Soldaten-Verweigerung gegen völkerrechts- oder grundgesetzwidrige Befehle

von Jürgen Rose

(ms) Ein Oberstleutnant der Bundeswehr hat unter Bezug auf das Bundesverwaltungsgerichtsurteil zur Gewissensfreiheit der Soldaten (vgl. FF 6/05, S. 14ff) eine vorsorgliche Erklärung hinsichtlich möglicher völkerrechtswidriger Befehle der Bundeswehr gegenüber abgegeben. Eine solche Erklärung könnte jeder Soldat seinen Vorgesetzten vorlegen und zu den eigenen Personalakten nehmen lassen. Wer Soldaten kennt, kann diese zu solchem Handeln ermuntern. Die Erklärung ließe sich auch im Kontext eines Soldatenaufrufs/-flugblatts verarbeiten und vor Kasernen verteilen.

Wir dokumentieren das Anschreiben sowie die Dienstliche Erklärung von Oberstleutnant Rose im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Oberst!

Anbei lege ich Ihnen meine von mir an lässlich eines Personalgespräches mit (N.N.) am 3. Mai 2006 abgegebene Dienstliche Erklärung zur Kenntnisnahme und mit der Bitte vor, diese in meine Personalakte aufzunehmen.

Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Urteilsbegründung (Bezug 1) dargelegt hat, ist „den sich bei Inanspruchnahme der Gewissensfreiheit durch Soldaten für den militärischen Dienstbetrieb ergebenden Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten … durch Herstellung „praktischer Konkordanz" Rechnung zu tragen“. Dabei muss angestrebt werden, den aufgetretenen Gewissenskonflikt unter Wahrung konkret feststellbarer berechtigter Belange der Bundeswehr in einer Art und Weise zu mildern und zu lösen, dass die verfassungsrechtlich zwingend normierte „Unverletzlichkeit" der Gewissensfreiheit nicht in Frage gestellt, sondern gewährleistet und gesichert wird. Dies erfordert ein konstruktives Mit- und Zusammenwirken „beider Seiten". Darüber hinaus hat das Gericht ausgeführt, dass „vom jeweiligen Soldaten ... erwartet werden [kann], dass er seine Gewissensnöte seinen zuständigen Vorgesetzten möglichst umgehend und nicht „zur Unzeit" darlegt sowie auf eine bald möglichste faire Klärung der zugrunde liegenden Probleme dringt."

Mit der von mir vorgelegten Dienstlichen Erklärung beabsichtige ich, dieser Forderung der Bundesverwaltungsrichter Genüge zu leisten.

Dienstliche Erklärung

In Anerkennung des Primats der Politik und verpflichtet meinem Eid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen so wie Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, erkläre ich hiermit, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, Befehle auszuführen, die gegen das Völkerrecht oder das deutsche Recht verstoßen. Ich berufe mich dabei auf Artikel 4, Absatz 1 des Grundgesetzes sowie auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig zur Gewissensfreiheit von Soldaten vom 21. Juni 2005 (BVerwG 2 WD 12.04).

Begründung:

Nach höchstrichterlichen Entscheidungen von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht ist ein Einsatz der Bundeswehr rechtmäßig nur:

  • zur Verteidigung gemäß Artikel 87a Absatz 1 und 2 Grundgesetz, wobei Verteidigung alles umfasst, was nach geltendem Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen zu rechnen ist, auf der Grundlage des Artikel 24, Absatz 2 Grundgesetz im Rahmen eines »Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit« - und zwar lediglich zu den Aufgaben, zu deren Erfüllung sie eingesetzt werden darf und nur, soweit der Einsatz im Rahmen der Regeln des »Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit« erfolgt, also insbesondere mit der Charta der Vereinten Nationen vereinbar ist,
  • soweit dies das Grundgesetz ausdrücklich zulässt, wie Artikel 87a Absatz 2 Grundgesetz zwingend bestimmt.

Deshalb werde ich insbesondere internationale Einsätze der Bundeswehr auch im Rahmen von multinationalen Verbänden der NATO oder der Europäischen Union (zum Beispiel NATO Response Force, EU Battle Group, Eurokorps) nur dann unterstützen oder an diesen teilnehmen, wenn diese durch das Völkerrecht oder das deutsche Recht gedeckt sind.

Diese von mir unterzeichnete Dienstliche Erklärung soll zu meiner Personalakte genommen werden.

München, den 1. Mai 2006 Jürgen Rose, Oberstleutnant

 

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Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung ,Darmstädter Signal'.