Die Gleichstellungskampagne für schwule Soldaten

Schwule Soldaten: Gleichberechtigtes Tötenlernen als Emanzipation?

von Achim Schmitz
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In den letzten Jahren wird in mehreren Ländern die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben im Militär gefordert. Soldaten der Bundeswehr werden bei Bekanntwerden ihrer Homosexualität oft nicht in Vorgesetztenpositionen übernommen, da dies einen Autoritätsverlust und eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Truppe bedeuten könne. Gegen diese und andere Diskriminierungen hat sich der Bundesweite Arbeitskreis Schwuler Soldaten (BASS) gegründet. Eine ideologische Auseinandersetzung über Sinn oder Unsinn der Bundeswehr wird dort nicht geführt; vielmehr bekennt sich BASS zu den aus dem Dienst abgeleiteten Pflichten.

Paradigmenwechsel in der Schwulenbewegung

Eike Stedefeldt (1) kritisiert einen Paradigmenwechsel von einer ursprünglich friedensbewegten Spitze der Schwulenbewegung zu einer selbst von Vertretern der Grünen betriebenen Lobbyarbeit für schwule Soldaten ("Tötenlernen als neues Menschenrecht"). Volker Beck (SVD) (2)-Sprecher, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Kriegsdienstverweigerer, beklagte das "unerträgliche Ausmaß der Diskriminierung beim Männerbund Bundeswehr", die dazu führe, daß viele Schwule den Kriegsdienst verweigerten oder sich durch Atteste bescheinigen ließen, daß ihnen das Klima in der Bundeswehr nicht zuzumuten sei. (3) Noch am 26.1.1991 riefen die AIDS-Hilfe NRW, ACT UP und Gay Liberation Front mit Flugblättern zur Demonstration gegen den Golfkrieg auf und brachten einen eigenen schwul-lesbischen Block zustande. (4)

Der antimilitaristische Schwulenaktivist Peter Tatchell (5) beobachtet ebenfalls eine Einstellungsänderung britischer und amerikanischer Lesben- und Schwulenorganisationen gegenüber dem Militär. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren wurden Lesben und Schwule zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen. Ein Vierteljahrhundert später wurden beim "Lesbian & Gay Pride"-Marsch 1993 in London britische und amerikanische Kriegsveteranen dargestellt. Tatchell von der lesbisch-schwulen gewaltfreien Aktionsgruppe Outrage! (6) vertritt die Ansicht, daß Lesben und Schwule die Kooperation mit repressiven Institutionen wie dem Militär verweigern sollten.

Verschiedene Ansätze sozialer Bewegungen

Ulrike C. Wasmuht definiert eine soziale Bewegung als einen "Prozeß einer normativ-wertorientierten Bewußtseinsänderung [...], die eine Gesamt- oder Teilkritik am Status quo des bestehenden Gesellschaftssystems beinhaltet und von der ein `großer Teil` der Bevölkerung `betroffen` ist." (7) Die Lesben-/ Schwulenbewegung kann als soziale Bewegung bezeichnet werden, da in den letzten zehn bis zwanzig Jahren als Folge der Emanzipationsbemühungen von Lesben und Schwulen in Teilen der Bevölkerung eine Einstellungsänderung in Richtung Toleranz und Akzeptanz festzustellen ist. Ein "großer Teil" der Bevölkerung ist hierbei "betroffen", d.h. nach der Befragung des Wissenschaftlers Alfred C. Kinsey von 1947 kann davon ausgegangen werden, daß sich etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausschließlich oder überwiegend homosexuell verhalten. (8) Die Teilkritik am gesellschaftlichen Status quo wird in diesem Kontext in der Bürgerrechtspolitik z.B. des SVD geäußert. Eine Gesamtkritik am Status quo würde bedeuten, daß die gesamte patriarchale und heterosexistische (9) Gesellschaftsstruktur kritisiert wird, die neben antischwuler und antilesbischer Gewalt, Berufsverboten im kirchlichen Bereich, zahlreichen gesellschaftlichen und rechtlichen Diskriminierungen auch den menschenverachtenden, hierarchischen und heterosexistischen Männerbund Militär hervorbringt. Eine gemeinsame Status-quo-Gesamtkritik durch pazifistische Lesben, Schwule, Bisexuelle und Heterosexuelle an der herrschenden "Sicherheitspolitik" sowie an den o.g. lesben-/schwulenfeindlichen Zuständen (trotz der erreichten Verbesserungen) scheint mir ein sinnvoller Ansatz für friedenspolitisches Engagement zu sein.

Militärkritische Initiativen

Es gibt mehrere lesbisch-schwule Initiativen, die dem Militär kritisch gegenüberstehen. Dazu gehört die Initiative "Beck ab!" (10), die vergeblich versuchte, eine erneute Bundestagskandidatur Volker Becks auch deshalb zu verhindern, weil er für "gleichberechtigte" schwule Soldaten statt für Pazifismus stehe. In Wiesbaden gibt es die politische Lesben- und Schwulengruppe "Rosa Lüste" mit einem AK Linke Lesben und Schwule, der die "Funktion einer Armee für die Ausbeutung anderer Völker" (11) anprangert. In Berlin und Düsseldorf werden schwule Kriegsdienstverweigerer unterstützt; 1994 gründete sich der Verein "Schwule Kriegsdienstgegner e.V.", der auch für die Abschaffung des Militärs eintritt (Adressen s.u.). Gewaltfreie Emanzipation statt Gleichstellungspolitik im militär- und lesben-/schwulenpolitischen Kontext existieren nunmehr zwei gegensätzliche Positionen: Der bürgerliche Ansatz fordert die Gleichberechtigung ohne die Frage nach der Existenzberechtigung von Militär und Herrschaftsstrukturen; der emanzipatorische Ansatz fordert die Abschaffung des Militärs (also auch der Bundeswehr) und damit die Beseitigung einer Ursache für Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Ich vertrete den zweiten Standpunkt und denke, daß Emanzipation (auch in der "gay community") eine Auseinandersetzung mit patriarchalen Gewaltstrukturen erfordert. (12)

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Dr. Achim Schmitz ist Sozialwissenschaftler und Sozialpädagoge mit Schwerpunkt „Friedenspolitische Bildungsarbeit“ und Trainer für Gewaltfreiheit. Er promovierte zum Thema „Gewaltfreiheit trainieren“ an der Hochschule Vechta; sein Buch „Gewaltfreiheit trainieren“ erscheint 2010 beim Verlag Sozio Publishing in Belm-Vehrte.