Soldaten sind Mörder, Teil II

von Roland Wünsch
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Das Bundesverfassungsgericht bestätigt am 7. November, das Urteil vom 5. August 1994, jetzt gibt es, das BVerfG vor öffentlicher Diffamie­rung durch Politiker in Schutz zu nehmen!

Der 1. Senat des BVerfG hat mehrere Verfassungsbeschwerden von Pazifi­stInnen und DFG-VK-Mitgliedern posi­tiv entschieden. Der Senat hob mehrere Urteile auf, nach denen KriegsgegnerIn­nen, unter ihnen die bayerische Landes­geschäftsführerin der DFG-VK, Gerti Kiermeier, wegen der Aussage "Soldaten sind potentielle Mörder / Kriegsdienstverweigerer" zu Geldstra­fen zwischen 15 und 90 Tagessätzen verurteilt worden waren. Die sämtlich wegen "Volksverhetzung" und "Beleidigung" ergangenen Urteile sind damit an die Strafgerichte zurückver­wiesen worden. Das noch in der Schwebe befindliche Verfahren gegen das DFG-VK-Mitglied Christoph Hiller, der 1994 die Entscheidung der 3. Kam­mer des BVerfG erstritten hatte, dürfte damit ebenfalls vom Tisch sein. Die Be­schlüsse sollten ursprünglich erst Ende September bekanntgegeben werden.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt erneut seine liberal Grundrechte enga­giert verteidigende Rechtsprechung im Bereich der Meinungs- und Gewissens­freiheit.

Mit dem Urteil hat das Bundesverfas­sungsgericht lediglich die "Waffengleichheit" in der politischen Auseinandersetzung hergestellt und Grundrechte geschützt. Durfte Heiner Geißler in seinen "Sturm-und-Drang"-Zeiten als CDU-Generalsekretär den Pazifismus als eigentliche Ursache von Auschwitz bezeichnen, so haben wir es jetzt nochmals schriftlich: Die grund­sätzliche Ablehnung militärischer Mittel kann sich auf höchstrichterlichen Schutz berufen. Das radikale Bekenntnis zum Pazifismus ist auch in dieser Republik möglich!

Besondere Bedeutung erlangt das Urteil jetzt in den Auseinandersetzungen über die "out-of-area"-Einsätze und die er­sten Kampfeinsätze der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien. Der pazifisti­sche Widerstand gegen die angelaufene Militarisierung der deutschen Außenpo­litik wird Thema der Neuauflage des "Soldaten sind Mörder"-Sommerthea­ters aus dem vergangenen Jahr sein.

Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit, Soldaten werden zum be­fehlsmäßigen Töten im Krieg ausgebil­det, Soldaten im Krieg sind Mörder! Daß es dabei nie um die individuelle Beleidigung von Soldaten ging, wurde in der Vergangenheit von Gerichten ge­flissentlich übersehen.

Roland Wünsch war Bundesgeschäfts­führer der DFG/VK

Stepahn Philipp

Pazifisten bleiben dabei: "Krieg ist ein Verbrechen - Soldaten sind Mör­der"

Wir begrüßen ausdrücklich den heute veröffentlichten Beschluß des Bundes­verfassungsgerichts vom 10. Oktober 1995, mit dem die Verurteilung von vier PazifistInnen, die Soldaten als (potentielle) Mörder bezeichnet hatten, aufgehoben wird.

Soldatenverbände appellieren we­gen des "Soldatenurteils" an das Parlament

Die Beschimpfung der Bundeswehr-Soldaten als Mörder richtet sich ge­gen die Sicherheitspolitik unseres Landes selbst und gegn den Auftrag der Solda­ten, den sie vom Parlament übertragen bekommen haben. Keine Institution darf tatenlos zusehen, wie die Akzeptanz der Sicherheitspolitik in unserer Gesell­schaft immer weite­ren Schaden nimmt.

Auch erwarten unsere Soldaten und Re­servisten, daß sich der Gesetzge­ber der Tatsache erinnert, daß er den Soldaten gesetzliche Pflichten zum treuen Dienen und zur tapferen Verteidigung von recht und Freiheit des deutschen Volkes auf­erlegt hat, und daß er deshalb zur be­sonderen Fürsorge und zum schutz vor ver­leumderischen Attacken verpflichtet ist. Wer jungen Männern mit der Ver­pflichtung zum Wehrdienst be­sondere Opfer abverlangt, muß sich schützend vor sie stellen, wenn sie wegen eben dieser Verpflichtung öf­fentlich verhöhnt werden.

(Auszug aus dem Appell der Solda­tenverbände an das Parlament)

Trotz massiven und die verfassungsmä­ßige Gewaltenteilung missachtenden Drucks aus Regierung und Parlament hat das Verfassungsgericht damit - wie es in einer Demokratie selbstverständ­lich sein muß - erneut klargestellt, daß das Grundrecht der Meinungsfreiheit bedeutet:

- Krieg darf als das bezeichnet werden, was er ist, nämlich als Verbrechen und Mord.

Und:

- Die in staatlichem Auftrag bei diesem Verbrechen handelnden Soldaten sind Mörder.

Wir als PazifistInnen haben keine Pro­bleme damit, daß das Verfassungsge­richt nur die Bezeichnung generell aller Soldaten als Mörder für erlaubt hält - denn exakt dies ist unsere Position:

- Es gibt keine gerechten und unge­rechten Kriege, sondern jeder Krieg ist ein Verbrechen.

- Es gibt keine guten und schlechten Soldaten, sondern jeder Soldat ist ein Mörder, wenn er im Krieg das tut, wozu er ausgebildet wurde und was sein Auftrag ist.

Denkwürdig ergibt sich daraus in der Konkretisierung: Wenn Soldaten der Bundeswehr bei "out-of-area"-Einsätzen kämpfen, dann werden diese Bundes­wehr-Soldaten zu Mördern. Wer sich dadurch beleidigt fühlt, kann anschei­nend die Wahrheit nicht ertragen.

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Roland Wünsch ist Politikwissenschaftler aus Bonn. Er befasst sich seit längerem mit Projekten der zivilen Konfliktbearbeitung. In den letzten zwei Jahren war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei NAVEND - Zentrum für kurdische Studien e. V. tätig.