Selbstverpflichtungen zum Widerstand gegen eine US-Intervention in Nicaragua (1984-86)

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Im August 1984 kündigte eine breite Koalition von Friedensorganisatio­nen in den USA eine Selbstverpflichtung zum Widerstand (a pledge of resistance) öffentlich an. Im Falle einer Invasion  oder einer wesentli­chen Eskalation in Nicaragua wollten viele Menschen aus allen Teilen des Landes massiven gewaltfreien Widerstand leisten.

Der Text der Selbstverpflichtung lautete folgendermaßen: "Wenn die USA Nica­ragua oder andere zentralamerikanische Staaten angreifen, bombardieren, Kampftruppen dorthin entsenden bzw. ihre Intervention wesentlich eskalieren, verpflichte ich mich, gewaltfreie Aktio­nen des zivilen Ungehorsams nach mei­nem Gewissen mit anderen Menschen durchzuführen - bei US-Regierungsge­bäuden, Militäreinrichtungen, Abgeord­netenbüros, CIA-Büros, beim Außenmi­nisterium und anderen geeigneten Orten. Ich verpflichte mich, gewaltfreien zivi­len Ungehorsam zu praktizieren, um Tod oder Zerstörung zu verhindern oder aufzuhalten, die solche US-Militärak­tionen und Interventionen in Zentral­amerika verursachen würden."

Parallel gab es die Möglichkeit, eine Selbstverpflichtung zu legalem Protest zu unterstützen:

"Wenn die USA Nikaragua ..., ver­pflichte ich mich, an legalen Protestak­tionen mit anderen Menschen teilzu­nehmen - bei  Demonstrationen, Mahn­wachen, der Verteilung von Flugblät­tern, Appellen an den Kongreß und das Weiße Haus. Ich verpflichte mich weiterhin, diejenigen zu unterstützen, die zivilen Ungehorsam leisten, um Tod oder Zerstörung in Zentralamerika zu verhindern."

Parallel wurde ein "contingency plan" (Einsatzplan) entwickelt, der im Inva­sisons/Eskalationsfall verschiedene Schritte vorsah:

1.    Ein Signal für Aktionen geht an alle lokalen und regionalen Kontaktper­sonen.

2.    Menschen aus den ganzen USA tref­fen sich in vorher vereinbarten Kir­chen in ihren Städten zu Informati­onsarbeit, gegenseitiger Unterstüt­zung, Gebet und Vorbereitung der Aktionen.

3.    Gewaltfreie Mahnwachen werden vor lokalen Büros von Kongreßabgeord­neten abgehalten. Jedes Büro wird besetzt, bis der/die Abgeordnete/r gegen die Invasion stimmt.

4.    Delegationen werden nach Washington D.C. fahren, um Aktio­nen des zivilen Ungehorsams beim Weißen Haus durchzuführen, mit der Forderung, die Invasion zu beenden.

5.    US-Bürger in Nicaragua werden ihre eigenen gewaltfreien Aktionen initi­ieren und  werden, wenn möglich, durch weitere Gruppen aus den USA unterstützt.

Überall in den USA begannen Men­schen, Selbstverpflichtungserklärungen zu sammeln, Gruppen zu bilden, gewalt­freie Trainigns durchzuführen, eigene Pläne zu entwickeln, Treffpunkte fest­zulegen usw. Der Plan fand breite Un­terstützung von Kirchengruppen, Frie­densgruppen und Lateinamerikasolida­ritätsgruppen. Das "Pledge"-Netzwerk wuchs schnell an. In weniger als einem Jahr waren über 75.000 Unterschriften gesammelt und Ortsgruppen in 400 Städten in allen 50 Staaten gegründet.

