Prozesse

Rüstungskonzerne mögen keine Aufrufe zum Whistleblowing

von Hermann Theisen
Hintergrund
Hintergrund

Bereits im Friedensforum 5/2016 („Aufrufe zum Whistleblowing als Gewaltfreie Aktion“) wurde darüber berichtet, dass Aufrufe zum Whistleblowing ein wirksames Mittel sein können, um gegen gesellschaftspolitische Missstände zu protestieren. In der Vergangenheit wurde diese gewaltfreie Aktionsform am Atomwaffenstandort Büchel (Rheinland-Pfalz) und bei dem Waffenhersteller Heckler & Koch (Baden-Württemberg) praktiziert, um damit das Recht der Öffentlichkeit auf Information über die Hintergründe der geplanten Atomwaffenmodernisierung bzw. über die Hintergründe von illegalen Waffenexporten einzufordern.

Während das Strafverfahren wegen der Büchel-Flugblätter bereits im Februar 2017 mit einem Freispruch zu Ende ging (FriedensForum 3/2017: „BundeswehrsoldatInnen dürfen zum Geheimnisverrat aufgefordert werden“), endete das Strafverfahren wegen der Heckler & Koch-Flugblätter im April 2018 ebenfalls mit einem Freispruch. Bereits zuvor hatte das Verwaltungsgericht Freiburg den Klagen wegen eines Flugblattverteilverbots und einer Flugblattbeschlagnahme stattgegeben.

Ungeachtet dessen hat nun die Staatsanwaltschaft Lüneburg ein Strafverfahren wegen eines Rheinmetall-Aufrufs zum Whistleblowing eingeleitet, und beim Verwaltungsgericht Lüneburg ist ein Verfahren wegen eines Flugblattverteilverbots anhängig. Zudem sind bei den Verwaltungsgerichten München, Kassel und Saarlouis Verfahren wegen Verteilverboten von Krauss-Maffei-Wegmann-Flugblättern anhängig. So hat es den Anschein, als würden Aufrufe zum Whistleblowing reflexhaft einen Ermittlungseifer bei Staatsanwaltschaften und Behörden auslösen und als würden dabei die inzwischen bereits ergangenen einschlägigen Urteile offenbar erst gar nicht zur Kenntnis genommen werden.

Heckler & Koch
Im Mai 2015 wurden am Heckler & Koch-Standort in Oberndorf Aufrufe zum Whistleblowing verteilt, worauf der damalige Hauptanteilseigner des Waffenherstellers, Andreas Heeschen, über die Freiburger Kanzlei Brüggemann & Eichener Strafanzeige erstatten ließ. Die auf Waffenrecht spezialisierte Kanzlei sparte in ihrer Anzeige nicht mit Anschuldigungen und erhob folgende strafrechtlichen Vorwürfe: Hausfriedensbruch, Aufforderung zu Straftaten, Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung. Ein Jahr später stellte die Staatsanwaltschaft Rottweil das Ermittlungsverfahren teilweise ein und beantragte beim Amtsgericht Oberndorf einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs und Aufforderung zu Straftaten über 90 Tagessätze, der vom damaligen Amtsgerichtsdirektor Grolig erlassen wurde.

Dieser Strafbefehl führte dazu, dass das Landratsamt Rottweil ein Flugblattverteilverbot erließ, die Flugblätter eigenmächtig beschlagnahmte und sich weigerte, Briefe (mit Flugblättern) an Kreistagsmitglieder weiterzuleiten. Die Briefe leitete die Behörde stattdessen an die Staatsanwaltschaft Rottweil weiter, worauf diese sie wieder zurücksandte, da „eine Aufforderung zur Aufforderung von Straftaten nicht strafbar“ sei. Nachdem das Landratsamt Rottweil sich dennoch weigerte, die Briefe an die Kreistagsmitglieder weiterzuleiten, wurde vor dem Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben, wie auch bereits wegen des Flugblattverbots und der Flugblattbeschlagnahme. Im September 2017 erklärte das VG Freiburg das Verbot und die Beschlagnahme der Flugblätter als rechtswidrig und die Nicht-Weiterleitung der Briefe als teilweise rechtswidrig und ließ in allen drei Fällen die Berufung zu. Das Landratsamt Rottweil legte nur im Falle der Nicht-Weiterleitung der Briefe Berufung ein und ließ diese von der Kanzlei Wurster/Weiß/Kuper (Freiburg) begründen, worüber nun der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim entscheiden wird.

