Den Krieg überleben:

Rückkehrerschicksale in Bosnien

von Beate RoggenbuckMartin Fischer

Laut Aussagen des Innenministeriums sind bis jetzt (Ende Oktober 1997) zwischen 70.000 und 80.000 Flüchtlinge aus Bosnien "freiwillig" zurückgekehrt. Daß dieser "Freiwilligkeit" nachgeholfen wurde, ist der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt: durch Druck seitens der Behörden, durch Diffamierungen in der Öffentlichkeit als Drückeberger usw. Selbst der Beschluß, Flüchtlinge aus dem Gebiet der jetzigen Republica Srpska nachrangig zu behandeln, wurde in einzelnen Bundesländern unterschiedlich interpretiert, so daß ausgerechnet im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen Abschiebeandrohungen für Srpska-Flüchtlinge ausgesprochen wurden. Tatsächlich haben viele Flüchtlinge diese psychisch sehr belastende Situation nicht mehr ausgehalten und sich zur Rückkehr ins Ungewisse entschlossen.

Wie der Alltag von rückkehrenden Familien in Bosnien aussieht, erlebt Martin Fischer, Leiter der von Teilen der Friedensbewegung (u.a. ORL, AGDF, IPPNW, Komitee für Grundrechte und Demokratie) gegründeten Hilfsorganisation "Den Krieg überleben" täglich hautnah. Er schildert ein Fallbeispiel:

Folgen einer erzwungenen "freiwilligen" Rückkehr nach Bosnien Herzegowina:

Ibrahim M., 58, ein bosnischer Flüchtling, ist zusammen mit seiner Frau und seinem 30jährigen psychisch kranken Sohn "freiwillig" und spontan im April 1997 nach Bosnien zurückgekehrt. In seiner ehemaligen Wohnung in Banja Luka ("Republica Srpska") leben noch immer serbische Vertriebene. Eine Rückkehr in die Srpska ist für Nichtserben nach wie vor so gut wie unmöglich.

Ibrahim entscheidet sich also für eine Rückkehr in das bosnische Föderationsgebiet. Er will sich und seiner Familie die drohende Abschiebung aus Deutschland ersparen. Am 25. April packt die Familie M. die wenigen Habseligkeiten in Plastiktaschen und besteigt einen Bus nach Sanski Most in der heutigen Föderation Bosnien-Herzegowina. In Sanski Most, wo neben 20.000 Ortsansässigen bereits 40.000 Vertriebene aus der Banja-Luka-Region untergebracht sind, weist der Krisenstab der Familie eine Unterkunft zu.

Ibrahim erhält für sich und seine Familie zwei kleine Werkstatträume in einer Garage. Im April werden die Sonnenstrahlen immer stärker und alle sind optimistisch. Ibrahim erledigt alle notwendigen Schritte, läßt sich und seine Familie bei den lokalen Behörden registrieren und bekommt vorläufige Papiere und einen einjährigen Nutzungsausweis für die beiden Räume im Schuppen. Die Familie M. ist zuversichtlich und versucht, aus den Räumen eine Unterkunft zu machen. Ibrahim holt bei dem Büro der International Organization of Migration (IOM) die deutsche Rückkehrhilfe ab und besorgt mit dem Geld Farbe. Irgendwo findet er am Straßenrand ein durchrostetes Ofenrohr. Ein Nachbar bringt einen kleinen, ebenso durchrosteten Ofen. Aus Holzlatten und Spanplatten bastelt Ibrahim die Wohnungseinrichtung. Zwei Betten für drei Personen - für drei Betten wäre ohnehin kein Platz - ein kleines Tischchen, ein Bänkchen zum Sitzen. Für mehr reichen die Mittel nicht.

Arbeit gibt es für einen 58jährigen Vertriebenen in Sanski Most nicht.

Familie M. hat Anspruch auf "humanitäre" Hilfe und bekommt Monat für Monat sechs Kilo Mehl und einen halben Liter Öl pro Kopf. Sanski Most, so schreibt die örtliche Presse, ist die teuerste Stadt in der Föderation. Ein Vier-Personen-Haushalt benötigt im September zum Leben monatlich 500 DM.

In Sanski Most sind viele deutsche und internationale Hilfsorganisationen tätig. Das deutsche THW, die deutsche Diakonie, die deutschen Malteser, das UNHCR neben einer Vielzahl kleinerer NROs und lokaler Einrichtungen. Die Organisationen reparieren Häuser von Ortsansässigen, beraten und betreuen. Für Flüchtlinge, die nicht in das eigene Haus zurückkehren können, gibt es in Sanski Most neben Mehl und Öl keine weitere Hilfe.

