Rot-grüne internationale Konfliktbearbeitung - zivil oder militärisch?

von Andreas Buro
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Vor und nach der Bundestagswahl 1998 richteten sich von vielen Seiten große Hoffnungen auf eine neue Friedenspolitik einer rot-grünen Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag war von der Außenpolitik, die Friedenspolitik sein sollte, die Rede. Dort versprach auch die rot-grüne Regierung, sich "mit aller Kraft um die Entwicklung und Anwendung von wirksamen Strategien und Instrumenten der Krisenprävention und der friedlichen Konfliktregulierung" zu bemühen. Was ist seit etwa 1 1/2 Jahren Regierungszeit aus diesen Versprechungen geworden?

Krieg und Aufrüstung als dominante Politik
Die erste rot-grüne Weichenstellung ist die deutsche Beteiligung am NATO-Jugoslawien-Kosovo Krieg. Sie liegt auf der Linie der früheren Kohl-Politik, systematisch alle rechtlichen und psychologischen Beschränkungen aus der Zeit nach 1945 in Hinblick auf die nationale Verwendung des deutschen Militärs abzubauen. Damit sollte Deutschland sein militärisches Potential in gleicher Weise wie die ehemaligen Siegermächte zum Einsatz bringen können. Der letzte Stein zur militärischen Gleichheit war der Kampfeinsatz der Bundeswehr in einem gemeinsamen Krieg mit den NATO-Alliierten. Diese Politik diente und dient nicht nur einer militärgestützten Außenpolitik sondern auch der Stärkung der hegemonialen Position Deutschlands in der EU. Es kann nun auch seine militärische Komponenten ohne Abstriche in den Integrationsprozess einbringen.

In ihrer Kriegspolitik, die an dieser Stelle nicht erneut analysiert werden muss, haben die rot-grünen Regierunsexponenten ihre Bereitschaft zum Bruch internationalen Rechts und zur demagogischen Verführung der Bevölkerung vorgeführt: Sie haben von der "humanitären Intervention", dem "gerechten Krieg", von Auschwitz und von nicht-existierenden KZs gesprochen. Nichts von dem traf zu.

Die zweite große Weichenstellung ist die Entscheidung der EU-Regierungen, die EU so weitgehend aufzurüsten, dass sie von den USA unabhängig Interventionskriege führen kann. Dies bringt die EU zu einer permanenten qualitativen Konkurrenzaufrüstung mit den USA, den Ausbau einer EU-europäischen Rüstungsindustrie und einen ständigen, wahrscheinlich anschwellenden Rüstungsexport. Rot-Grün marschiert also mit großen Schritten auf die weitere und sich verstärkende Militarisierung der Außenpolitik zu.

Dem entspricht, dass Rot-Grün bisher keine wesentlichen Anstrengungen gemacht hat, den OSZE-Raum zu einer Gesamteuropäischen Friedensordnung mit der Fähigkeit zu ziviler Konfliktbearbeitung auszubauen, wie es nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in der Charta von Paris einmal vorgesehen war. Stattdessen wird die NATO als militärische `Ordnungsmacht` nach Osten erweitert. Das `Gemeinsame Haus Europa` verbleibt als Bauruine, auch wenn Berlin der OSZE ein paar mehr Millionen (Gegenwert von etwa 1-2 Panzerwagen) zur Verfügung stellt.

Berlins Förderung ziviler Interventionsfähigkeiten
Der in der Friedensbewegung gut bekannte grüne Bundestagsabgeordnete, Winni Nachtwei, hat am 14.2.00 eine Übersicht zur "Förderung ziviler Interventionsfähigkeiten" der Berliner Regierung vorgelegt. Er nennt darin
 

 