Die Stadtverwaltung Oberndorf erließ zudem einen Bußgeldbescheid, da für eine Flugblattverteilaktion eine Sondernutzungserlaubnis erforderlich sei. Nachdem Heckler & Koch der Behörde umfangreiches Foto- und Video-Material zur Verfügung gestellt hatte, sich dieses aber nicht mehr in den Gerichtsakten befand, wurde das Verfahren vom Amtsgericht Oberndorf eingestellt. Das Amtsgericht Oberndorf wollte daraufhin im September 2017 über den noch anhängigen Strafbefehl verhandeln, jedoch zog die Staatsanwaltschaft Rottweil einen Tag vorher ihre Anklage wegen Aufforderung zu Straftaten zurück, da der Aufruf zum Whistleblowing vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Wenige Tage später beantragte sie dann aber einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs, worüber das Amtsgericht Oberndorf im April 2018 verhandelte und nach zwei Verhandlungstagen (auf Kosten von Heckler & Koch) zu einem Freispruch kam.

Rheinmetall
Am Rheinmetall-Standort in Unterlüß wurde für Februar 2018 eine Kundgebung angemeldet und der Rheinmetall-Aufruf zum Whistleblowing wurde zuvor per Email und Post verteilt. Das Landratsamt Celle wandte sich daraufhin an die Staatsanwaltschaft Lüneburg, worauf der dort zuständige Leiter der Staatsschutzabteilung, Oberstaatsanwalt Vogel, in einer fünfseitigen Verfügung erklärte, warum das einschlägige Urteil des VG Freiburg nicht tragfähig und ein solcher Aufruf zum Whistleblowing doch strafbar sei. In der Folge wurde durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg ein Strafverfahren eingeleitet und der Bürgermeister der Gemeinde Südheide, Flader, weigerte sich, Briefe mit den Flugblättern weiterzuleiten, während der Geschäftsführer der Firma Rheinmetall Waffe und Munition GmbH (Unterlüß), Krämer, die Berliner Kanzlei Danckert/Huber/Bärlein beauftragte, „die Rheinmetall-Interessen wahrzunehmen“.

Krauss-Maffei Wegmann
An den KMW-Standorten in München, Kassel, Hamburg, Konstanz, Ingolstadt, Freisen und Remscheid wurden Versammlungen (mit Flugblattverteilungen) angemeldet, worauf einige Behörden teilweise Flugblattverteilverbote erließen, während andere die Flugblattverteilungen unbeanstandet ließen. In der Folge müssen sich nun die Verwaltungsgerichte München, Kassel und Saarlouis mit der Rechtmäßigkeit dieser Flugblattverteilverbote auseinandersetzen. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem die Aufrufe zum Whistleblowing vor den KMW-Werkstoren verteilt worden sind.

Aktuelle Rechtsentwicklung zum Whistleblowing
Der Bremer Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano erklärt in einem vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Auftrag gegebenen „Juristischen Kurgutachten zur internationalrechtlichen Regulierung des Whistleblowings und zum Anpassungsbedarf im deutschen Recht“: „Es ist mittlerweile unbestritten, dass Whistleblowing Rechtswidrigkeiten und gesellschaftliche Missstände wirksam ins öffentliche Bewusstsein rücken kann.“ Damit, so konstatiert er, laufe die deutsche Rechtsprechung in Sachen Whistleblowing der europäischen hinterher, denn bereits vor zwei Jahren habe das Europäische Parlament eine „Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen“ verabschiedet und die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, die nationale Rechtsprechung entsprechend anzupassen. Dieser Vorgabe folgend hat das Bundesjustizministerium im April d.J. nun endlich einen Referenten-Entwurf für ein Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vorgelegt, wonach die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses dann gerechtfertigt sein soll, wenn dies zum Schutz eines berechtigten öffentlichen Interesses erforderlich ist. Dieser Referentenentwurf sollte als Ermutigung verstanden werden, Aufrufe zum Whistleblowing auch weiterhin friedenspolitisch zu nutzen, auch wenn Rüstungskonzerne sie nicht mögen!

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