Ich treffe Ibrahim M. am 9. Oktober im UNHCR Büro in Sanski Most. Er kommt, um wieder einmal um Hilfe zu bitten. Und ein weiteres Mal wird er, ohne angehört zu werden, weggeschickt. Der durchaus engagierte Büroleiter Dr. B. kommentiert mir gegenüber etwas verlegen: "Wir haben bereits eine Akte angelegt über ihn. Wissen Sie, wenn wir Herrn M. heute helfen, stehen morgen hunderte andere vor unserem Büro mit demselbem Problem."

Weihnachtswinterhilfe für Bosnien

Das Schicksal der Familie M. ist kein Einzelschicksal. Rückgekehrte Flüchtlinge fallen oft durch alle Maschen der ohnehin schon dürftigen sozialen Hilfen, weil sie nicht in ihre eigene Wohnung zurückkehren konnten, denn nur für Ortsansässige gibt es Baumaterial und weitere Unterstützung.

"Den Krieg überleben" bittet deshalb dringend um Spenden für Lebensmittel und Brennholz für den kommenden Winter.

Spendenkonto: "Den Krieg überleben", Stichwort: "Winterhilfe für Bosnien", Kto.Nr. 61 101 bei der Sparkasse Bonn, BLZ: 380 500 500. (Spenden sind steuerabzugsfähig.)

Fünf Jahre "Den Krieg überleben"

Am 10. Dezember wird die Initiative "Den Krieg überleben" (DKÜ) fünf Jahre alt.

Vor fünf Jahren, im ersten bosnischen Kriegswinter, waren die Bilder flüchtender Frauen und Kinder, die auch an der deutschen Grenze abgewiesen wurden, durch die Presse gegangen. Martin Fischer, Journalist aus Köln, hatte in Kroatien recherchiert und unmittelbar das Elend gesehen. Viele Organisationen der Friedensbewegung sowie die Bündnisgrünen fanden sich spontan in einem Aktionsbündnis zusammen und gründeten zusammen mit Martin Fischer "Den Winter überleben" (Im Sommer 1993 erfolgte die Umbenennung in "Den Krieg überleben"). Ein in der taz am 15.12.92 verbreiteter Appell zur Unterstützung bedrohter Muslims und Kroaten fand breite Resonanz. Erste Privatpersonen und Kirchengemeinden verpflichteten sich, bosnische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen und zu unterhalten. Ein sehr weitgehendes Engagement - persönlich und auch finanziell.

Am 24. Dezember kam der erste Flüchtlingsbus in Bonn an. Im Laufe der nächsten vier Jahre konnte DKÜ über 8.000 Flüchtlinge bei Gastfamilien, Kirchengemeinden oder Verwandten unterbringen.

Seit "Dayton" bietet DKÜ Hilfe und Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr an. Dieses wurde bisher hauptsächlich von in Ungarn lebenden bosnischen Flüchtlingen wahrgenommen, die größtenteils im Föderationsgebiet untergebracht werden - oft bei Verwandten, die diese dann mitunterstützen. Von den 1.255 DKÜ-Rückkehrern konnten nur 123 an ihren alten Wohnort zurückgehen.

DKÜ hilft aber nicht nur bei der Rückkehr, sondern betreut nach wie vor muslimische Flüchtlinge, die in unserem Transitzentrum Dom Lonja auf eine Emigrationsmöglichkeit in die USA, Kanada, Schweden oder Australien warten. Diese Länder nehmen unter bestimmten Bedingungen Flüchtlinge aus der Srpska auf.

Weitere Informationen über die Situation zurückgekehrter Flüchtlinge und die Arbeit von DKÜ bei:

DKÜ, Römerstr.213, 53117 Bonn, Tel. 0228/687055, Fax: 0228/687723.

Sie finden uns auch im Internet mit ständig aktualisierten Informationen.

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Friedensbewegung international
Beate Roggenbuck ist Mediatorin BM, Trainerin und war Vorstandsmitglied von „Den Krieg überleben“ von 1994 – 2002.
Martin Fischer ist Initiator von "Den Krieg überleben e.V." und organisiert die Tätigkeit der Hilfsorganisation im ehemaligen Jugoslawien.