Sicherheit und Ordnung in Krise, Notstand und Krieg

von Hans Adolf

Der kalte Krieg zwischen Ost und West ist abgelöst worden von tatsächlichen (z.B. Irak) oder - v.a. qua umlaufender ABC-Waffen - noch befürchteten Nord-Süd-Konflikten zwischen armen und reichen Ländern. Gleichzeitig steigen in fast allen westlichen Industriestaaten Rezession, Arbeitslosigkeit und soziale Probleme, nicht jedoch die Fähigkeit oder Bereitschaft der Politik zur Problembewältigung. Politik- und Parteienverdrossenheit (Beispiel Italien) forcieren Ellenbogengesellschaft, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft nicht nur an den Rändern, sondern auch in der besitzenden Mitte der Gesellschaften. Soziale Verunsicherung findet nicht nur hierzulande ein Ventil in Fremdenfeindlichkeit und einen zugespitzten Ausdruck in übersteigerter Angst vor - in der Tat statistisch zunehmender - Kriminalität (0).

Die alten politischen Eliten nehmen diese Projektion gerne auf, forcieren dieses Tages- und Wahlkampfthema (siehe z.B. England und USA) und verheißen "law and order" statt sozialer Sicherheit. Dies geschieht in vollem Wissen, daß z.B. die BRD weltweit immer noch eines der sichersten Länder mit der geringsten Kriminalitätsrate ist (1). Der starke Staat wird jedoch nicht nur aus kurzfristig machttaktischem Kalkül offeriert, sondern auch aus der - wohl berechtigten und international von Zukunftsforschern geteilten - Erwartung, daß die westlichen "Schön-Wetter-Demokratien" bald mehr oder minder unsanft neue Gestalt erhalten werden. (2)

Nicht nur heute, sondern seit jeher zielen daher viele der im Bereich Sicherheit und Ordnung getroffenen oder noch geplanten Maßnahmen über die Tagesanforderungen hinaus perspektivisch auf krisenhaft verschärfte Zustände, Bürgerkriegs-Szenarien oder auf den vermuteten Bedarf in Notstand und Krieg (3). Denn die Bewahrung der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" in Krise und Krieg ist neben der Aufrechterhaltung von Gesetzgebung, Rechtspflege (4), von Regierungs- und Verwaltungsarbeit sowie der Informationsmöglichkeiten und -mittel auch Teil des ersten und grundlegenden Aufgabenfeldes der zivilen Verteidigung (5): der Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen insgesamt.

Die entsprechenden Planungen und Vorbereitungen in diesem Bereich werden praktisch ungeachtet der geänderten weltpolitischen Sicherheitslage bis heute weiter fortgeschrieben (6). In diesem Rahmen wird die heutige Kriminalitätsbekämpfung schon immer als präventive Aufstandsbekämpfung und als Staatsschutz für den Fall von Krise und Krieg begriffen. So schrieb der frühere Münchener Polizeipräsident und BMI-Spitzenbeamte Schreiber schon 1977 auf, was sich heute wieder aktuell liest:

"Nun hat in der Bundesrepublik die innere Unsicherheit bereits wesentlich und in viel größerem Maße zugenommen als die Beruhigung der außenpolitischen Lage. Diese Verlagerung der Unsicherheit nach innen hat vielfältige Erscheinungsformen: Kriminalität, 'Verunsicherung' des Bürgers durch spektakuläre Aktionen … auf der Straße, Subversion in Wirtschaft und Staat, Unterhöhlung des Rechtsstaatsdenken ... verbunden mit Staatsverdrossenheit, Zweifel am ernsthaften Einsatz staatlicher Gewaltmittel zum Schutz des Einzelnen und damit zur Sicherung des innenpolitischen Friedens.( ... ) Natürlich ist die innere Sicherheit dann nicht nur eine Frage der Kriminalitätsbekämpfung im weitesten Sinne, sondern sie wächst sich auch zum Kampf gegen die unterwühlenden und subversiven Bestrebungen zur Vernichtung des Staates aus. Der gesamte Situationswandel hat zur Folge, daß Staaten nicht mehr von außen erobert zu werden brauchen, sondern von innen zersetzt und unterwandert werden. ( ... ) Es geht vorrangig um den Schutz des Einzelnen vor dem Verbrecher, zunehmend aber auch um den Schutz der Einrichtungen des Staates ... ''

