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GIFTGAS - KLAGE
Schnellabzug im Vorwahlkampf verhindert nötige Sicherheit
vonAm 7. März 1990 verpackten die Regierenden das, was sie über den Chemiewaffen-Abzug publiziert haben wollten, in eine große Presse-Schau, während weiterhin die in der Vereinbarung zwischen US- und Bundesregierung festgeschriebene "restriktive Informationspolitik" geübt wurde. Bekannt wurde , daß in Clausen in der Pfalz 102.000 Granaten deponiert waren, die mit den Nervengasen VX ( 0,015 g genügen, einen Menschen innerhalb weniger Minuten qualvoll zu töten) und Sarin (GB, schnelltötende Dosis bei 0,03 g) gefüllt sind.
In der Folge wurden von Katastrophenschützern, die sich unterinformiert fühlten und deshalb in Sorge waren, die Gefahren des Abzugs der hochtoxischen Substanzen nicht abwehren/bekämpfen zu können, von MedizinerInnen und unabhängigen Fachleuten starke Vorbehalte gegen das Ex-und-Hopp-Abzugs-Konzept laut.
Der Bremerhavener Appell , Publikationen des AK Giftgas auf der Schiene, ein Plakat des Friedensbüros in Göttingen, eine Brief-Aktion an Bundesverteidigungsminister und eine Umfrage des Vereins der demokratischen érztinnen und érzte und Fragen an viele Kommunen und medizinische Einrichtungen deckten die ungenügende Vorbereitung des Transports auf und protestierten dagegen.
Zur Anhörung der Grünen im Bundestag "C-Waffen - Todsicher!" (Dokumentation erhältlich im Büro Angelika Beer, MdB, Die Grünen im Bundestag, 53 Bonn) waren außer Katstrophenschützern, Chemikern, und Umweltverbänden auch Menschen aus der Gegend der Welt eingeladen, in die der giftige Müll der Abschreckung von der Pfalz aus gebracht werden soll: Eine Delegation aus dem Südpazifik, wo das Johnston-Atoll liegt, das "unsere" Nervengasgranaten aufnehmen und deren Verbrennung aushalten soll, berichtete über den Protest des hawaiianischen Parlaments gegen das Vorhaben auf dem rund 1.000 Kilometern entfernten Atoll.
Der von den TeilnehmerInnen der Anhörung verabschiedete "Bonner Appell gegen Giftgas" fordert die Vernichtung chemischer Waffen so sicher und nicht so schnell wie möglich zu bewirken, die Desinformationspolitik zu beenden und eine vergleichende Risikostudie über die gefahrenärmste Form der Vernichtung zu erstellen.
Die Grünen versuchten, parlamentarisch Korrekturen am Abzugs-Konzept zu erreichen - z.B. Schließung der umliegenden US-Luftwaffenbasen während der Transporte, eine Aussetzung des Abtransports zwecks Beteiligung unabhängiger Experten und Verbesserung der Risikovorsorge. All diese Anträge wurden abgelehnt.
Am 16.7.1990, reichten 12 Betroffene beim Verwaltungsgericht Köln den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein, um zu verhindern, daß der Abzug der chemischen Kampfstoffe der Streitkräfte der USA aus Rheinland-Pfalz unter unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen stattfindet. Der Antrag richtete sich gegen die Bundesregierung. Dieses Vorgehen wird von den GRöNEN unterstützt und finanziell ermöglicht. Dazu wurde ein Spendenkonto eingerichtet, damit die KlägerInnen finanziell möglichst stark entlastet werden. Die Kontonummer lautet: Sonderkonto Giftgas - Klage Kontonummer 100 403 326 bei der Sparda-Bank Köln, BLZ 370 605 90.
Die AntragstellerInnen, die zwischen Pirmasens und Bremen entlang der mutmaßlichen Transportstrecke für den Giftgasabzug wohnen, wendeten sich vor allem dagegen, daß hier der Transport der Chemiewaffen unter Bedingungen stattfinden soll, die in den USA unzulässig wären. In den USA hat man sich aus Sicherheitsgründen letztlich gegen jeden Transport von Giftgas - auch desjenigen aus europäischen Lagerorten - auf amerikanischem Boden entschieden. Dort ist in langen, umfangreichen und vor allem öffentlichen Verfahren unter Beteiligung unabhängiger Gutachter untersucht worden, welche Gefahren durch den Transport des Giftgases entstehen und wie sie zu minimieren sind. Es ist unverständlich, wieso hierzulande der Abtransport in einem Eil- und Geheimverfahren ohne Beteiligung von ôffentlichkeit und unabhängigen Wissenschaftlern unter Mißachtung der in den USA entwickelten Standards vor sich gehen soll.
