SchülerInnen gegen den Krieg

von Philipp Vehreschild

"Guten Morgen, es ist Krieg": Diese traurige Botschaft stand am Tag X auf den Flugblättern von "Jugend gegen Krieg" in Kassel, mit denen zum Schülerstreik gegen den Krieg mobilisiert wurde, denn in der vorangegangenen Nacht hatte die US-Regierung den Beginn ihres Krieges um Öl-Profite gegen den Irak befohlen. Um acht Uhr standen SchülerInnen vor ihren Schulen, die ihre MitschülerInnen mit Transparenten, Megaphonen und Flugblättern aufforderten, nicht in die Schule zu gehen, da dieser Schultag keiner wie jeder andere war: Ein neuer Krieg hat begonnen und die Anti-Kriegs-Komitees der Kasseler Schulen haben aufgerufen bei diesem nicht alltäglichen Ereignis auch nicht dem Schulalltag nachzugehen. Tausende SchülerInnen versammelten sich vor den Schulen in Kassel und Umgebung, folgten dem Aufruf und setzten ein klares Zeichen gegen diesen Krieg.

Aus allen Richtungen strömten Züge mit SchülerInnen in Richtung Innenstadt. Lautstark machten sie ihren Unmut gegen den Krieg deutlich. Vor dem Treffpunkt, dem Kasseler Rathaus, wird am Fahnenmast ein Schild hochgezogen auf dem: "Kein Blut für Öl!" steht. Schilder mit derselben Aufschrift werden bald auch von SchülerInnen gehalten, die aus den offenen Fenstern und von den Balkonen des Rathauses den RednerInnen applaudieren.

Ein Demonstrationszug mit mehr als 10.000 Jugendlichen bewegte sich durch die Kasseler Innenstadt zum Staatstheater, bejubelt von LKW-FahrerInnen, von BauarbeiterInnen und Passanten. In Kassel hatte es das vorher noch nie gegeben.

Bundesweit spielte sich von Köln bis Berlin das gleiche Ereignis in mehr als 16 Städten ab. Die Kampagne "Jugend gegen den Krieg!" schaffte es, mehr als 200.000 SchülerInnen zum Streiken zu bewegen. Der Irakkrieg politisierte eine Reihe von Jugendlichen zum ersten Mal oder war die Fortsetzung des Protestes vieler Jugendlicher gegen die kapitalistische Globalisierung.

In den Medien wurde dieser Streik zuerst als eine Spontanreaktion der Jugendlichen dargestellt, die mit Handys am Morgen des Tag X abgesprochen worden wäre. Doch es steckte eine gründliche Vorbereitung und Organisation hinter den Streiks. Schon seit Anfang des Jahres bildeten sich an den einzelnen Schulen Anti-Kriegs-Komitees, die sich stadt- und bundesweit vernetzten. Die SchülerInnen informierten sich z.B. mit Referaten auf den regelmäßigen Treffen über die Hintergründe und aktuellen Ereignisse des Krieges und führten schon im Vorfeld des Krieges verschiedene Aktionen vor Betrieben durch, um klarzumachen, dass dieser Krieg verhindert werden könnte, wenn die lohnabhängig Beschäftigten gegen diesen Krieg streiken würden.

In Flugblättern, Pressemitteilungen und den Reden am Tag X sowie jeder anderen Veranstaltung machten die SchülerInnen klar, dass sie wegen mehr als spontaner Empörung oder Lust am Schuleschwänzen gegen diesen Krieg auf die Straße gehen. Denn Bush, Blair & Co griffen den Irak gegen den Willen der eigenen und der weltweiten Bevölkerung an, um ihre Interessen in der Region durchzusetzen. Das Regime um Saddam Hussein war ein Stachel im Fleisch der Herrschenden, vor allem in den USA. Durch die bloße Existenz eines Staates, der nicht nach ihrer Pfeife tanzt, besteht die Gefahr, dass dieser zu einer Vorbildfunktion für andere wird. Mehr ins Gewicht aber fällt die Tatsache, dass dieses Regime nicht nur nicht mit den USA kooperiert hat sondern zudem die zweitmeisten Ölreserven auf der Welt im Irak lagern. Ein Regimewechsel im Irak ist also für die Herrschenden in den USA eine Investition für die Zukunft. Zumal die USA abhängig von dem wichtigsten Energieträger der Welt sind, wie kaum ein anderes Land. Sie haben den weltweit höchsten Energieverbrauch. 50 Prozent des in den USA verbrauchten Öls werden importiert. Die bisherigen Hauptlieferanten Venezuela und Saudi Arabien sind mittlerweile unsichere Kandidaten für eine stabile Ölzufuhr. Der venezuelische Präsident, der Linkspopulist Chavez, konnte nicht durch einen vom CIA initiierten Militärputsch gestürzt werden, und in Saudi Arabien droht der Sturz des Regimes durch das wütende Volk. Die USA müssen also andere Optionen in Betracht ziehen um, an ihr Öl zu kommen. Neben dem Öl spielten sicher auch geostrategische Interessen eine Rolle. Nachdem für Bush und Blair Saudi Arabien unsicher wird, brauchen sie eine neue Anlaufstelle, über die sie in der Region schalten und walten können wie sie und die Bosse der Ölkonzerne es wollen. Abgesehen davon stehen in den USA bald wieder Wahlen an und die Bilanz von Bush ist bisher nicht berauschend: Wahlbetrug, Steuergeschenke für die Reichen, eine Wirtschaftskrise, die auf dem Rücken der Lohnabhängigen ausgetragen wird, usw. stärken nicht gerade die Chancen auf seine Wiederwahl. Auch Blairs Situation sieht nicht besser aus. Im Gegensatz zu z.B. Frankreich, Russland und Deutschland hatten er und Bush keine florierenden Wirtschaftsbeziehungen mit Saddam Hussein, und sie hatten keine Vorverträge über das irakische Öl, welche jetzt durch den Sturz des Regimes von Saddam Hussein null und nichtig sind. Jetzt kann die irakische Ölindustrie unter dem Protektorat der US-Regierung privatisiert und durch britische und US-Ölkonzerne wie ExxonMobil, BP usw. ausgebeutet werden. Den Preis zahlen die lohnabhängig Beschäftigten, die die Kosten für diesen Krieg tragen müssen, aber noch mehr die Irakis, die durch diesen Krieg ums Leben kamen oder in noch tieferes Elend gestürzt wurden.