Als die Reagan-Regierung im April 1985 versuchte, vom Kongreß Gelder für die Contras zu bekommen, mobili­sierte die Pledge-Bewegung den Ein­satzplan für bundesweite Mahnwachen. Der Kongreß aber verweigerte die 14 Mill. Dollar. Wenn diese Unterstützung durchgekommen wäre, wäre der volle Einsatzplan aufgerufen worden. Im Mai 1985 wurde ein Handelsembargo ver­kündet, und es kam - ohne bundesweiten Aufruf - zu vielfältigen Aktionen vor allem in den Städten, über 1900 Men­schen wurden wegen Besetzungen von Regierungsgebäuden festgenommen.

Im Juni sollte das Abgeordnetenhaus Gelder für die Contras bewilligen, die schon vom Senat bewilligt waren. Aus diesem Anlass wurde das Netzwerk bun­desweit mobilisiert. Trotz Massende­monstrationen in über 185 Städten und über 2000 Festnahmen (oft weigerte sich die Polizei, festzunehmen, um die Zahlen niedrig zu halten) wurden 27. Mill. Dollar als "humanitäre Hilfe " be­willigt.

Die Pledge-Bewegung geriet zwischen zwei Gefahren: einerseits zu vorsichtig zu reagieren und auf  ultimative Szena­rien zu warten oder andererseits zu schnell und zu oft zu reagieren. In ei­nem Auswertungsrundbrief an die Selbstverpflichter hieß es: "Unerwartet wurde die Reagan-Regierung mit einem entschiedenen Widerstand gegen ihre Kriegsführungspolitik konfrontiert von gläubigen und gewissenhaften Men­schen aus allen Ecken der USA. Bei­spiellos war, daß ein aufgewecktes Bür­gertum versprach, massiven zivilen Un­gehorsam zu leisten, als Reaktion auf drohende militärische Aktionen ihrer ei­genen Regierung. Politiker in Washington waren deutlich beeindruckt von der "Pledge of Resistance". Der Überfall fand aber nicht statt. Viele Analytiker meinen, daß die Selbstver­pflichtungskampagne dabei ein wichti­ger Faktor war."

Daß die 1985 ganz offen diskutierte In­vasion der USA nicht stattfand, war na­türlich nur ein kleiner Trost angesichts des fortgesetzten "low-intensity"-Krieges gegen Nicaragua (Kriegs­führung auf niedriger Intensitäts­stufe). So war das zentrale Motto der Aktionen 1986 "Den Krieg sichtbar ma­chen". Die Strategie umfasste jetzt vier Themen:

1.    Der Krieg ist illegal.

2.    Die US-Politik in Nicaragua verur­sacht viele Opfer.

3.    Wer bezahlt den Krieg und wer pro­fitiert vom Krieg?

4.    Es gibt friedliche Alternativen (z.B. den Contadora-Prozess)

In Aktionen wurden nun Symbole des Krieges beleuchtet, z.B. Rüstungsfir­men, militärische Einrichtungen, gesell­schaftliche Gruppen, die den Kriegspro­zess fördern.

Letztlich hat die Pledge-Bewegung den low-intensity-Krieg gegen Nicaragua nicht gestoppt, aber die Bewegung hat vielleicht noch Schlimmeres verhindert und jedenfalls ungeheuer viel zur innen­politischen Auseinandersetzung in brei­ten gesellschaftlichen Kreisen der USA beigetragen. Eine ausführliche politisch-analytische Bewertung kann in der hier gebotenen Kürze natürlich nicht geboten werden.

Übrigens gab es auch in der Bundesre­publik Unterstützer-Gruppen der Pledge-Bewegung, die Solidaritäts­selbstverpflichtungen sammelten, die zugleich politische Forderungen an die Bundesregierung als auch Aktions- und Solidaritätsverpflichtungen  umfassten.

(zusammengestellt nach: Selbstver­pflichtungen zum Widerstand, in Ge­waltfreie Aktion (GA) 63/64 = 1/2 1985 und Kristin Flory, Die Pledge of Resi­stance-Bewegung in den USA, in: GA 68/69/70 = 2/3/4 1986; Martin Singe)

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