Wie bei dem Polizist Schreiber steht auch bei den ZV-Planern (7) bis heute im Zentrum aller inländischen Bedrohungsbilder für Krise und Krieg der konturenlöse Sammelbegriff der subversiven Aktion. Beispielhaft werden darunter gefaßt "Agitation und Propaganda, ...Demonstrationen, wilde Streiks, verschärfte Infiltration und Spionage, Sabotage und Terror. …die Bevölkerung dazu aufzurufen, behördliche Maßnahmen zu mißachten. …geschickte Verbindung von sozialen mit politischen Forderungen. ...Die ausländischen Arbeiter dürften in dieser Hinsicht besonders leicht beeinflußbar sein."(8) Zum Feindbild zählen unter der beliebigen Behauptung von Fernsteuerung oder staatsfeindlicher Absichten denn auch u.a. "Extremisten", "Sympathisanten", "Gegner des Rechtsstaats" und Autonome. Diese Einordnung. ist nicht auf ZV-Strategen beschränkt, sondern Bestandteil der täglichen Polizeipraxis: etwa wenn beliebige kleine Sachbeschädigungen, Nötigungen oder Verkehrsblockaden wegen der dabei vermuteten politischen Motivation von den Staatsschutzabteilungen bearbeitet und die Personalien der Tatverdächtigen über Sondermeldedienste in einer bundesweiten Verbunddatei (APIS) gespeichert werden. Man kommt kaum umhin, diese Praxis sowie die vorgenannten Subversions-Feindbilder in Verbindung zu bringen mit den etwa aus den NATO-Ländern Holland und Großbritannien bekannt gewordenen Plänen und Übungen zur Errichtung von Internierungslagern für Oppositionelle (9). Weil in Krisenzeiten besonders Ausländer "möglicherweise zur Bandenbildung unter kriminellen Vorzeichen" neigten, halten es ZV-Planer in Deutschland für "wichtig, (diese) an ihrem Wohnort festzuhalten und mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen" (10); Polizeiführer selbst erwarten, dadurch in großem, Umfang mit der "Bewachung internierter Ausländer" befaßt zu werden (11).

Außer solcher Bewachung sowie der Bekämpfung "Subversiver" hätten die Polizeikräfte in Krise und Krieg u.a. Leistungsanforderungen aller Art (Einberufung von Wehr- und Arbeitsdienstpflichtigen; Beschlagnahme kriegswichtiger Güter, von Produktions- und Verkehrsmitteln sowie Fernmeldediensten; etc.) durchzusetzen, verstärkt Personen- und Objektschutz zu leisten, fluchtwillige BürgerInnen von wichtigen Aufmarschwegen fernzuhalten und hierzu dem NATO-weit geltenden Grundsatz des "Wohnort-Arrests" (''stay put" genannt (12)) Geltung zu verschaffen.

Für die Wahrnehmung dieser und sonstiger Aufgaben in Krise und Krieg stehen rd. 250.000 Polizei-Bedienstete von Bund und Ländern, davon 30.000 des Bundesgrenzschutzes (13), zur Verfügung. Dabei können BGS-Kräfte entweder von den Ländern "in Fällen von besonderer Bedeutung" angefordert werden, (Art. 35 GG) oder aber "bei drohender Gefahr für den Bestand" oder die fdGO in Bund oder Ländern von der Bundesregierung eingesetzt werden, die auch die Länderpolizeien ihren Weisungen unterstellen kann (Art. 91 GG). Unter den gleichen Voraussetzungen kann zur Polizeiunterstützung auch die Bundeswehr zum Objektschutz oder bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer" eingesetzt werden (Art. 87 a IV GG); im "Spannungsfall" außerdem zur Verkehrslenkung (Art 87 a III GG).