  • die Förderung eines Zivilen Friedensdienstes in der Entwicklungsarbeit. Die Mittel hierfür werden in 2000 auf 17,5 Mio. DM erhöht. Eine Bundesförderung für die Ausbildung von 15 Personen für den NGO-ZFD ist eingeplant.
  • Ausbildung für zivile OSZE- und VN-Missionen betreibt das Auswärtige Amt in 14-Tage-Kursen, die 2000 in dreistufige Lehrgänge erweitert werden sollen. 250 Personen sollen ausgebildet werden. Die Mittel steigen von 0,6 auf 2,1 Mio. DM. "Dabei wird die enge Kooperation mit bestehenden zivilen und militärischen Ausbildungsträgern (Polizei, Bundeswehr, Forum-ZFD) gesucht."
  • Mitwirkung der BR an dem Beschluss der OSZE in Istanbul bis Mitte 2000, "Schnelle Einsatzgruppen für Expertenhilfe und Kooperation" (REACT), sowie ein Operationszentrum zur Führung ihrer z.Zt. 19 Operationen aufzustellen. In diesem Zusammenhang steht die Bezuschussung des neugegründeten Zentrums für OSZE-Forschung in Hamburg durch das Auswärtige Amt. Es soll die Wirksamkeit verschiedener OSZE-Instrument und die Institutionenbeziehungen bei Frühwarnung und Krisenbewältigung untersuchen.
  • Auf deutsche und schwedische Initiative beschloss der Rat der EU im Dezember 99 in Helsinki, einen "Mechanismus zur nicht-militärischen Konflikbewältigung" zu schaffen und dafür einen Aktionsplan zu erstellen.
  • Das AA habe die Mittel zur "Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung" von 8,6 auf 28,6 Mio. DM erhöht. Hier werden höchst unterschiedliche Aktivitäten genannt, die zumindest zum Teil in den Bereich diplomatischer Aufgaben fallen. Aufgrund von Sparmaßnahmen wurden allerdings deutsche Botschaften auch in Krisengebieten geschlossen.
  • Eine Konferenzserie der BR zu "Smart sanctions - der nächste Schritt: Waffenembargos und Reisesanktionen". Nachtwei fügt wörtlich hinzu: "Dass sich die Bundesregierung auch in der Praxis um eine Effektivierung vonSanktionen bemüht, zeigt die Politik der Staatengemeinschaft gegenüber dem Milosevic-Regime, wo sich die Bundesregierung für eine Aufhebung pauschaler Sanktionen (Ölembargo) und eine Stärkung gezielter Sanktionen (Einfrieren von Konten, Visabann für das Milosevic-Umfeld) einsetzt". Hat eigentlich der Versuch des Sturzes der Regierung in Belgrad etwas mit ziviler Konfliktbearbeitung zu tun?
  • Die Unterstützung der Friedens- und Konfliktforschung und den Aufbau einer unabhängigen Stiftung hierfür.
    Nachtwei folgert, obwohl die Finanzausstattung im Vergleich zum Militär "lächerlich gering" erscheinen müsse, begänne die Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung zu wachsen.

Zivile Ergänzung der militärgestützten Politik?
Im Gegensatz zu Nachtwei sehe ich ganz andere Infrastrukturen wachsen. In seinem Vorwort zu der AA-Broschüre "Ausbildung für internationale Einsätze" bringt Ludger Vollmer, Staatsminister im AA, die Grundorientierung auf den Punkt: "Die Kosovo-Missionen von NATO, OSZE und VN machen zugleich deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit von militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten in einem Einsatzgebiet sind."(S.7) Damit wird unmissverständlich ausgedrückt, es gehe nicht um die Entfaltung einer Alternative zur militärgestützten Außen- und Sicherheitspolitik, sondern um deren Perfektionierung. Der militärischen Komponente, die nachweislich viele Leistungen in einem besetzten Gebiet nicht selbsterbringen kann, soll eine zivile Komponente hinzugefügt werden. Polizisten, Juristen, Verwaltungspersonal bis hin zu Versöhnungsfachleuten, die das militärisch durchgesetzte Protektorat am Laufen halten sollen. Eine solche Ergänzungspolitik liegt durchaus in der Tradition des Militärs. Hat es sich nicht schon längst zivile Psychoberatung, Propagandaabteilungen, riesige Technikbereiche usw. zugeordnet? Ist aber dadurch der Charakter von militärgestützter Politik verändert worden? Im Gegenteil! Es handelt sich um Effektivierungen von Militärpolitik, die auf diese Weise weitere Elemente der Politik durchdringt. So auch den rot-grünen Kurs mit seiner überwältigenden Orientierung auf militärische Aufrüstung.

Leider zu kurz gesprungen
Wo existiert denn eine zivile friedenspolitische Strategie Berlins? Etwa für Montenegro, das die DM als Zahlungsmittel für sein jugoslawisches Teilgebiet eingeführt hat und wo die NATO Belgrad schon wieder unverhohlenmilitärisch droht? Etwa für die Türkei, die im Kosovo angeblich für die Menschenrechte militärisch kämpfen durfte, die sie im eigenen Land systematisch unterdrückt? Während die PKK-Kurden einseitig den Krieg beendet haben, belohnt Berlin diese wichtige, ja dramatische friedenspolitische Weichenstellung mit einer verstärkten PKK-Verfolgung und Kurden-Abschiebung. Gleichzeitig liebäugelt es mit der Lieferung von 1000 Panzern.

Der Stabilitätspakt für Südosteuropa, den die Friedensbewegung schon lange vor dem Kosovo-Krieg gefordert hatte, kommt zumindest gegenwärtig kaum voran. Offensichtlich sitzt für dieses zivile Projekt das Geld nicht so locker wie für Aufrüstung und Militärinterventionen. Auch hat man Serbien den Zugang zu diesem wichtigen Projekt versperrt und ist damit alten Mustern des militärischen Freund-Feind-Denkens treu geblieben. Doch ohne Einbezug Serbiens wird es auf dem Balkan keine Stabilität geben. Auch die Effektivierung von Embargo-Maßnahmen, die Nachtwei unter der Kategorie `zivile Konfliktbearbeitung` anpreist, kann da nicht weiter helfen. Offensichtlich ist Rot-Grün zu kurz gesprungen und im Militärgehege gelandet. Beim Bundeskanzler Schmidt hatten wir das vonroter Seite schon einmal erlebt.
 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt