Büchel-Prozesse

Skandalöses Urteil gegen Versammlungsleiter in Büchel

von Ariane Dettloff
Hintergrund
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Wenn dieses Urteil Bestand hätte, wäre das Versammlungsrecht schwer beschädigt. 70 Tagessätze Strafe verhängte Amtsrichterin Neuerburg am Amtsgericht Cochem (Mosel) gegen Ernst Ludwig Iskenius von der IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkriegs) am 26. Juni 2019, weil er als Versammlungsleiter einer angemeldeten Mahnwache vor dem Atomwaffenstützpunkt Büchel am 18. Juni 2018 „nicht verhindert“ hatte, dass andere dort ein Tor zum Atomwaffenstützpunkt Büchel blockierten.

Was war passiert?
Im Rahmen der „IPPNW-Woche“ während der Aktionspräsenz 2018 gegen die US-Atomwaffen in Büchel hatte Ernst-Ludwig Iskenius eine Mahnwache vor dem Haupttor des Bundeswehr-Luftwaffengeschwaders 33 angemeldet. Mit Bannern und Plakaten demonstrierten fünf Menschen gegen die von hier ausgehende Atomkriegsgefahr. Denn täglich üben hier deutsche SoldatInnen im Rahmen der sogenannten Nuklearen Teilhabe, Atombomben abzuwerfen. Die Zufahrt zum Atomwaffenlager war durch das Militär mit einem Bauzaun abgesperrt worden, um zu verhindern, dass AktivistInnen etwa das Gelände betreten könnten. Den Verkehr hatte die Polizei durch ein anderes Tor umgeleitet. Nach ca. eineinhalb Stunden beendeten die Protestierenden ihre Kundgebung. Ernst Ludwig (Elu) Iskenius löste die Versammlung auf und verließ den Ort des Geschehens. In deutlich zeitlicher Versetzung zur zuvor beendeten Mahnwache setzten sich AktivistInnen zunächst vor das von der Polizei offen gehaltene Lutzerather Tor, das dann geschlossen wurde. Von dort brach dann in eigener Verantwortung spontan eine neunköpfige Gruppe auf, um das nun geöffnete Haupttor zu blockieren.Mit dieser Blockade wollten sie ihrem Protest und Widerstand gegen die widerrechtlich hier stationierten Atombomben und gegen die deutsche atomare Teilhabe Ausdruck verleihen.

„Es handelte sich um zwei voneinander unabhängige, ganz verschiedene Protestformen“, erklärte der Angeklagte in seiner Einlassung vor Gericht. „Während Mahnwachen informieren und appellieren und in der Regel – wie auch im vorliegenden Fall – angemeldet werden, geschehen Aktionen Zivilen Ungehorsams wie etwa Blockaden naturgemäß unangemeldet. Die Teilnehmenden handeln dabei eigenverantwortlich und stehen zu ihrer Verantwortung dafür und möglichen Konsequenzen.“

Iskenius erklärte diesen gewaltfreien Widerstand vor dem Gericht als angemessen, um den völkerrechtswidrigen Betrieb zu unterbrechen: „Dass solche Aktionen sinnvoll sind und zu Veränderungen der aufgezeigten Unrechtssituation führen, beweisen die vielen Konfliktherde auf der Welt; Hongkong und Sudan sind nur jüngste Beispiele. Aber auch in demokratischen Staaten ist Ziviler Ungehorsam in solchen Fällen wie Klimawandel und Atomwaffengefahr nicht nur sinnvoll und angemessen, sondern dringender denn je. Politische Entscheidungsträger fangen erst dann an, umzudenken. Wenn es nicht seit 2015 die Aktionen von ‘Ende Gelände‘ gegeben hätte, wäre der Braunkohleausstieg, den viele Fachleute bis dahin vergeblich gefordert hatten, noch längst nicht so weit.“ Allerdings: Er selbst habe in dem zur Verhandlung stehenden Fall keinen Zivilen Ungehorsam geleistet, sondern sei seinen Aufgaben als Versammlungsleiter der Mahnwache nachgekommen.

Die Richterin sah die Sache anders: Seine Aufgabe sei es auch gewesen, nach Auflösung der Versammlung darauf hinzuwirken, dass alle Beteiligten den Versammlungsort verlassen, so dass ein hypothetisches Blockieren eventuell verhindert werden könnte. Die UnterstützerInnen im Publikum trauten kaum ihren Ohren. Ein derartiges Urteil soll wohl davor abschrecken, überhaupt noch eine Versammlung anzumelden? Denn wie soll ein/e Versammlungsleitende/r andere dazu bringen, einen Ort zu verlassen? Wie soll er/sie diese gegebenenfalls daran hindern, zivil ungehorsam zu agieren? Würden blockierende AkivistInnen ihm/ihr brav gehorchen? Wohl kaum. Es war ja auch der am Aktionsort anwesenden Polizei nicht gelungen, die Blockade zu verhindern.

Ernst Ludwig Iskenius kommentierte das Urteil mit den Worten: „Wenn man als Versammlungsleiter für alles verantwortlich gemacht wird, was irgendwie im Umfeld der angemeldeten Versammlung geschieht, dann kann man in Zukunft gar nichts mehr anmelden". Auf jeden Fall werde er gegen dieses Urteil Berufung einlegen.

Insgesamt hat es wegen Teilnahme an Aktionen des Zivilen Ungehorsams in Büchel im Amtsgericht Cochem  bisher 53 Verurteilungen zu Geld- und sieben zu Freiheitsstrafen, drei Verfahrenseinstellungen und zwei Freisprüche gegeben.

Für sie gilt durchweg die Aussage der friedenspolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Kathrin Vogler: "Nicht der gewaltfreie Widerstand gehört auf die Anklagebank, sondern die völkerrechtswidrigen Atomkriegsübungen in Büchel. Ich fordere die Bundesregierung auf, den Beschluss des Bundestages zum Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland endlich umzusetzen. Als Zeichen gegen den drohenden atomaren Rüstungswettlauf sollte die Bundesrepublik außerdem dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beitreten."

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Ariane Dettloff ist Mitglied bei "Pax an" in Köln.