Soziale Verteidigung - kein Ersatz für die Bundeswehr!

von Richard Ackva

Die Armee der Bundesrepublik Deutschland, die sogenannte Bundeswehr, ist ungeliebt. Fast alle jungen Männer, die zum "Bund" gehen, gehen nicht, weil sie mögen, sondern weil sie müssen. Und oft ziehen sie den Kriegsdienst mit Waffe dem Zivildienst vor, da sie möglichst schnell diese verlorenen Monate hinter sich bringen wollen. Umfragen zufolge soll aber die ungeliebte Armee nicht abgeschafft werden. Dafür reichen Ablehnung, möglicherweise gar Verachtung und Haß nicht aus. Hoffentlich liegt dennoch Prof. Rupert Scholz mit seiner Vermutung richtig: "Machen wir uns keine Illusionen, heute sind es die Tiefflüge, morgen sind es die Manöver und übermorgen wird die gesamte Bundeswehr in Frage gestellt werden" (KA-Rundbrief 7/88).

Mit der Bundeswehr verhält es sich nach meiner Meinung wie mit dem Apartheidsregime in Südafrika: so wenig wie die Apartheid reformiert werden kann, so wenig kann die Bundeswehr reformiert werden. Beide gehören abgeschafft! Nicht deshalb, weil beide in Ursachen, Erscheinungsweisen und Auswirkungen identisch wären, sondern weil beide auf je unterschiedliche Weise ein übel darstellen, welches zu ihrem Wesen gehört. Das Übel der Bundeswehr drückt sich in zwei Punkten aus:
a)    Die Armee "Bundeswehr" kultiviert und pflegt undemokratische Praktiken, das Prinzip von Gehorsam und Befehl. Ohne dieses Prinzip gilt eine Armee als unvorstellbar. Gehorsam ist zu leisten, Ungehorsam zu bestrafen! Der Soldat soll nicht denken, sondern gehorchen. "Der Soldat, der andere tötet und zum Krüppel macht, der Bomberpilot, der in einem einzigen Augenblick Tausende von Menschenleben vernichtet, wird nicht notwendiger¬weise von destruktiven oder grausamen Impulsen dazu veranlaßt, sondern vom Prinzip des Gehorsams, der keine Fragen steift" (Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, rororo 7052, S. 233).
b)    Die Armee "Bundeswehr" trägt erheblich zu dem Rüstungswettlauf bei - einem Rüstungswettlauf, der eine der schrecklichsten Wunden der Menschheit darstellt und die Armen unerträglich schädigt (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Gaudim et spes vom 7. Dezember 1965, Nr. 81). Selbst Kürzungen der Militärausgaben änderten nichts an der Beteiligung. Diente die Verschwendung und Vergeudung wenigstens der Verhinderung eines Krieges, dann könnte die negative Bewertung anders ausfallen. Nur rechtfertigt die militärische und politische Führung der bundesrepublikanisehen Armee ihre Existenz willkürlich. So wird etwa aus dem zeitliche Zusammenhang eines Nicht-Krieges in (Mittel-) Europa nach 1945 und dem Bestehen der Bundeswehr/NATO seit 1955/1949 ein ursächlicher Zusammenhang. Das ist eine logische Fehlleistung.Bausteine dagegen.
In der Gegenwart wird die Forderung nach bedingungsloser Abschaffung der bundesdeutschen Armee nur von einer sehr kleinen Minderheit erhoben. Die¬sen Zustand zu beklagen hat wenig Sinn. So wichtig das Klagen und An¬klagen auch sind, so wichtig sind Strategien und Oberlegungen für die Erreichung des Ziels, das Militär abzuschaffen. Um das alte Haus "Bundeswehr" abzureißen, bedarf es vielfältiger Aktivitäten. Das gilt aber auch für das neue Haus, das noch keinen Namen hat und dessen Aussehen erst in Entwürfen besteht. Das Konzept der sozialen Verteidigung ist in diesem Kontext ein wichtiger Baustein:
a)    Viele sind gegen die Abschaffung der Bundeswehr, weil sie meinen, wir bräuchten sie irgendwie zur Sicherung von "Frieden in Freiheit". Gleichzeitig ist oftmals ein Unbehagen, eine Ablehnung gegen die Bundeswehr im Konkreten und/oder Allgemeinen festzustellen. In dieser Situation bietet das Konzept der Sozialen Verteidigung eine brauchbare Hilfe: Es erlaubt weiterhin das Bedrohungsbild, fördert aber zur gleichen Zeit das Unbehagen und die Ablehnung, weil es gedanklich, realitätsbezogen klar auf¬weisen kann, daß Verteidigung gewaltfrei möglich ist, daß dadurch mögliche Angreifer vor einem Angriff abgehalten werden können.
b) Viele sind gegen die Abschaffung der Bundeswehr, weil sie sich eigentlich ein Leben, einen Staat ohne Militär, Rüstung und Armee nicht vorstellen können. Ihr Denken und Fühlen ist entsprechen der herrschenden Traditionen militarisiert. Das Konzept der Sozialen Verteidigung bietet hier eine brauchbare Hilfe: Es vermittelt durch das Anknüpfen an historisch geglückte Formen des gewaltfreien Handelns und Zusammenlebens (u. a. in Norwegen, Bulgarien, Deutschland), daß es eine gewaltfreie (Gegen-) kultur gab und gibt, die nicht nur Freude macht, sondern auch noch effektiv gegen Militärische ist. Daß das Zusammenleben ohne das Prinzip von Befehl und Gehorsam möglich und effektiver ist, wird offensichtlich. Verstärkt wird es durch die Erfahrungen bei gewaltfreien Aktionen heute. Das militärische Fühlen und Denken wird so wirkungsvoll untergraben.
Die Soziale Verteidigung hat nicht die Aufgabe, die Bundeswehr zu ersetzen; denn die Armee braucht keinen Ersatz. Ihre Funktion liegt heute in erster Linie im Zersetzen der Armee.

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Richard Ackva, Referent für Friedens¬fragen beim Versöhnungsbund