Projekt zu Kindersoldaten in Uganda

Schüler unterrichten Schüler

von Michael Blum

In dem folgenden Beitrag geht es um ein Schulprojekt zum Thema Kindersoldaten, das seit 2006 in einer bayrischen Schule durchgeführt wird.

Anlass, Anliegen und Ziel
Konkreter Anlass unserer Auseinandersetzung mit Kindersoldaten in Uganda war ein ökumenischer Festgottesdienst zum Internationalen Tag der Kindersoldaten am 12. Februar 2006 in St. Bonifatius in München. Auf dem anschließenden Empfang sprach China Keitetsi, die den mehr als 300.000 Kindersoldaten weltweit eine Stimme gibt, von ihrer Opferrolle, aber auch von ihrer Täterrolle als Kindersoldatin und von ihren traumatischen Erlebnissen als Soldatin in der ugandischen Widerstandsarmee National Resistance Army (NRA). (Genaueres unter: Zu dieser Veranstaltung waren wir, die Klasse 11a samt Religionslehrer, über die Landeszentrale für politische Bildung eingeladen worden. Vielleicht muss man - wie ich es 2006 zufällig tat - eine Klasse sehr lange kennen, um sie zum Besuch einer solchen Veranstaltung zu überreden, aber es gingen spontan viele Schüler mit und ihre Reaktion war schlicht Erschütterung. In dieses Gefühl hinein zeigte ein kleines Münchner Kino den Film „Lost Children“ Der Film ist das Portrait von vier Kindersoldaten zwischen acht und vierzehn die nach gelungener Flucht aus den Buschlagern der Rebellen nur Eines wollen: Wieder Kind sein und leben. Nach dieser brutalen Dokumentation war den Schülern vollends klar: Wir wollen etwas machen.

Aber was?
Ich entschied mich gegen „normalen Unterricht“, denn ich wusste über Kindersoldaten nicht mehr und nicht weniger als die SchülerInnen. Sie entschieden sich gegen eine Sammlung, einen Projekttag oder eine ähnliche Aktion, denn sie wollten erst einmal gezielt und genau informieren und aufklären. Nachhaltigkeit - so ihre Meinung - braucht solide Kenntnis. So entschieden wir uns dafür, zunächst gemeinsam unser Wissen über Kindersoldaten in Uganda zu mehren und zu sortieren, um schließlich eine Unterrichtsstunde zu entwerfen, mit der je vier der Schüler durch andere Klassen „tingeln“.

Inhaltliche Aspekte unseres Projekts
Schnell stand fest, dass wir„nur“ über Kindersoldaten in Uganda berichten wollten, denn schließlich war die Begegnung mit China Keitetsis unser Initiationserlebnis gewesen. Außerdem sagten wir uns: Nur wer über ein klar abgegrenztes Thema referiert, arbeitet redlich und genau. So lasen wir zunächst in „Heimarbeit“ Chinas Buch „Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr“ und gliederten hernach - im Unterrichtsgespräch - das Thema für uns in folgende vier Aspekte: „Der Alltag eines Kindersoldaten“, „Geschichte Ugandas und politische Situation“, „Warum Kinder als Soldaten?“ und „Hilfsorganisationen“. Erst nach Klärung dieser Aspekte widmeten wir uns der Frage, was „man denn tun kann“, und kamen für uns zum Ergebnis, dass zunächst kleine „Hilfsaktionen“, die sich direkt aus der zu entwerfenden Unterrichtsstunde ergeben, in Frage kämen. Große Aktionen schienen uns zu weit weg von der konkreten Information: Wer stellt beim lustigen Torwandschießen am Projekttag am Schuljahresende schließlich einen Bezug zum Thema Kindersoldaten her? Wir entschieden uns für eine Spenden- und eine Postkartenaktion. So erwarben wir vorab einige Patronen-Kreuze von Missio, die von ehemaligen Kindersoldaten aus Patronenhülsen angefertigt werden, und verkauften sie an interessierte Schüler weiter. Jedem Schüler händigten wir zu Stundenende auch eine Postkarte der Deutschen Gesellschaft für bedrohte Völker aus (Wir kontrollierten deren Rückgabe oder Einsendung natürlich nicht, hetzten die Schüler aber auf, bereits am Mittagstisch mit ihren Eltern über eine Unterschrift zu diskutieren.)

Vorgehensweise im Unterricht: Erstellung der Unterrichtseinheit „Schüler für Schüler“
Dieses „Projekt“ hat natürlich viel Unterrichtszeit „gekostet“. „Aber“ die SchülerInnen haben im Laufe der Erarbeitung des Themas, der didaktischen Aufarbeitung ihres Wissens und nicht zuletzt beim Halten einer Unterrichtsstunde vor Mitschülern inhaltlich, methodisch und menschlich viel gelernt.

Hier eine kurze Verlaufsskizze des Projekts:
Phase 1 (Betroffenheit): Der Diskussion über Empfinden und eigenem Umgang mit China Keitesis Vortrag und dem Film „Lost Children“ folgte auch eine Diskussion über das eigene „Kindsein“.

Phase 2 (Informationsbeschaffung): Zuhause und im Unterricht wurde Chinas Buch gelesen und im Internet gesurft, mit Hilfsorganisationen telefoniert und in der Bibliothek gesucht. Jeder Schüler/ jede Schülerin musste sich in einer Gruppe zu vier Leuten einem der vier Themen widmen und dieses als Referat aufarbeiten, was neben der Recherche eine kleine Powerpointpräsentation und eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in übersichtlichem Layout und verständlicher Sprache umfasste.