Es sind unter anderem folgende Mängel zu konstatieren, wegen derer das Abzugs-Konzept angefochten wird:
- Keine vergleichenden Risikostudien für die Vernichtung der US-Chemiewaffen-Bestände in der BRD , geschweige denn Offenlegung,
- Umweltverträglichkeitsstudien wurden, wenn überhaupt, in Geheimverfahren durchgeführt,
- Keine Beteiligung unabhängiger Experten am Abzugs-Konzept,
- Statt der in den USA entwickelten Spezial-Container für den Transport von Nervengasen werden einfache Transportcontainer der US Armee benutzt,
- Weder Zeitpunkt noch Streckenführung für die Transporte wurden offengelegt, sodaß die betroffene Bevölkerung keine Chance hat, sich darauf einzurichten,
- Lagerung der C-Waffen unter freiem Himmel und in dafür ungeeigneten Hallen in Miesau und Nordenham,
- Vor Ort für den Katastrophenschutz zuständige Institutionen sind, sofern überhaupt, viel zu spät und ungenügend über den Abzug, seine Risiken und Gegenmaßnahmen informiert worden. Die Zuständigkeit des US-Militärs für die medizinische Versorgung steht in der schlechten Tradition des Organisationschaos bei der Flugtag-Katastrophe in Ramstein. Wiederum sind Zuständigkeiten nicht klar abgegrenzt und Sprachprobleme als Koordinationshürden zur befürchten.
- Für die Menschen in Nordenham und Umgebung stellen sich weitere Fragen: Es ist immer noch fraglich, ob die für den Seetransport vorgesehenen Schiffe zur Verfügung stehen.
- Die für die Verbrennung der C-Waffen aus Clausen vorgesehene Anlage auf dem Johnston-Atoll hatte noch keinen ausreichenden Probebetrieb hinter sich (15 Einheiten statt der vom Kongreß geforderten 800 wurden bisher vernichtet). Es bestehen öberlegungen bei Gruppen im Pazifik, gegen die Verbrennung von Giftgas auf Johnston Atoll gerichtlich vorzugehen. Diese Frage wird beim South Pacific Forum vom 26.7.-2.8.90 in Vanatu, einem Gipfel der Staatschefs der Pazifik-Staaten, zu denen neben Mikronesien und Papua Neu Guinea auch Neuseeland und Australien gehören, ein Haupt-Diskussions-Thema sein.
Die Antragsschrift der KlägerInnengemeinschaft gegen den derzeit geplanten C-Waffen-Abzug aus der BRD geht davon aus, daß die betroffene Bevölkerung durch den Transport derartigen Gefahren ausgesetzt ist, die einem Eingriff in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2, Abs. 2, Satz 1 GG) entsprechen.. Dieser Eingriff ist jedenfalls rechtswidrig, wenn die ergriffenen Schutzmaßnahmen nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. In ihrer Ansicht, daß die Schutzmaßnahmen nicht ausreichen, wurden die Betroffenen durch Ausarbeitungen der Naturwissenschaftler-Initiative "Verantwortung für den Frieden" unterstützt.
Obwohl das Verwaltungsgericht Köln es abgelehnt hat, vorläufigen Rechtsschutz gegen den Transport der Chemiewaffen zu gewähren, bewertete es die KlägerInnengemeinschaft als Erfolg, daß die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu dem Antrag auf Einstweilige Anordnung Unterlagen der ôffentlichkeit zugänglich machte, die sie bis dahin unter Verschluß gehalten hatte. Wäre dies schon früher geschehen, hätte eine sachlichere und sorgfältigere Auseinandersetzung über das Sicherheitskonzept stattfinden können. Allein die Tatsache, daß z.B. die Ausnahmegenehmigung für den Transport auf der Schiene am 5.7.1990 erneuert wurde und die Datierung der "Exceptional Authorization for the Road Transport" vom 19.7. 90 drei Tage nach Einreichung des Antrags auf einstweilige Anordnung zeigen, daß die formalrechtlichen Grundlagen für den Abzug teilweise erst während des laufenden Prozesses geschaffen wurden und das Konzept mit heißer Nadel gestrickt ist. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde am 24. Juli Beschwerde beim Oberverwaltungssgericht Münster eingelegt. Dieses brauchte knapp 24 Stunden und eineinhalb Seiten Begründung, um die Beschwerde abzulehnen. Die Bereitschaft des Gerichts, der Regierung blind zu vertrauen und die Anliegen und Sorgen der betroffenen BürgerInnen mit einer Floskel vom Tisch zu wischen, hat selbst hartgesottene JustizkennerInnen in der KlägerInnengemeinschaft zutiefst schockiert. Keine 12 Stunden nach der rechtskräftigen Entscheidung wurde mit den Transporten begonnen. Die dabei zu beobachtenden Flüge amerikanischer Düsenjäger nahe dem Konvoi schienen dem Hohn über die Sorgen und Einsprüche der Bevölkerung gegen das Transportkonzept die Krone aufsetzen zu wollen.
Die KlägerInnengemeinschaft ist sich einig darüber, daß nach dem Beginn der Transporte sinnvollerweise keinerlei weitere Aktivitäten zum Abzug des Stopps in Frage kommen. Jetzt, da die Container einmal aus dem Clausener Depot herausgefahren sind und größtenteils bereits in Miesau unter offenem Himmel lagern, kann jede weitere Verzögerung/Blockierung das ohnehin viel zu große Risiko dieser Horror-Konvois nur noch erhöhen.
Es gibt Presseberichte über Vorhaben einer Bremer Gruppe und von hessischen Kommunalpolitikern, nun noch andere Klage-Wege zu beschreiten. Es ist zu hoffen, daß dies nicht zur Folge hat, daß die Granaten noch länger in Miesau - open air - oder in Nordenham - in einer dafür völlig ungeeigneten Halle - vor sich hingammeln. Das wäre ein schlechter Dienst für die Sicherheit der BürgerInnen drumherum