Zwischen Lähmung und Aufbruch

Sarajevo nach dem Krieg

von Andreas Knoth
Schwerpunkt
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Andreas Knoth war 1992/ 1993 Freiwilliger in den USA und hat das Jugendzentrum Mladi Most (West-Mostar) mit aufgebaut; seit November 1996 ist er als Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste im Projekt Wings of Hope in Sarajevo tätig.

Die Arbeit der Stiftung Wings of Hope (Flügel der Hoffnung) in Sarajevo ist in den letzten Monaten auf verschiedenen Wegen mit zahlreichen Erfolgen und Hindernissen vorangeschritten. Neben dem Geschäftsführer Filip imic und dem Koordinator der Therapierprogramme Ejub Cehic arbeiten seit November 1996 Marija Saric und ich als Freiwillige für die Stiftung. Auch Marija war zuvor Mitarbeiterin des Projekts Mladi Most (Junge Brücke) in Mostar.

Den Kern der Tätigkeit von Wings of Hope bildeten bisher die therapeutischen Programme für kriegstraumatisierte Kinder. Die zweimonatigen Maßnahmen finden täglichen in städtischen Kindergärten nach dem regulären Betrieb statt und umfassen pro Monat drei Gruppen mit je 15 Kindern im Alter von fünf bis sieben Jahren. Priorität bei der Aufnahme haben Kinder, die im Krieg einem Elternteil verloren haben, Kinder mit zum Teil schweren Verwundungen und mit besonders gravierenden psychischen Störungen.

Der Schwerpunkt der von Professor Cehic konzipierten Therapie liegt auf spielerischen und kreativen Übungen der motorischen und sensorischen Fähigkeiten, mit denen Schritt für Schritt die Fähigkeiten der Kinder im sozialen Umfeld gefördert werden sollen. Das bedeutet für die Kinder, Beobachtungs- und Ausdrucksmöglichkeiten zu lernen, das Spielen wiederzuentdecken und durch Geschicklichkeit, Rhythmus- und Balanceübungen ein aktives Gleichgewicht wiederzufinden. Beeindruckend ist, welche Fortschritte die Kinder machen und wie ihre Störungen zurück gehen, was auch ohne große Fachkenntnis schnell zu erkennen ist.

Den Abschluß jedes Therapieprogramms bildet ein Aufenthalt zur psychologischen Rehabilitation außerhalb Sarajevos, wie Feriencamps an der dalmatinischen Küste oder Aufenthalte bei Gastfamilien in Italien. 1997 werden nach derzeitiger Planung etwa 600 Kinder an dem Therapieprogramm teilnehmen.

Auch die Jugendlichen in Sarajevo sind von den Geschehnissen des Krieges schwer beeinträchtigt und haben einen ebensolchen Bedarf an therapeutischer Hilfe und Unterstützung wie die Kinder. Allerdings ist der Begriff „Therapie“ für die Jugendlieben ein rotes Tuch, so daß zunächst auf andere Weise mit ihnen gearbeitet werden muß. Ähnlich wie die Kinder begegnen viele Jugendliche der unübersichtlichem Nachkriegssituation mit einer weitaus größeren Anpassungsfähigkeit als die meisten Erwachsenen. Dabei sind ihre Probleme - im Vergleich zu denen der· Kinder - meist wesentlich greifbarer. Es geht einerseits um die Rückgewinnung eines normalen Teenagerlebens mit Liebe, Musik und Samstagabenden und andererseits um längerfristige Perspektiven, Ausbildung und Arbeit. Was den Umgang mit diesen Problemen betrifft, teilen sich die Jugendlichen in zwei Gruppen auf. Die einen warten eher passiv ab und reagieren auf die Perspektivlosigkeit mit Depressionen, während die anderen das Licht am Ende des Tunnels als Chance des Neuanfangs nutzen und oft auf eigene Faust, ganz im Sinne des freien Marktes, aktiv werden. In der Arbeit von Wings of Hope wird versucht. Anregungen und Zukunftsorientierung für noch Perspektivlose zu entwickeln und denjenigen, die für sich bereits eine Perspektive gefunden haben, Unterstützung und Vernetzungsmöglichkeiten anzubieten.

Ein weiteres wichtiges Feld unserer Arbeit war in den letzten Monaten die Unterstützung einer StudentInnengruppe der Universität Sarajevo, die dabei ist, ein Netzwerk von Gruppen in Mostar, Banja Luka und Sarajevo aufzubauen. Durch die persönlichen Kontakte über die ethnischen Grenzen hinweg sind bereits Freundschaften entstanden, die zur Grundlage für ein neues Miteinander werden sollen. Die Gruppe aus Sarajevo 1996 durch die Vermittlung von Wings of Hope an dem internationalen Jugendbegegnungstreffen in Dachau teil. Die verschiedenen Gruppen werden sich im Sommer 1997 bei einer Begegnungscamp in Italien teffen, das von Wings of Hope organisiert wird. Dort sollen vor allem Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft in Bosnien-Herzegowina erarbeitet werden.

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Andreas Knoth