Doch auch die deutsche Bundesregierung wurde in Redebeiträgen und Sprechchören von den SchülerInnen immer wieder trotz aller pazifistischer Rhetorik scharf kritisiert. Denn die Nichtbeteiligung am Krieg, die von Schröder und Fischer öffentlich gepredigt wurde, war in der Praxis das genaue Gegenteil: Sie waren es, die zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg deutsche Soldaten in Kriege schickten, nach den Beteiligungen am Kosovokrieg und am Afghanistankrieg hatten sie schon bei vielen ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Nun haben sie die zweitmeisten Soldaten nach den USA in aller Welt stationiert. Deutschland dient als Drehscheibe für den Nachschub der US-Truppen am Golf, US-Bomber dürfen auf ihrem Weg in den Irak den deutschen Luftraum durchqueren, deutsche Soldaten sitzen in den AWACS-Aufklärern der NATO, und das Kontingent der deutschen Panzer in Kuwait wurde nicht abgezogen, sondern aufgestockt, und das alles weil die Bundesregierung andere ökonomische Interessen als die US-Regierung im Irak vertritt. Doch da die USA die einzige Supermacht der Welt ist - militärisch, politisch und wirtschaftlich - kommt eine wirkliche Machtprobe mit ihr nicht in Frage, geht es doch darum, deutschen Konzernen ein möglichst großes Stück des Kuchens bei der Aufteilung des Irak nach Saddam Hussein zu sichern. Nicht zuletzt deswegen führte die Demoroute beim Schülerstreik in Hamburg zur SPD-Parteizentrale.

Fast zynisch ist es, dass Schröder am 14.02.2003 in seiner Regierungserklärung die weitere Zerschlagung des Sozialstaates auf allen Ebenen ankündigte. Zeitgleich legen nämlich die Opfer dieser Maßnahmen symbolisch für 10 Minuten gegen den Krieg die Arbeit nieder. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hatte hierzu aufgerufen. Dem Aufruf folgten europaweit Millionen Lohnabhängige. Die streikenden Jugendlichen begrüßten diese Maßnahme. Sie verkündeten bei ihrem Streik, dass der Krieg nicht geführt werden könne, wenn weltweit die Eltern der streikenden SchülerInnen, zumindest in den zentralen Produktionsstätten und Transportschlüsselstellen die Arbeit niederlegen würden. Gute Beispiele hierfür sind, dass sich in Schottland Zugführer geweigert haben, Munition für den Krieg zu transportieren, und dass sich in Australien und Italien Hafenarbeiter weigerten, US-Kriegsschiffe zu beladen.

Die Aufgabe der Jugend in dieser Antikriegsbewegung ist es, dass sie mit Aktionen wie dem Schülerstreik die Bewegung inspiriert, aber die Jugend kann keinen ökonomischen, sondern nur politischen Druck ausüben. Damit die Antikriegsbewegung in Zukunft erfolgreich Kriege verhindern kann, können die im Zuge dieses Krieges ergriffenen Protestformen nur ein Anfang sein. Sie zeigen aber auch, dass es möglich ist (nicht nur) die Herrschenden der USA in ihre Schranken zu weisen, wenn die breitesten Schichten der Gesellschaft zusammen für ihre Rechte und Bedürfnisse wie Frieden eintreten.

Während Bush & Co sich nun in ihrem Kurs bestätigt sehen und sofort neue Kriegsziele ins Fadenkreuz nehmen, gehen die permanenten Angriffe der gleichen Politiker, die diesen Krieg geführt haben, auf die Sozialsysteme und die elementarsten Bedürfnisse der Menschen wie Gesundheit etc. weiter. Die Proteste gegen Aufrüstung, Militarismus und Krieg dürfen nicht losgelöst von den direkt damit verbundenen sozialen Fragen wie Massenarbeitslosigkeit, Armut, Hunger oder Sozialabbau geführt werden. Die Schülerproteste während des Irakkriegs waren hierfür ein gutes Beispiel und sollten in Zukunft auch auf andere gesellschaftliche Schichten übergreifen, damit wir eines Tages in einer Welt ohne Kriege oder Armut leben können, denn Frieden heißt mehr als einfach nur die Abwesenheit von Krieg!
 

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Philipp Vehreschild (19) ist Schüler an der Jacob-Grimm-Schule (JGS) in Kassel. Für die Antikriegskomitees der Kasseler Schulen / "Jugend gegen Krieg!"