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Fachtagung der Zentralstelle KDV in Eisenach
"Runder Tisch" zur Totalen Kriegsdienstverweigerung
von
Totale Kriegsdienstverweigerer (TKDVer) lehnen die Wehrpflicht als staatliches Unrecht radikal ab. Sie verweigern deshalb alle sich aus der Wehrpflicht ergebenden Verpflichtungen, vor allem sowohl den Militärdienst bei der Bundeswehr als auch den Zivildienst. Dafür werden sie strafrechtlich verfolgt. Wer den Bundeswehrdienst verweigert, kann wegen "Fahnenflucht" nach dem Wehrstrafgesetz mit bis zu fünf Jahren Knast bestraft werden; zusätzlich muß er damit rechnen, disziplinarrechtlich von der Bundeswehr mit mehrwöchigem Arrest belegt zu werden.
Wer den Zivildienst verweigert, kann ebenfalls mit bis zu fünf Jahren Knast wegen "Dienstflucht§ nach dem Zivildienstgesetz bestraft werden. Geldstrafen, Bewährungsstrafen aber auch mehrmonatige Haftstrafen sind in der Praxis die Regel, die wenigen Freisprüche lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen.
Ob aber die Verweigerung von Wehr und Zivildienst überhaupt ein strafbares Unrecht darstellt, ist mindestens äußerst fraglich. Denn das Grundgesetz garantiert in Art. 4 Abs. 1 die Unverletzlichkeit des Gewissens. Und daß Gewissensentscheidungen nicht nur innerpsychische Prozesse sind, sondern selbstverständlich praktische Handlungskonsequenzen haben können, ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Obwohl aber die meisten Strafgerichte die Verweigerungshandlungen der TKDVer als Ausfluss deren Gewissensentscheidungen ansehen, erfolgen dennoch Verurteilungen anstelle von Freisprüchen oder Verfahrenseinstellungen. Und das seit nunmehr 20 Jahren seitdem gibt es neben den Zeugen Jehovas, die schon immer aufgrund ihres Glaubens die Wehrpflicht verweigert haben Verweigerer, die ihre Gewissensentscheidung darauf stützen, daß Wehr und auch Zivildienst gleichermaßen kriegsvorbereitende und unterstützende Dienste sind.
Die Zentralstelle KDV hat diese Kriminalisierungspraxis zum Anlass genommen, unter dem Motto "Der Widerstreit zwischen Wehrpflicht und Gewissen" die Beteiligten bei einer Fachtagung Mitte November 1995 in Eisenach um einen Tisch zu versammeln. Und damit trafen erstmals in einem gleichberechtigten Rahmen Offiziere, Truppendienstrichter, Wehrverwaltungsvertreter, Staatsanwälte und Richter mit Rechtsanwälten und TKDVern zusammen. Konkrete Ergebnisse gab es nicht, was aber auch nicht beabsichtigt war.
Der Verlauf der Tagung war für viele totale Verweigerer und Vertreter der Mitgliedsverbände der Zentralstelle KDV mindestens auf den ersten Blick eher enttäuschend.
Der ehemalige Vizepräsident des Verfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz, stellte zwar in seinem Eröffnungsreferat fest, daß in der grundgesetzlichen Hierarchie die in Art. 4 Abs. 1 garantierte Gewissensfreiheit allererste Priorität habe, das KDV-Grundrecht nach Art 4 Abs. 3 lediglich eine konkrete Ausformung der Gewissensfreiheit und die in Art. 12a erlaubte - aber nicht vorgeschriebene - Wehrpflicht dagegen nachrangig sei. Insoweit kritisierte er die Rechtsprechung seines ehemaligen Gerichts. Allerdings hielt er - zunächst - 79 Zivildienstgesetz, der die Möglichkeit eines unbefristeten Dienstes für alle KDVer im sog. Verteidigungsfall vorsieht und damit einen zentralen Punkt in der Argumentation totaler Verweigerer darstellt, daß auch der Zivildienst in der Konsequenz Kriegsdienst ist, nicht für geeignet, darauf eine Gewissensentscheidung gegen die Wehrpflicht zu gründen.
Der Vortrag eines Offiziers aus dem Führungsstab der Streitkräfte im Verteidigungsministerium geriet vor dem außerordentlich sachkundigen Publikum deshalb eher zu einer peinlichen Veranstaltung, weil er sich offensichtlich auf die offiziellen Verlautbarungen seines Ministeriums beschränken mußte. Bei dem "Fachgespräch unter Praktikern" wurde noch einmal deutlich, wie weit die Positionen auseinanderliegen. Der Argumentation der TKDVer wurde überwiegend formal begegnet, ohne dem Anspruch der Gewissensfreiheit gerecht zu werden. Vor dem Hintergrund, daß KDVer auch schon im Kaiserreich und in Nazi-Deutschland ins Gefängnis gesteckt wurden, ist eine solche Herangehensweise problematisch.
Was bleibt also?
Der Vortrag des Bremer Rechtsanwalts Günter Werner über die Entwicklung der Rechtsprechung gegen TKDVer bildet eine wichtige Grundlage für die weitere Arbeit, weil er nicht nur formal sondern auch inhaltlich den problematischen Umgang des Staates mit den TKDVern detailliert aufzeigte.
Die Sensibilität der meisten Tagungsteilnehmer,die sich nach intensiven Diskussionen von der Argumentation der TKDVer beeindruckt zeigten und eingestanden, "neu nachdenken" zu müssen. Die Tagung hat deutlich gemacht, daß die Spannung zwischen Gewissen und Wehrpflicht im Kern unüberwindlich ist. Letztlich ist die Kriminalisierungspraxis ein verzweifelter und untauglicher Versuch, administrativ die Wehrpflicht mit allen Mitteln zu retten - auf Kosten der Gewissensfreiheit.