem Kosovo, sind jetzt an der Reihe. Bisher wurden sie geduldet, weil sie im Kosovo nicht sicher sind, aber mit einer Anerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention und einem gesicherten Aufenthalt konnten sie nicht rechnen. Wie die Ashkali und Ägypter gehören sie zwar zu den Kosovoflüchtlingen mit der längsten Aufenthaltsdauer in Deutschland, aber die wenigsten von ihnen konnten einen Aufenthalt nach der Bleiberechtsregelung erhalten, entweder weil sie nicht über ausreichendes Einkommen, nachweisbare Deutschkenntnisse oder Pässe verfügen, oder ihre ‚Identität verschleierten’ bzw. wegen „schwerer“ Straftaten[i] zu mehr als 2 Jahren Haft verurteilt worden sind. Die Duldung erhält die Abschiebungsdrohung aufrecht, weil sie jederzeit widerrufen werden kann; auf dieser Basis können weder dauerhafte Arbeitsverhältnisse begründet, noch berufliche oder sonstige persönliche Zukunftspläne entwickelt und jedenfalls keine Integrationsleistungen erbracht werden.

Roma durften bisher nicht in das Kosovo abgeschoben werden, weil das UNHCR ihre persönliche Sicherheit bedroht sieht. Das geht zurück auf die Miloseviç-Ära: die Roma galten als Kollaborateure der Serben und wurden deswegen von den albanischen Nationalisten bestraft: viele geschlossene Romaviertel wurden geplündert und niedergebrannt, auch das „Roma Mahalla“ am Stadtrand von Mitrovica südlich des Ibarflusses. Viele BewohnerInnen kamen um, wurden vertrieben oder flohen nach Westeuropa[ii]. Die Zurückgebliebenen wurden von der Verwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) „vorübergehend[iii]“ in der Nähe der stillgelegten Bleimine im Norden von Mitrovica untergebracht[iv], aber spätestens hier erwies sich, dass die internationale Gemeinschaft ihre Pflicht zur Erhaltung der multiethnischen Gemeinschaft des Kosovo nicht wirklich ernst nimmt. Denn obgleich die WHO schon 2000 auf eine sofortige Evakuierung der BewohnerInnen drängte, reagierten die Verantwortlichen nicht. Bei Untersuchungen der Kinder wurden bereits Anfang des Jahrzehnts extrem hohe Belastungen von Blei gemessen, teilweise so hoch, dass die Testgeräte die Anzeige verweigerten, auch Spuren von anderen Schwermetallen wurden entdeckt. Inzwischen haben fast alle internationalen Organisationen, von der WHO, OECD bis zum UNHCR und Europarat die Zustände angeprangert - die Verletzung des UN-Übereinkommens über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention, des Antidiskriminierungsverbots, des Abkommens über die Rechte des Kindes - geändert hat dies nichts.

2006 sollte das Lager Cesmin Lug  geschlossen und die BewohnerInnen in das neue Lager Osterode, in Sichtweite des alten, umgesiedelt werden. Dort stehen Container statt Bretterbuden und die Halde wurde mit Zement abgedichtet, doch nach wie vor existiert das Lager Cesmin Lug. Als 2008 die WHO eine Verdopplung der Bleiwerte feststellte, wurde dieses Ergebnis nicht veröffentlicht, weil UNMIK behauptete, die Vergiftung käme vom illegalen Verwerten alter Autobatterien[v]. Blei und andere Gifte aus den Emissionen der Abraumhalden  oder aus dem Trinkwasser schadet auch den Kindern in Osterode, sammelt sich in ihrem Körper an und verursacht irreparable Schäden, die durch diätische Maßnahmen nur geringfügig aufgefangen werden können. Offiziell soll auf Wunsch die Rückkehr in den alten Stadtteil möglich sein, da dort neue Wohnungen vorhanden seien. Zwar befinden sich auf einem ansonsten unbebauten Feld einige mehrgeschossige Häuser, aber sonst keine weitere Infrastruktur. Die BewohnerInnen beklagten sich uns gegenüber bei einem Besuch im Juli diesen Jahres, dass ihnen die ehemaligen Grundstücke nicht zurückgegeben werden[vi] und sie nicht in der Lage sind, Miete und Strom in dem Neubau zu bezahlen.

Dies alles ist Vergangenheit, gleichzeitig aber von brennender Aktualität. Denn auch nach der „Befreiung“ und unter den Augen der internationalen Verwaltung gab es das Pogrom vom Frühjahr 2004, bei dem radikale Albaner die Kosovoserben als ihre Feinde und die Roma als deren Mitläufer definierten. Offiziell ist allerdings jetzt alles ruhig, eine latente Pogromstimmung, falls sie vorhanden ist, bleibt unsichtbar.

