Friedensbildung in Deutschland

Servicestelle Friedensbildung ein Feigenblatt? - Eine Entgegnung

von Renate Wanie
Hintergrund
Hintergrund

In der Ausgabe des Friedensforums 2/2018 übt Benno Malte Fuchs grundsätzliche Kritik an der Praxis der Friedensbildung in Baden-Württemberg. „Zentrale Akteure der Friedensbildung in Deutschland“, so seine Annahme, setzen ihre volle Kraft an genau den Stellen ein, „an denen sie am wenigsten bewirken können.“ Zudem vertritt Benno Fuchs  die These, dass auch die Bildungsministerien von „Zugeständnissen wie die Servicestelle Friedensbildung in Baden-Württemberg profitieren“ würden. Dies gebe ihnen die Möglichkeit „Vorwürfe gegen Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr abzumildern.“ Fördern FriedenspädagogInnen tatsächlich „die Militarisierung unseres Bildungssystems“, so die These von Benno Fuchs, wenn sie die Einrichtung einer Servicestelle Friedensbildung unterstützen?

Es gibt unterschiedliche Ebenen, sich friedenspolitisch zu engagieren: Die eine Ebene ist das antimilitaristische Engagement in sozialen Bewegungen. Die andere Ebene ist die direkte Einwirkung auf gesellschaftliche Institutionen, wie z.B. auf Regierungen, Parteien, Parlament, Verbände, ohne Teil der Institution, z.B. des Kultusministeriums, zu sein.

Zielsetzungen des unbedingt notwendigen antimilitaristischen Engagements sind verschiedene Formen des Protests, Widerstands und der Sensibilisierung für die schleichende Militarisierung in der Gesellschaft - gegen  Rekrutierungsoffensiven der Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber für eine „Armee im Einsatz“ oder spektakuläre Aktionen gegen den sogenannten bundesweiten „Tag der Bundeswehr“ bis zur öffentlichen Kritik an der Enttabuisierung des Militärischen in der Außenpolitik. Aktionsformen, an denen sich besonders auch junge Menschen beteiligen. Eine aktive antimilitaristische Initiative ist die Mitmach-Kampagne „Schulfrei für die Bundeswehr - Lernen für den Frieden!“ in Baden-Württemberg (aktuell in Diskussion über eine neue Bündnisstruktur). Seit 2010 skandalisiert sie mit vielfältigen öffentlichen Aktionen, Aufklärung und Zeitungsinterviews das vermehrte Auftreten der Bundeswehr im Ländle. Getragen wird die Kampagne von Aktiven aus Friedensorganisationen und -Initiativen sowie Kirchen, Terre des Hommes und Jugendring. Das Kampagnenziel  war und ist, die Kooperationsvereinbarung der Landesregierung mit der Bundeswehr aufzulösen.

Eine andere Ebene ist das friedenspolitische Engagement für die Institutionalisierung von Friedensbildung. Dahinter steht zunächst die Strategie, Ideen in die Bildungsinstitution Schule hineinzutragen, ohne Teil der Institution zu sein, jedoch politisch Einfluss zu nehmen auf die schulischen Bildungspläne. Seit 2014 setzt sich das Netzwerk Friedensbildung Baden-Württemberg (NW) für eine umfassende Umsetzung von Friedensbildung in die neuen Lehrpläne ein und nahm z.B. 2016 die Möglichkeit wahr, an der öffentlichen Anhörung teilzunehmen. Das Netzwerk hat sich aus der Kampagne Schulfrei herausgelöst, mit dem Schwerpunkt der Umsetzung von Friedensbildung, dennoch in enger Zusammenarbeit.

Friedensbildung, keine Aufgabe von Jugendoffizieren!
Ein Hintergrund für dieses friedenspolitische werteorientierte Engagement ist die in Artikel 12 der  baden-württembergischen Verfassung erklärten „Erziehung zur Friedensliebe“.  Die Umsetzung dieses Verfassungsauftrags zur Friedensbildung an Schulen ist aus Sicht des „Netzwerks Friedensbildung“ eine Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer. Ein weiterer Anlass ist im Selbstverständnis des NW Friedensbildung (2016) formuliert:

„Durch die Kooperationsvereinbarung des Kultusministeriums Baden-Württemberg mit der Bundeswehr (2009/2014) wird dieser Auftrag in Frage gestellt. Sie ermöglicht es den Lehrer/innen, Jugendoffiziere in den Schulunterricht einzuladen, die die Schüler/innen (…), über Einsätze der Bundeswehr im Ausland sowie über die Sicherheitspolitik der Bundesregierung informieren sollen. Aus Sicht des „Netzwerks Friedensbildung“ referieren Jugendoffiziere hierbei einseitig die Grundzüge der aktuell herrschenden Sicherheitspolitik. So werden Einsätze in Krisen- und Kriegsgebiete aus überwiegend militärischem Blickwinkel behandelt. Zudem wird im Rahmen derartiger Unterrichtsbesuche indirekt positiv und unkritisch über den Beruf des Soldaten/der Soldatin informiert.“

