Fachtagung der Zentralstelle KDV in Eisenach

"Runder Tisch" zur Totalen Kriegs­dienstverweigerung

von Stefan Philipp
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Totale Kriegsdienstverweigerer (TKDVer) lehnen die Wehrpflicht als staatliches Unrecht radikal ab. Sie verweigern deshalb alle sich aus der Wehrpflicht ergebenden Verpflichtungen, vor allem sowohl den Militär­dienst bei der Bundeswehr als auch den Zivildienst. Dafür werden sie strafrechtlich verfolgt. Wer den Bundeswehrdienst verweigert, kann wegen "Fahnenflucht" nach dem Wehrstrafgesetz mit bis zu fünf Jahren Knast bestraft werden; zusätzlich muß er damit rechnen, disziplinar­rechtlich von der Bundeswehr mit mehrwöchigem Arrest belegt zu wer­den.

Wer den Zivildienst verweigert, kann ebenfalls mit bis zu fünf Jahren Knast wegen "Dienstflucht§ nach dem Zivil­dienstgesetz bestraft werden. Geldstra­fen, Bewährungsstrafen aber auch mehrmonatige Haftstrafen sind in der Praxis die Regel, die wenigen Freisprü­che lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen.

Ob aber die Verweigerung von Wehr und Zivildienst überhaupt ein strafbares Unrecht darstellt, ist mindestens äußerst fraglich. Denn das Grundgesetz garan­tiert in Art. 4 Abs. 1 die Unverletzlich­keit des Gewissens. Und daß Gewissen­sentscheidungen nicht nur innerpsychi­sche Prozesse sind, sondern selbstver­ständlich praktische Handlungskonse­quenzen haben können, ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfas­sungsgerichts. Obwohl aber die meisten Strafgerichte die Verweigerungshand­lungen der TKDVer als Ausfluss deren Gewissensentscheidungen ansehen, er­folgen dennoch Verurteilungen anstelle von Freisprüchen oder Verfahrensein­stellungen. Und das seit nunmehr 20 Jahren seitdem gibt es neben den Zeu­gen Jehovas, die schon immer aufgrund ihres Glaubens die Wehrpflicht verwei­gert haben Verweigerer, die ihre Ge­wissensentscheidung darauf stützen, daß Wehr und auch Zivildienst gleicherma­ßen kriegsvorbereitende und unterstüt­zende Dienste sind.

Die Zentralstelle KDV hat diese Krimi­nalisierungspraxis zum Anlass genom­men, unter dem Motto "Der Widerstreit zwischen Wehrpflicht und Gewissen" die Beteiligten bei einer Fachtagung Mitte November 1995 in Eisenach um einen Tisch zu versammeln. Und damit trafen erstmals in einem gleichberech­tigten Rahmen Offiziere, Truppen­dienstrichter, Wehrverwaltungsvertreter, Staatsanwälte und Richter mit Rechts­anwälten und TKDVern zusammen. Konkrete Ergebnisse gab es nicht, was aber auch nicht beabsichtigt war.

Der Verlauf der Tagung war für viele totale Verweigerer und Vertreter der Mitgliedsverbände der Zentralstelle KDV mindestens auf den ersten Blick eher enttäuschend.

Der ehemalige Vizepräsident des Ver­fassungsgerichts, Ernst Gottfried Mah­renholz, stellte zwar in seinem Eröff­nungsreferat fest, daß in der grundge­setzlichen Hierarchie die in Art. 4 Abs. 1 garantierte Gewissensfreiheit allerer­ste Priorität habe, das KDV-Grundrecht nach Art 4 Abs. 3 lediglich eine kon­krete Ausformung der Gewissensfreiheit und die in Art. 12a erlaubte - aber nicht vorgeschriebene - Wehrpflicht dagegen nachrangig sei. Insoweit kritisierte er die Rechtsprechung seines ehemaligen Gerichts. Allerdings hielt er - zunächst - 79 Zivildienstgesetz, der die Möglich­keit eines unbefristeten Dienstes für alle KDVer im sog. Verteidigungsfall vor­sieht und damit einen zentralen Punkt in der Argumentation totaler Verweigerer darstellt, daß auch der Zivildienst in der Konsequenz Kriegsdienst ist, nicht für geeignet, darauf eine Gewissensent­scheidung gegen die Wehrpflicht zu gründen.

Der Vortrag eines Offiziers aus dem Führungsstab der Streitkräfte im Vertei­digungsministerium geriet vor dem au­ßerordentlich sachkundigen Publikum deshalb eher zu einer peinlichen Veran­staltung, weil er sich offensichtlich auf die offiziellen Verlautbarungen seines Ministeriums beschränken mußte. Bei dem "Fachgespräch unter Praktikern" wurde noch einmal deutlich, wie weit die Positionen auseinanderliegen. Der Argumentation der TKDVer wurde überwiegend formal begegnet, ohne dem Anspruch der Gewissensfreiheit gerecht zu werden. Vor dem Hinter­grund, daß KDVer auch schon im Kai­serreich und in Nazi-Deutschland ins Gefängnis gesteckt wurden, ist eine sol­che Herangehensweise problematisch.

Was bleibt also?

Der Vortrag des Bremer Rechtsanwalts Günter Werner über die Entwicklung der Rechtsprechung gegen TKDVer bil­det eine wichtige Grundlage für die weitere Arbeit, weil er nicht nur formal sondern auch inhaltlich den problemati­schen Umgang des Staates mit den TKDVern detailliert aufzeigte.

Die Sensibilität der meisten Tagungs­teilnehmer,die sich nach intensiven Dis­kussionen von der Argumentation der TKDVer beeindruckt zeigten und einge­standen, "neu nachdenken" zu müssen. Die Tagung hat deutlich gemacht, daß die Spannung zwischen Gewissen und Wehrpflicht im Kern unüberwindlich ist. Letztlich ist die Kriminalisierungs­praxis ein verzweifelter und untaugli­cher Versuch, administrativ die Wehr­pflicht mit allen Mitteln zu retten - auf Kosten der Gewissensfreiheit.

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Stefan Philipp ist Chefredakteur der DFG-VK-Zeitschrift ZivilCourage und stellvertretender Vorsitzender der Zentralstelle KDV. Er verweigerte Anfang der 1980er Jahre zunächst die Musterung und dann die Einberufung zur Bundeswehr und saß wegen „Fahnenflucht“ und „Gehorsamsverweigerung“ mehrere Monate im Gefängnis.