Phase 3 (Didaktische Aufbereitung): Da „normale“ Schulklassen mit vier aufeinanderfolgenden Powerpointpräsentationen nicht bei der Stange zu halten sind, beschlossen wir, die Schulstunde nicht mit „Wir halten Euch heute ein Referat über ...“ zu beginnen, sondern die vier Referenten jeweils stumm die Klasse betreten und „Schließt bitte die Augen!“ an die Tafel schreiben zu lassen. Dem folgte eine Toneinblendung, in der Dschungelgeräusche nach und nach von Maschinengewehrsalven durchsetzt wurden. In die zerstörte Idylle wurde eine Passage aus China Keitesis Buch gelesen, die die Wirkung und Assoziationen des Kriegslärms in Kinderohren beschreibt. Nach dem Informationsblock in der Stunde gab es schließlich eine Art „Lernzielkontrolle“ im gemeinsamen Ausfüllen des Lückentextes auf dem ausgeteilten Flyer, den jeder Schüler mit nach Hause nehmen konnte und der für jeden auch noch einmal die wichtigsten Informationen zusammenfasste. Hier bot sich auch Raum für Diskussion und Schüleräußerungen. Denn Zwischenfragen waren zwar stets willkommen, doch klar war auch: Wer mitreden und diskutieren will, muss sich erst einmal solide informieren. Auf dem genannten Faltblatt befindet sich auch ein Quiz. Es fasst wichtige Inhalte des Themas noch einmal zusammen. Die SchülerInnen konnten den ausgefüllten Abschnitt noch mehrere Wochen lang abgeben. Am Ende des Schuljahres wurde ein Sieger ausgelost, der einen Gutschein für den „Missio-Laden“ erhielt.

Phase 4 (Probe): Je vier SchülerInnen bildeten fortan an ein Team. Dabei hatte jeder in der Informationsphase ein anderes Thema bearbeitet. Zusammen mit „Anfang“ und „Schluss“ konnte nun jedes Team zuhause eine Unterrichtsstunde à 45 Minuten zusammenpuzzeln. Ein Team wurde ausgesucht und hielt - sozusagen als Generalprobe - eine Unterrichtsstunde vor den Klassenkameraden. Dabei wurden keine Unterbrechungen erlaubt. Zwischenfragen à la „normaler“ Schulklasse jedoch simuliert. Jede/r war aufgefordert, sich allgemeine didaktische Notizen zu machen und zu dem Thema, das auch er in der Informationsphase behandelt hatte, auch inhaltliche Anmerkungen festzuhalten. In der letzten Stunde des Projekts wurde besprochen, wo noch zu kürzen sei, was am Auftreten noch verändert werden müsse und was wie noch einmal besonders zu betonen sei.

Abschließend äußerte jedes Team zwei Klassenwünsche, sprach die betroffenen Lehrkräfte an und besuchte in den folgenden sechs Wochen diese beiden Klassen im Deutsch-, Religions-, Ethik, Sozialkunde- oder Erdkundeunterricht. Dabei zeichnete sich jeweils ein Schüler für einen der vier Unterrichtsteile besonders verantwortlich.

Phase 5 (Nachbereitung): Die SchülerInnen mussten rückblickend einen Fragebogen zur Zusammenarbeit in der Gruppe ausfüllen, die besuchten Lehrkräfte wurden um kurze schriftliche Statements gebeten und in einer „allerletzten“ Stunde wurden persönliche Eindrücke und Erfahrungen ausgetauscht. Last but not least wurde die Aktion für Schülerzeitung, Jahresbericht und Homepage aufbereitet. Und natürlich gabs am Schuljahresende doch ein kleines Torwandschießen, getreu dem Motto: Auf Tore schießen statt auf Menschen!

Mein persönliches Fazit
Kein Wunder, dass das Projekt lange währte, denn es war gut. Gut, weil etwas blieb: Nämlich Artikel, Flyer, Präsentation, aber vor allem: Nachhaltige Erfahrungen und Reifung und - glaubhaftes Aufrütteln von Schülern durch Schüler.

Internetquellen für die im Artikel genannten Materialien
China Keitetsi: http://www.chinakeitetsi.info/content/view/49/110/lang,de/)

Film „Lost Children“: http://www.lost-children.de/

Powerpointpräsentation: http://carl-orff-gym.de/bilder/faecherportal/r/lostchildren.ppt

Patronen- Kreuze siehe: http://www.missio.at/mission-hilft/aktionen-setzen/patronen-kreuz.html)

Aktion der Gesellschaft für bedrohte Völker: http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=523&stayInsideTree=1)

Flyer: http://carl-orff-gym.de/homepage/seite_Projekt:%20Kindersoldaten_708.html)

Homepage zum Projekt: (http://carl-orff-gym.de/homepage/seite_Projekt:%20Kindersoldaten_708.html)

Torwandschießen: http://www.volltreffer.de/)

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Michael Blum ist Lehrer für Mathematik, Katholische Religionslehre und Theater am Carl-Orff-Gymnasium in München. Er kann unter MBlum@carl-orff-gym.de erreicht werden.