Grundsätzlich ist jedoch zu betonen, daß der Einsatz von Polizeikräften in der Krise zunächst 'keineswegs formelle Beschlüsse des Bundestages voraussetzt, sondern deren Aufgabe, "Sicherheit und Ordnung“ im Alltag wie auch in Krise und Krieg zu gewährleisten, sich mit fließenden Übergängen entwickeln könnte. Die entsprechenden "Alarmkalender'' für jedwede Situation liegen in allen Polizeidienststellen immer noch bereit.

  1. Nach wie vor den umfangreichsten Überblick über die Zivilverteidigung gibt die Broschüre "Der Tag X hat schon begonnen", Hrsg. Grüne im Bundestag, 3. Auflage 1989, 86 Seiten; Bezug: B 90/Grüne im BT, AK III, Bundeshaus, 53090 Bonn: 
  2. Überblick über intern. Entwicklung von Verbrechensfurcht und -Realität in.: Innenpolitischer Rundbrief Nr. 4/93, Hrsg. B 90/Grüne im Bundestag - AK III 
  3. vgl. Nicolas Busch; Fortress Europe, Nov. 1993 S. 6
  4. vgl. etwa RD Siedschlag, Akademie für Zivile Verteidigung, DIE POLIZEI 1/1976, S. 1l: "Viele der Maßnahmen, die heute zur Abwehr des Terrorismus getroffen werden, kommen auch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Spannungs- und Verteidigungsfall zugute." 
  5. vgl. hierzu die Planungen für eine Wehrstrafgerichtsbarkeit (etwa in : Vultejus, Kampfanzug unter der Robe, Hamburg 1984) und Bayrisches Staatsministerium des Inneren "Zivilverteidigung in Bayern" München 1982, S. 10: durch rechtzeitige Planungen müsse eine "möglichst rasche Behandlung krisentypischer Straftaten", durch die Justiz sichergestellt werden. 
  6. Die Zivile Verteidigung (nachfolgend „ZV" genannt), die zusammen mit der militärischen Komponente als Gesamtverteidigung bezeichnet wird, beinhaltet außerdem bekanntlich den Zivilschutz sowie die Versorgung und Unterstützung der Streitkräfte.
  7. vgl. etwa die "Minister-Richtlinie für die zivile Notfallplanung“ 1989 - 1993" des NATO-Rats vom Dezember 1988 (bei Verf.), die Rahmenrichtlinien der Bundesregierung, zur Gesamtverteidigung vom 10.1.1989 (BR-Drs. 10/89) und die neue Konzeption des BMI für den Bereich "Bevölkerungsschutz und Zivile Notfallvorsorge" vom 9.9.1991. 
  8. Schreiber/Birkl, Zwischen Sicherheit und Freiheit, 1977, S. 38 f.
  9. Nachweise bei : Nachtweib, in "Tag X ... ", S. 47 ff. 
  10. Schnell, Europäische Wehrkunde Nr. 11 / 1977
  11. siehe genauer : "Tag X .. " S. 29; ferner "WINTEX/CIMEX .. " ,1989 (Hrsg. Graswurzelwerkstatt, Scharnhorststr. 6, 5 Köln 60) S. 13 ff. 
  12. Balcke, ZIVILVERTEIDIGUNG 4/1982, S. 14
  13.  PHK im BGS·Schmidt, Truppenpraxis Beiheft 1/1988, S. 69
  14.  vgl. genauer in "Tag X .. " S. 28 ff.
  15.  z.Zt sind rd. 4.000 dieser BGS-Planstellen unbesetzt.

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