Die deutsche Politik hat die Romafrage immer offen gehalten und geht jetzt dazu über, Hilfe zum Wiederaufbau des multiethnischen Kosovo[vii] zu leisten.  All die Jahre wurde versucht, Roma und andere Minderheiten in das Kosovo abzuschieben, jedoch hat UNMIK aus Sicherheitsgründen ihre Entgegennahme verweigert[viii]. Flüchtlinge mussten daher öfters zurückgenommen werden. Daraus folgten wütende Reaktionen der deutschen Innenpolitiker. Im Dezember 2005 schrieb Schäuble an den Repräsentanten der UN in Prishtina, eine fehlende Unterkunft  sei nicht sicherheitsrelevant und dürfe einer Abschiebung nicht im Wege stehen[ix]. Mit Nachdruck wurde in dieser Richtung weitergearbeitet[x] und schließlich im Frühjahr 2009 ein Rückübernahmeabkommen für die 38.000 Romaflüchtlinge in Deutschland erreicht. Nach diesem Abkommen sollen die „Rückführungen“ schonend, d.h. möglichst gleichmäßig auf die Kommunen verteilt und nur im Umfang von ca. 2.500 Personen pro Jahr vonstatten gehen, wobei besonders verwundbare Personengruppen aufgeführt werden, die nicht als erste drankommen sollen. Dennoch hat der Landrat von Steinfurt in NRW die 250 in seinem Kreisgebiet lebenden Roma bereits angeschrieben, um sie mit der neuen Rechtslage vertraut zu machen[xi].

Es ist nicht verwunderlich, dass diejenigen, die die Maßnahmen durchführen und die ihre Politik auch vor ihren Parlamenten verantworten müssen, Beschönigungen und Lügen erfinden: einerseits durch Schuldzuweisungen an die Betroffenen, bspw. die Behauptung, die Bleibelastung in Osterode sei durch die Bewohner zum größten Teil selbst verursacht,  andererseits durch eine verzerrte Einschätzung der Sicherheitslage: Die Böden seien versiegelt und der allgemeine Gesundheitszustand würde durch ein ausschließlich im Camp tätiges Ärzteteam ständig überwacht[xii]. Den Abgeordneten im baden-württembergischen Parlament wird mitgeteilt, der Sonderberichterstatter des Europarats Thomas Hammarberg[xiii] habe die Sicherheitslage für die ethnischen Minderheiten als „verbessert“[xiv] beschrieben.   

Neuerdings werden vermehrt Übergriffe gegen Roma in den Gemeinden Djakovica und Gnjilane und Ferizaj[xv] gemeldet und es stellt sich heraus, dass weder die internationale Verwaltung, noch die KFOR-Besatzung und erst recht nicht die kosovarische Polizei in der Lage ist, die Sicherheit der Roma zu garantieren. Die Menschenrechtsorganisation Chachipe zweifelt an der Qualität und Objektivität der Berichterstattung über ethnisch motivierte Gewalt. Bei der Rücksprache mit einem führenden Beamten der kosovarischen Polizei, der die gemeldeten Übergriffe als einfache Nachbarschaftskonflikte bzw. als auf ’offene Rechnungen zwischen Schwarzhändlern’ bezeichnete, zeigt sich zudem, wie die Opfer zusätzlich stigmatisiert werden.

Eva Klippenstein M.A. ist Vorsitzende des Flüchtlingsrats Düsseldorf e.V.

 

Anmerkungen
[i] Auch Additionen von Ordnungswidrigkeiten für typische Ausländerdelikte, wie Verletzung der Residenzpflicht oder Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln.

[ii] 8.000 Roma, Ashkali und Ägypter nach  Auskunft von  Human Rights Watch v. 24.6.1999.

[iii] Gedacht waren „temporäre Camps“ für 45 Tage in Cesmin Lug und Leposavic.

[iv] Nach Auskunft der UNMIK die einzig mögliche Stelle.

[v] Bei der Untersuchtung des deutschen Toxikologen Klaus Runow im Auftrag der GfbV wurden 36 weitere giftige Elemente nachgewiesen, die nicht in Autobatterien enthalten sind.

[vi] Viele ehemaligen Bewohner des Romaviertels, die teilweise sehr kleine Grundstücke besaßen, hatten nie Eigentumsnachweise.

[vii] Innenminister Schünemann am 26.8.09 im Niedersächsischen Landtag.

[viii] Rebecca Einhoff (UNHR) erklärte am 11.11.05 in Berlin, dass 60-90% der Rückkehrer abgelehnt würden.

[ix] Auch die Presse hieb kräftig in diese Kerbe: Der Spiegel v. 19.12.2005.

[x] Memorandum of Understanding 1999 und 2003 bzw. Readmission Policy 2008.

[xi] Nevipe News v.21.8.09.

[xii] Volker Bouffier im Hessischen Landtag am14.7.09.

[xiii] Report of the Council of Europan Commissioner for Human Rights’ Special Mission to Kosovo, Straßburg 2.7.09.

[xiv] Innenminister Heribert Rech am 4.8.09.

[xv] Romano Chachipe am 19.8.09 s. auch www. romarights.wordpress.com/Kosovo.

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