‘Sicherheit’ zehn Jahre nach 9/11

von Anna Cornelia Beyer

Die vergangene Dekade war geprägt vom Kampf gegen den internationalen Terrorismus – substaatlich verordnete politische Gewalt gegen Akteure des Westens und seiner Alliierten. Dieser ‘Kampf’ weitete sich aus in einen ‘Globalen Krieg gegen den Terrorismus’ (vormals so genannt), der die Eliminierung jedweder substaatlichen politisch motivierten Gewalt zum Ziel hatte. Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen, was diese Dekade an positiven und negativen Effekten gebracht hat.

Zuerst einmal ist es im Sinne unserer Sicherheit, dass Al Kaida deutlich dezimiert und mit der Tötung Osama bin Ladens dieses Jahr seiner Führung beraubt wurde. Während dies von manchen schon als ‘Ende’ von Al Kaida gefeiert wird, ist es aber längst nicht garantiert, dass die westlichen Gesellschaften nun in Sicherheit vor weiteren Anschlägen leben können. Im Gegenteil, so habe ich in “Violent Globalisms” argumentiert, bringen militärische Aktionen und Interventionen langfristig neue Motivation zu terroristischer Aktivität gegen den Westen. Dieses Argument wurde sehr unterstützt durch die Arbeiten von Robert Pape, der aus intensiven Datenanalysen zu Selbstmordanschlägen ableitet, dass diese oft inspiriert werden durch Interventionen und Okkupation. Auch wenn nämlich der internationale Terrorismus bei weitem nicht die Stärke hat, die ihm manchmal zugeschrieben wird, nämlich die westlichen Staaten im direkten Kampf zu besiegen, versuchen diese Gruppen doch, uns in einer Tit-für-Tat-Strategie einzubinden.

Aus diesem Grund wird sich auch das Ziel einer vollständigen Eliminierung von Terrorismus nicht erreichen lassen, nicht im Sinne von Al Kaida und schon gar nicht im weiteren Sinne. Solange Motive und Anreize bestehen, werden sich wahrscheinlich neue Rekruten für solche Gruppen finden. Ein anderes wichtiges Motiv, neben militärischen Interventionen, welches zur Rekrutierungsfähigkeit von terroristischen Gruppen wie Al Kaida beiträgt, sind Entwicklungsprobleme in vielen Regionen und der Mangel an Demokratie und Partizipationsmöglichkeiten. Während anfangs der ‘Krieg gegen den Terrorismus’ sehr stark auf die militärischen und geheimdienstlichen Aspekte fokussiert war, ist es glücklicherweise festzustellen, dass beispielsweise in Afghanistan und im Irak nun auch stark mittels entwicklungspolitischer Maßnahmen eingegriffen wird. Dies ist mit Blick auf die Verringerung der Ursachen von politischer Gewalt langfristig sicherlich die erfolgversprechendere Strategie und sollte noch weitere Anwendung erfahren. Denn wie man an den jüngsten Unruhen im Nahen Osten sieht, sind Entwicklungsrückstände sehr wohl ein Grund für politische Mobilisierung. Diese ‘Revolutionäre’ sind zurzeit zum Glück nicht offensichtlich in irgendeiner Form mit Al Kaida in Verbindung zu bringen. Wenn sich aber mittel- und langfristig keine Verbesserung in den betreffenden Ländern ergeben, könnte dieses Frustrationspotential zu neuem Zulauf für terroristische Gruppen führen. Es gilt also, besonders die Staaten des Nahen Ostens, Afrikas und viele Staaten Asiens in positive Beziehungen verstärkt einzubinden und ihre Entwicklung zu Demokratie und Prosperität weiter zu unterstützen. Ein hilfreicher Aspekt ist hierbei, dass im Rahmen des ‘Krieges gegen den Terrorismus’ bereits vielerorts Strukturen und Mechanismen der Kooperation geschaffen wurden. Diese Strukturen sollten genutzt werden, um auch in anderen Politikbereichen Einfluss zu nehmen.

In “Counterterrorism and International Power Relations” habe ich argumentiert, dass die globalen Antiterrorpolitiken eine neue Form von globalem Regieren hervorgebracht haben. Die meisten Staaten kooperieren international auf verschiedene Arten und auf verschiedenen Ebenen in diesem Bereich. Die Vereinigten Staaten stehen im Zentrum dieser Kooperation. Sie könnten daher in der Lage sein, diese Kooperationsstrukturen mit neuen Inhalten zu füllen und den eher auf den Bereich ‘Sicherheit’ fokussierten Ansatz durch Inklusion weiterer, weicherer Bereiche zu komplementieren.

