Sind Soldaten Mörder?

von Gerhard Zwerenz

In meinem Buch "Soldaten sind Mörder" heißt es darüber: "Zum siebzehnten Jahrestag des Kriegsbeginns von 1914 schrieb Tucholsky in der 'Weltbühne': 'Sagte ich Mord? Natürlich, Mord. Soldaten sind Mörder'(4. August 1931).
Reichswehrminister Groener klagte dafür nicht Tucholsky an, der in Schweden lebte, sondern Carl von Ossietzky, den Verantwortlichen in der Redaktion. Die Justiz hatte Bedenken, das Verfahren zu eröffnen, die Reichswehr setzte sich durch. Es kam aber zum Freispruch. Der Satz 'Soldaten sind Mörder war in seiner Abstraktheit nicht justitiabel. Erst wenn bestimmte Soldaten bezeichnet werden und Namen fallen, kann schuldig gesprochen werden.
Prozesse dieser Art gab es oft und gibt es auch heute wieder. Derart wird auf die-juristische Ebene verlagert, was auf die allgemein-sittliche gehört. Tucholsky zielte auf den Soldaten im Krieg. Kriegführen ist Mord. Jeder Krieg besteht aus einer. Vielzahl von Einzelmorden = Massenmord. Die besondere Legitimation des Satzes bei Tucholsky besteht darin, daß er auf den Ersten Weltkrieg gezielt war, den ersten industriellen Krieg der Weltgeschichte, der sich von allen vorangegangenen  Kriegen durch eine neue Vernichtungsqualität unterschied, genauso wie der Zweite Weltkrieg sich vom vorausgegangenen durch eine wieder neue Vernichtungsqualität unterscheidet.

Ausgehend von. diesen Massenmordsteigerungen gewinnt der Satz 'Soldaten sind Mörder eine vordem ungeahnte Dringlichkeit. Wer heute an Kriegen teilnimmt, sie vorbereitet, nicht bekämpft, trainiert seine eigene Teilhabe an Mord und Massenmord, wo nicht Völker- und Menschheitsmord ein.''

Soviel als Buch-Zitat zum Sachve-Ldt, der die Bundesrepublik 1988 nicht weniger provoziert wie der Prozeß von 1932 die Weimarer Republik provoziert hatte. Soldaten wollen keine Mörder sein. Allerdings waren die Generale kein Jahrzehnt später Heerführer der größten Mord-Armee aller Zeiten. Tucholskys scharfe Diagnose erwies sich als knallharte Prophezeiung. Er hatte den Soldaten auf den Helm zugesagt, was sie kurz darauf werden würden: Massenmörder.

Tucholsky zielte, sagte ich, auf den Soldaten im Kriege. Was aber ist .in Friedenszeiten? Der Frankfurter Mediziner und. Pazifist Dr. Peter Augst variierte Tucholskys Satz um in den Satz: "Alle Soldaten sind potentielle Mörder.'', womit er einerseits zuspitzte und den Sachverhalt aus  dem Abstrakten ins Individuelle holte, den wenn alles etwas sind, dann ist es eben jeder; wobei er andererseits den direkten Mord- Vorwurf entschärfte und in die Möglichkeitsform übersetzte, was sich auch noch deutlicher als mögliche Gefahr ausdrücken ließe, etwa mit: "Im Falle eines Krieges wird jeder Soldat ein Teilnehmer am. Krieg ... " Krieg aber, mit heutigen Massenvernichtungsmitteln geführt, ist per se Massenmord, der Krieger eine Mit Massenmörder mindestens in dem Maße, wie jeder Soldat der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg allein durch seine Kriegsteilnahme den Ho-locaust mit ermöglicht hat. Wer das Reich verteidigte, der verteidigte seine Gaskammern. Ob er dies wollte oder wußte, ändert nichts am objektiven Tatbestand.

Soviel zur sprach-logischen Ebene. Was nun die Differenz zwischen der juristischen und der moralischen Wertung angeht, so ist es einerseits notwendig, . beides zu unterscheiden, andererseits gibt es Durchdringungen. Der strafrechtliche Mordvorwurf etwa trifft auf die deutsche Seite im Zweiten Weltkrieg durchaus zu: Das Reich führte den Krieg habgierig in Eroberungs- und Bereicherungsabsichten, also aus niedrigen Beweggründen, es täuschte seine. Opfer, ging besonders heimtückisch und grausam vor, was eine Befriedigung niederer Triebe nahelegt usw. Kurzum, die Merkmale des geltenden Mordparagraphen sind erfüllt, der Umstand, daß die einzel-nen Soldaten sich hohe Ziele und hehre Grunde für ihre Kriegsteilnahme einbildeten, ändert nichts in der Realität. Das Mitglied einer Bande wird nicht dadurch schuldlos, daß es sich nicht als Gangster versteht.

Die strafrechtliche Deutung des Mordvorwurfs hat für. unsere momentane Gegenwart kein Bedeutung. Die moralische Warnung bleibt bestehen und wird in dem variierten Satz des Dr. Augst exakt ausgedrückt. Daß der Soldat individuell in Friedenszeiten kein Mörder ist, steht logisch ebenso einwandfrei fest wie der fatale Umstand, daß er darauf vorbreitet wird und Morde begehen bzw. mitbegehen muß, wenn die Kriegsverhinderung mißlingt und die Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden. Insofern ist jeder heutige Soldat potentieller Mörder, Massenmörder, Völkermörder, Selbstmörder.

Die Frage, wie dem zu entgehen sei, ist strittig, die Frage, daß es so ist, kann nur strittig gemacht werden, entschließt man sich, die Logik außer Kraft zu setzen.

1932 scheute die Weimarer Jusitz vor dem sprachlogischen Gewaltakt zurück. Der bundesdeutschen Justiz steht die Feuerprobe bevor. Der Soldat geht abends als Friedensengel zu Bette. über Nacht vernichtete sein Land ein anderes. Was ist der Soldat an diesem schönen, feurigen Morgen? Wahrscheinlich tot, so wie auf jeden x-beliebigen Erstschlag ein x-beliebiger Zweitschlag folgt. Tucholskys Wort der Warnung vor dem Zweiten Weltkrieg hat danach seine Dringlichkeit noch gesteigert. Das Wort unter Strafe zu stellen; wäre Kriegspropaganda, Verbot von Denkprozessen, Verfolgung philosophischer Abstraktion, Pazifistenhatz, Bücherverbrennung. Kurzum, der 2. Akt des 10. Mai 1933, als schon einmal Bücher verbrannt wurden: Inklusive des inkriminierten Satzes von Tucholsky, den die Kameraden Waffenbrüder heute wieder Z1,1m Teufel wünschen, so lebendig ist er geblieben.

Allerdings meine ich, wir könnten heute Tuckolskys Satz von 1931 noch genauer fassen, denn. uns stehen weiter 57 'Jahre Geschichte zur Verfügung. Da indessen bereits ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungverfahren gegen mich läuft, weil ich Tucholskys Satz als Buch-Titel verwendete, muß ich auf die Darlegung meiner Gedanken zur Kriegsphilosophie verzichten; Zwar steht im Grundgesetz "Eine Zensurfindet nicht statt." Doch der ermittelnde Staaatsanwalt kann offenbar nicht lesen. Bisher gibt er den Buchtitel noch falsch an. Und daß das ein Tucholsky-Zitat ist, wußte er bisher auch nicht. Warten wir also ab, bis der Ermittler richtig lesen gelernt hat, und dann denken wir gehorsamst weiter.

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