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Über die Mühen, ein Thema rechtzeitig in die Medien zu bringen - und die Konsequenzen
Somalia: Verdrängter Straftatbestand
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Im diesjährigen Sommerloch unserer Informationsfabrikanten war plötzlich - über Bosnien-Herzegowina hinaus - weitere Betroffenheit, neues Entsetzen angesagt: Die somalische Apokalypse wurde zum aktuellen Medienthema. "30000 Tote allein in Mogadischu", "viereinhalb Millionen Menschen vom Hungertod bedroht", "Situation wie nach Atombombenexplosionen". Per Satellitenschüsseln kamen die Bilder aus den Hungerlagern direkt und "live" auf unsere Bildschirme: die ausgemergelten Knochengerippe der Kinder, das bitterliche Weinen der kleinen Kreaturen, die mit letzter Kraft an leeren Brüsten saugen -, nach wenigen Tagen Berichterstattung über das Bürgerkriegsinferno am Horn von Afrika war klar: Somalia ist schlimmer noch als Bosnien-Herzegowina!
Aber: Wie kann es denn so plötzlich zu einer solchen Superkatastrophe kommen, ein Massensterben ohne Vorankündigung - wie ist das möglich? Beim "alten" Jugoslawien war das doch völlig anders! Da haben wir doch die Entwicklung zur Katastrophe Schritt um Schritt mit-gesehen, mit-gehört, mit-gelesen. Aber dieses Somalia! Da springen sich diese Neger plötzlich alle gegenseitig an die Gurgel; komisch - dieses wilde, schwarze Afrika. Nein, werte BürgerInnen, so, so war das alles nicht. Auch die somalische Katastrophe hat sich ganz allmählich entwickelt.
Noch bevor es in Bosnien-Herzegowina zum Schießen, Brandschatzen, Foltern und Morden kam, gab es das alles schon in Somalia; nicht nur gleich viel Schrecken, sondern noch viel, viel mehr davon. Nur: Da gibt es etliche Mediengewaltige - sie hocken überall, bei den privaten und öffentlich-rechtlichen - Mediengewaltige also, die mir im März gesagt haben - als ich gerade aus dem Bürgekriegsinferno Somalias zurückkam: "Du hast Dir das falsche Thema ausgesucht! - Somalia, das ist zu weit weg für unsere Zuschauer und Hörer." Immer wieder wurde mir das gesagt. Die auf den Redaktionsstühlen reagierten so, weil offensichtlich als Entscheidungskriterien galt und gilt: "Schwarze Tote zählen weniger." Sonderberichterstattung zuhauf übers alte Jugoslawien, monatelanges Verschweigen der somalischen Katastrophe. So ist das nun mal in unserer rechtsstaatlichen Medienwet. Medien-Rassismus also, und ein Stück Verdummung der Öffentlichkeit.
Weil nicht berichtet wurde, geschah auch politisch nichts.
Doch dabei ist es nicht geblieben. Weil nicht berichtet wurde, weil das somalische Elend nicht hautnah auf den Bildschirmen erschien, geschah auch politisch - fast ein ganzes Jahr lang - absolut nichts. Die UNO verschlief die schwarze Apokalypse im New Yorker Glashaus, und der von Weißen dominierte Sicherheitsrat war in erster Linie mit dem alten Jugoslawien beschäftigt. Die Politik hielt sich ganz an das, was die Medien vorpraktiziert hatten: "Schwarze Tote zählen weniger."
All das hat verheerende Konsequenzen für das somalische Volk. Und das ist der eigentliche Skandal. Weil die Medien blind waren und die UNO nichts tat, eskalierte die Katastrophe zur Superkatastrophe. Und diese Art Eskalation wäre vermeidbar gewesen.
Damit steht aber auch fest: Ein Großteil des somalischen Massensterbens geht auf das Konto des Auslands und dessen Stillhaltepolitik. Die internationale Gemeinschaft hat sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht, und dies ist - bis jetzt leider nur beim inländischen Recht - ein Straftatbestand. Denn eine frühzeitige Intervention der Vereinten Nationen zu Beginn des Jahres, die Berufung eines hochrangigen Sonderbeauftragten und die Entsendung von UN-Truppen hätten das jüngste Horrorszenario verhindern können. Doch diesem ersten Versagensrekord folgte bald ein zweiter, der mit allgemeinem Menschenverstand im Kopf gar nicht mehr zu begreifen ist. Wegen der "Anarchie total" in Somalia lassen sich Hilfsgüter nur unter dem Schutz ausländischer Truppen verteilen. Ebenso wie es nur einer Interventionsmacht von außen möglich wäre, die erforderlichen landesweiten Friedenskorridore für die Abwicklung der Nothilfe zu etablieren.
Nach wochenlangen Diskussionen beschloß der Sicherheitsrat Ende Juli endgültig die Entsendung von 500 UN-Soldaten. Die sollten den See- und den Flughafen sowie einige Verkehrsachsen in der Hauptstadt Mogadischu schützen. Anfang September waren die "500" immer noch nicht in Mogadischu: Die Plünderungen von Hilfsgütern dauerten an, folglich konnten viele Hungernde nicht gerettet werden. Ende August beschloß der Sicherheitsrat die Entsendung von weiteren 3000 Blauhelmen, verkündete aber gleichzeitig, an eine rasche Entsendung sei nicht gedacht. Die vornehmen UN-Diplomaten wollten zunächst noch die Zustimmung eines Bürgerkriegsgenerals namens Aideed einholen. Dem allerdings trieft das Blut von den Händen, und dessen Mannen sind erwiesenermaßen an den Plünderungen beteiligt.
Grund genug eigentlich, statt der Blauhelme eine militärische Eingreiftruppe unverzüglich nach Somalia zu chicken. Aber die UNO übt sich lieber in dem Verrenkungs-Kunststück, sich zu bewegen, aber dennoch stehen zu bleiben. Derweil sterben die Somalis weiter, und niemand regt sich ernstlich auf. Ganz in dieses Bild paßt denn auch, daß die Bundesrepublik bis in den September hinein praktisch nichts unternahm, um die UNO endlich auf Trab zu bringen und in entschlossener Weise zur Konfliktlösung beizutragen. Jener Minister, der bei seinem Dienstantritt Afrika einen höheren Stellenwert innerhalb der deutschen Außenpolitik versprochen hatte, dieser Chef des AA schickte nach monatelangem Zuwarten seinen Staatsminister nach Mogadischu für ganze acht Stunden.