Sechs einfache Wahrheiten über den Krieg im Nahen Osten

von Albert Scherr

Die folgenden Anmerkungen sind vor dem Hintergrund laufender Auseinandersetzung innerhalb der Friedensbewegungen und währen deiner israelisch- palästinensischen Jugendbegegnunsfreizeit geschrieben, die im Rahmen des Projekts „Ferien vom Krieg“ des Komitees für Grundrechte und Demokratie stattfindet. Sie zielen darauf, gegen aus meiner Sicht hoch problematische Formen der Kritik an der israelischen Kriegsführung und Politik Stellung zu beziehen die sich nicht mit einer gleichzeitigen Kritik der antiisraelischen und auch antisemitischen Hisbollah sowie der Terrorattentate und Raketenangriffe verbinden. Eine solche Kritik unterläuft die aus meiner Sicht zwingende Forderung, dass für eine friedenspolitische Positionierung zumindest gleiche Distanz gegenüber allen am aktuellen Konflikt beteiligten Seiten sowie eine hohe Sensibilität für antisemitische Tendenzen und Latenzen geboten ist.

1. Es gibt keine einfachen Wahrheiten. Der aktuelle Konflikt hat komplexe historische Voraussetzungen und an ihm ist eine komplexe Konstellation direkter-und indirekter Akteure beteiligt, die je eigene Interessen verfolgen und je eigene Positionen und Ideologien zum Einsatz bringen. Eine angemessene Analyse kann weder innere Konflikte innerhalb der. israelischen Politik und Gesellschaft, noch innerhalb des sog. ,,arabischen Lagers" ausblenden und hat auch in Rechnung zu stellen, dass die Interessen arabischer Staaten und palästinensische Interessen keineswegs identisch waren und sind.

2.  Israel ist, anders als gelegentlich aus Friedensbewegungskreisen zu hören ist, nicht schlicht ein „Flugzeugträger der USA". Üb.er die israelische Politik wird in Israel in konflikthaften Auseinandersetzungen entschieden. Die US-Regierung verfolgt eigene Interessen und ist auf die Zustimmung  unterschiedlicher Wählergruppen angewiesen, nicht zuletzt auf die starker christlich-fundamentalistischer Gruppen. Es gibt zwar auch eine jüdische Lobby in den USA. Wer aber glaubt, dass diese unmittelbar und direkt die Regierungspolitik. gegenüber Israel bestimmt, sitzt einem antisemitischen Vorurteil auf.

3. Die Hisbollah und Teile der Hamas wenden sich erklärtermaßen gegen eine Zwei-Staaten-Lösung und bestreiten das Existenzrecht eines israelisch-jüdischen Staates. Es werden unterschiedliche Visionen formuliert, die von einem palästinensischen Staat mit einer geduldeten jüdischen Minderheit bis zur Vertreibung aller Juden aus Palästina reichen. Der ideologische Kontext umfasst nicht „nur" antiisraelische sowie antizionistische, sondern auch antisemitische Strömungen.

4. Wer als Deutsche/r über Israel und Palästina redet. kann keine vermeintlich neutrale Position für sich in. Anspruch nehmen. Denn jede Thematisierung des eigenen Verhältnisses zu Israel ist immer auch eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Argumentationen, die dies ausblenden, verdrängen einen Hintergrund, ohne den auch die emotionalen Aufladungen der Kontroversen nicht verständlich sind. Solche emotionalen Aufladungen sind nicht vermeidbar, es kann nur versucht werden, sie so weit als möglich reflexiv einzuholen.

5. Aus dem Wissen um die Geschichte der Judenvernichtung können keine eindeutigen und direkten Folgerungen für die eigene Positionierung zum aktuellen Konflikt abgeleitet werden. Meines Erachtens markieren die Anerkennung des Existenzrechtes des israelischen Staates und die Ablehnung aller Formen des Antisemitismus-gleichwohl einen nicht zu Oberschreitenden Rahmen legitim zu führender Diskussionen in einer deutschen Perspektive. Von der Friedensbewegung ist zu erwarten, dass sie diesen Rahmen in einschlägigen Erklärungen auch explizit formuliert.

6. Mit Friedensappellen an die Hisbollah, die Hamas sowie die israelische Regierung wird die Friedensbewegung wenig erreichen. Aussichtsreicher ist es, Projekte und Gruppierungen in Israel und Palästina zu unterstützen, die auf Konfliktdeeskalation und nicht-militärische Lösungen hin-arbeiten.
Albert Schert ist Vorstandsmitglied im Komitee für Grundrechte und Demokratie. Er lehrt in Freiburg.

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Rubrik

Krisen und Kriege