Auch sollte letztlich erwähnt werden, dass die westliche Fokussierung auf sicherheitspolitische Maßnahmen nicht generell unkritisch zu betrachten ist. Auf der einen Seite diente diese Fokussierung vielen weniger demokratischen Staaten dazu, ihre interne Opposition nun unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung in Schach zu halten. Vielerorts sind die Ansprüche des Westens an Menschenrechtsschutz und Terrorismusbekämpfung in Konflikt geraten. Möglicherweise trugen derartige Entwicklungen auch zu den Revolten im Nahen Osten bei. Wir sollten aber nicht davon ausgehen, dass nur in nicht-westlichen Staaten ein Missbrauchspotential dieser Politiken zu finden ist. Auch in Europa wurden die Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschärft. Wer kann garantieren, dass diese Mechanismen in Zukunft nicht gegen die eigene Bevölkerung auch vor anderen Hintergründen eingesetzt werden? Sollte sich, beispielsweise, der öffentliche Protest gegen Sparmaßnahmen und Krisenpolitiken verschärfen, könnte die populäre Opposition durchaus mittels der eigentlich zur Terrorismusabwehr geschaffenen Mechanismen kontrolliert werden. Dieser Gefahr ist nicht leicht entgegenzutreten, besonders in Zeiten wirtschaftlicher – und damit politischer – Turbulenzen, wie wir sie heute erleben. Es muss jedoch Priorität sein, die Generation, die nun in einem ‘Sicherheitsstaat’ aufgewachsen ist, für solche Themen und Kritiken zu sensibilisieren.

Auch möchte ich noch ein weiteres Argument anführen, das uns skeptisch gegenüber der sicherheitspolitischen Ausrichtung des Kampfes gegen den Terrorismus bleiben lassen sollte: Es war eines der Ziele Osama bin Ladens, die Vereinigten Staaten in Afghanistan in einen Krieg zu verwickeln, den sie nicht gewinnen können und der sie finanziell ausbluten lassen würde. Er hatte dabei das Beispiel der Sowietunion vor dem Ende des Kalten Krieges im Sinn. Analysen haben gezeigt, dass in der Tat der militärische ‘Global War on Terrorism’ zu den finanziellen Problemen der Vereinigten Staaten beigetragen hat. Eine Umorientierung wäre schon aus diesem Grund sinnvoll.

Schließlich bleibt es zu bemerken, dass besonders die Intervention im Irak finanziell, humanitär und mit Blick auf die Reputation der Vereinigten Staaten schweren Schaden angerichtet hat. Zwar sind die Zustimmungsraten unter Obamas Präsidentschaft wieder gestiegen, aber die Folgen einer solchen Aktion – die als Präzedenzfall für andere Staaten dienen könnte – sollten nicht unterschätzt werden. Natürlich ist der Regimewandel im Irak auf der anderen Seite sehr positiv zu sehen. Die Vereinigten Staaten als führende Weltmacht stehen weiterhin vor der Herausforderung, ihre Macht zum allgemeinen Vorteil zu nutzen, aber sie nicht zu missbrauchen. Dies ist meistens ein Balanceakt, mit vielen Dilemmata konfrontiert, und es kann keine leichte Antwort darauf geben, wie dies zu geschehen hätte. Die positiven Aspekte überragender Macht besonders im militärischen Bereich, nämlich die Abschreckung von militärischer Gewalt seitens schwächerer Staaten, wird immer auch durch den negativen Aspekt der beinahe uneingeschränkten Einsetzbarkeit dieser Macht aufgewogen. Langfristig muss sich die Welt vom Modell des unipolaren Systems mit den Vereinigten Staaten als Eingriffsmacht verabschieden und die Autorität zur Lösung internationaler Konflikte verstärkt in die Hände der kollektiven Institutionen geben.

Die Vereinigten Staaten haben ihre größte Chance hier: Einfluss zu nehmen auf eine sicherere und friedlichere Welt. Sie können die Stärkung der Institutionen globalen Regierens unterstützen und ausbauen helfen und zur Integration der Staatengemeinschaft beitragen. Denn wenn dies unterbleibt, wird der internationale Terrorismus nicht ewig unser Hauptproblem bleiben. Sollten die Mechanismen und Strukturen globaler Integration und Kooperation nicht ausgebaut werden, sind zukünftige zwischenstaatliche Konflikte wahrscheinlich. Auch deshalb sollte es sich lohnen, über unsere Vorstellung von Sicherheit – wie wir sie in den letzten zehn Jahren entwickelt haben – neu nachzudenken. 

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Anna Cornelia Beyer forscht und lehrt an der Universität Hull in England. Ihre Themenbereiche umfassen besonders die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, globales Regieren und Terrorismusbekämpfung. Zu ihren Publikationen zählen: Violent Globalisms – Conflict in Response to Empire (2008: Ashgate); Effectively Countering Terrorism (2009: Sussex Academic Press); und Counterterrorism and International Power Relations (2010: IB Tauris).