Zugeständnisse oder ein konkreter Weg zur Friedensbildung in Schulen?
Einen ersten wichtigen Schritt, Friedensbildung in Schulen fächerübergreifend zu fördern, stellte 2014 die „Gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Friedensbildung in den baden-württembergischen Schulen“  dar, eine Vereinbarung zwischen Kultusministerium, Friedensorganisationen, Kirchen und der GEW. Ziel der Erklärung war es, die Bedeutung der Friedensbildung in baden-württembergischen Schulen zu fördern und sie in den Bildungsplänen des Landes als fächerübergreifendes Anliegen zu verankern. Die Themen der Friedensbildung sollten in der Aus- und Fortbildung der LehrerInnen verstärkt und die dafür nötigen Institutionen geschaffen werden, unter der Berücksichtigung der Grundsätze politischer Bildungsarbeit („Beutelsbacher Konsens“). Gefördert werden sollten zugleich Friedensbildung und zivile Konfliktbearbeitung in den Feldern der außerschulischen Bildung.
Erstes Ergebnis ist die Einrichtung der „Servicestelle Friedensbildung“ Baden Württemberg, im April 2015 vertraglich unterzeichnet vom damaligen  Kultusminister Andreas Stoch (SPD) und von VertreterInnen zweier Trägerorganisationen, der Landeszentrale für politische Bildung und der Berghof Foundation, sowie von 17 Friedensorganisationen/-Initiativen, Kirchen und der GEW. Eine ganztägige Tagung zum Austausch mit LehrerInnen, VertreterInnen des Kultusministeriums und der Friedensbewegung folgte in der Akademie Bad Boll.  Seit 2015 ist die „Servicestelle Friedensbildung“, geführt von Claudia Möller und einer Mitarbeiterin, eine „zentrale Beratungs-, Informations- und Vernetzungsstelle für alle Schulen des Landes sowie für alle staatlichen, halb- und nichtstaatlichen Akteuren der Friedensbildung“ (lt. Flyer), die erfolgreich z.B. von LehrerInnen angenommen wird. Fächerübergreifend bietet sie u.a. Qualifizierungsangebote zur Friedensbildung und Unterrichtsmaterialien für LehrerInnen an sowie außerunterrichtliche Akteure – kein Zugeständnis, sondern ein konkreter Weg zur Friedensbildung in öffentlichen Schulen. Wesentlich für das NW ist die kritische friedensbewegte Begleitung, z.B. im dafür eingerichteten Gremium des Beirats.

Wenig bewirkt - oder etwas auf den Weg gebracht?
Kritik und Skepsis bei diesen Entwicklungen sind berechtigt, zumal in der Auseinandersetzung mit einem aktuell von der CDU geführten Kultusministerium in Baden-Württemberg. Um politisch Einfluss auf Institutionen nehmen zu wollen, ist für die Anliegen des Netzwerks ebenso Lobbyarbeit angesagt, z.B. um mit Landtagsabgeordneten (MdLs) darüber ins Gespräch zu kommen. Erfolgreich war das NW bisher mit seinem beständigen Engagement für die Verstetigung der Servicestelle Friedensbildung und die Erhöhung des Gesamtetats um 50.000 € auf zunächst 200.000,- €. Doch dabei blieb es nicht! Das NW brachte z.B. Materialien für den Landesbildungsserver im Landesinstitut für Schulentwicklung – nach mehrmaligem Anlauf – ein, womit auch konkrete Militärkritik in diese staatliche Institution einfloss. In einer Auseinandersetzung mit dem 2014 von der SPD geführten Kultusministerium wurde zunächst erreicht, dass die Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr von 2009 in ein Werbeverbot geändert wurde. Jugendoffiziere dürfen künftig nicht „für den Dienst in der Bundeswehr“ an Schulen werben. Zudem sieht die neue Vereinbarung vor, dass ReferendarInnen nicht gegen ihren Willen während ihrer Ausbildung an Angeboten der Bundeswehr teilnehmen müssen. Basis hierfür ist der „Beutelsbacher Konsens“ (1976) mit dem Überwältigungsverbot und Kontroversitätsgebot, SchülerInnen sollen sich eine eigene Meinung bilden können und in politischen Situationen eigene Interessen vertreten. Friedensbildung ist politische Bildung!

Im Jahr 2017 nahmen Netzwerk-Mitglieder am sogenannten „Tag der Schulen“ am Besuch einer Kaserne teil und begleiteten SchülerInnen und LehrerInnen aufmerksam bei der Umsetzung des Programms während der Besichtigung. (s. FF-2/2018) Anschließend formulierte das Netzwerk mehrere Kritikpunkte an das Kultusministerium, wie z.B.  fehlende pädagogische Reflexionen vor Ort oder die vermisste Kontroversität beim Vortrag des Jugendoffiziers. Die kontroverse Korrespondenz mit dem Kultusministerium wird fortgeführt. Aufgrund der Lobbyarbeit des NWs wurden kleine Anfragen von MdLs bei den Grünen und der SPD im Parlament eingebracht. Die politische Auseinandersetzung hält an.

Bedeuten all die genannten Aktivitäten eine Abmilderung an der Kritik der Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr? Das Netzwerk verneint das. Um weitere konkrete Veränderungen zu erreichen, ist es noch ein weiter Weg, keine Frage. Diese vielfältigen friedenspolitischen Initiativen bedeuten keine Militarisierung des Bildungssystems, auch nicht durch die Einrichtung der „Servicestelle Friedensbildung“. Die von Benno Fuchs angesprochenen gemeinsamen Auftritte mit Jugendoffizieren in der Schule werden nicht angestrebt. Seine Frage „(…) Angst, das Militär nicht in Frage stellen zu dürfen?“ stellt sich den PazifistInnen und AntimilitaristInnen im Netzwerk Friedensbildung BaWü nicht.

Es ist zu unterscheiden zwischen Friedensbildung als politische Bildung und direkten gewaltfreien Aktionen, die Gewaltfreiheit konkret machen. Aus dem Selbstverständnis des NWs: „Umfassende Friedensbildung bezieht Konzepte der Abrüstung, Formen gewaltfreien Widerstands und der Kriegsdienstverweigerung mit ein.“ Beide Ebenen sind notwendige Praxis. Ebenso Humor und Freude an der Aktion.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund