Kampagnen

Spannend wie Krimis – Kampagnen der Friedensbewegung

von Ulrich Wohland

Kampagnen sind wahre Wunderwerkzeuge. Kampagnen, richtig verstanden, bringen politische Erfolge, neue Mitglieder und Spendengelder. Kampagnen dynamisieren Organisationen, befördern Zusammenarbeit zwischen Friedensinitiativen, beleben Regionalgruppen, lassen neue Gruppen entstehen, bieten jungen AktivistInnen Mitmachmöglichkeiten und stärken soziale Bewegungen. Es gibt kein politisches Handlungskonzept, das zeitgleich so viele positive Effekte hat. Häufig werden alle diese Ziele isoliert verfolgt, Spendenwerbung, Aufbau von Regionalgruppen, Ansprache von Jugend, Mitgliedergewinnung usw. Mit Kampagnen hat man alles in einer Hand und nebenbei bringt es uns unserem politischen Ziel näher: Kriege verhindern – Frieden ermöglichen.

Natürlich sind Kampagnen auch anstrengend, kosten zunächst Geld, brauchen viel Zeit und wirbeln den eigenen Laden erst einmal gehörig durcheinander. Da alle sowieso bis unter die Hutschnur aktiv sind, ist jede neue Belastung eigentlich auch eine Belastung zu viel. Doch wenn wir nach dem Ende einer Kampagne fragen, „was hat es dir persönlich gebracht?“ Dann hören wir z.B.: „spannungsreich, aber spannend. Ein Krimi kann nicht besser sein“. Merke: statt Krimis lesen, Kampagnen organisieren!

Kampagne und Soziale Bewegung

Aber der Reihe nach. Kampagnen sind das Bindeglied zwischen Aktionen und sozialen Bewegungen. Viele Aktionen, konzeptionell aufeinander bezogen, ergeben eine Kampagne, und mehrere Kampagnen verstetigen und beleben soziale Bewegungen. Kampagnen sind mehr als Aktionen und soziale Bewegungen sind mehr als Kampagnen. Jedoch bleiben Aktionen ohne Kampagnen ziellos und soziale Bewegungen ohne Kampagnen kraftlos. 

Kampagnen haben freilich auch Schwächen. So verfolgen Kampagnen immer begrenzte Zielsetzungen. Angesichts der aktuell schier unbegrenzten Zahl von Problemen und angesichts der zumeist tief im politischen und wirtschaftlichen System liegenden Ursachen eines Problems, z.B. einer Umweltkrise, eines Krieges oder eines neuen Waffensystems, stellt die Planung einer Kampagne mit begrenzten Zielen eine große Herausforderung dar. Maximaler persönlicher Einsatz für ein begrenztes Ziel der Kampagne - hier sind Bescheidenheit und Realitätssinn gefragt. Eine Kampagne alleine rettet die Welt nicht. Oft verhindert sie sogar nur das Schlimmste. Deshalb ist es notwendig, zwischen Kampagnen und sozialen Bewegungen immer eine konzeptionelle und praktische Beziehung herzustellen. Denn letztlich sind nur soziale Bewegungen in der Lage, weitreichende gesellschaftliche Transformationen nachhaltig durchzusetzen.

Am Anfang einer Kampagne stehen drei Dinge. Drei wild Entschlossene, ein begrenztes Ziel und die Bereitschaft, in Kooperation mit anderen Friedensorganisationen den Kampagnenplan zu entwickeln und den Kampagnenrat aufzubauen. In der Friedensbewegung in Deutschland ist keine Organisation personell stark genug, eine Kampagne alleine zu realisieren. Im Bereich der Umweltorganisationen können Greenpeace und BUND alleine Kampagnen auf die Beine stellen. Doch keine Friedensorganisationen ist groß genug und kann ausreichend hauptamtliches Personal zur Verfügung stellen. Und hauptamtliches Personal ist notwendig. Ehrenamtlich Aktive allein genügen nicht. Freilich hat dieser Nachteil auch einen Vorteil. Wo viele Organisationen zusammenarbeiten, wird die Kampagne nicht nur bunter, ihr Potential zu sozialen Bewegungen ist größer und sie aktiviert fast automatisch viele AktivistInnen. Zugleich werden ganz unterschiedliche Teile der Bevölkerung durch die unterschiedlichen Gruppen im Kampagnenrat angesprochen. Wenn kirchliche Friedensorganisationen dabei sind, werden Kirchenmitglieder angesprochen, wenn AntimilitaristInnen dabei sind, AntimilitaristInnen, wenn Jugendorganisationen mitmachen, werden jüngere AktivistInnen angesprochen usw. Wir vervielfachen so unsere „Zielgruppen“, unsere Schwäche wird zur Stärke.

Kampagnenarten

Wenn wir hier von Kampagnen sprechen, meinen wir einen ganz bestimmten Typus. Im allgemeinen Sprachgebrauch gibt es eine Vielzahl von Kampagnen. Die Wahlkampagne, die Werbekampagne, die Fundraisingkampagne, die Rufmordkampagne oder auch die Zuckerrüben- und die Karnevalskampagne. Von Letzterer kann man übrigens viel lernen. Die Karnevalkampagne hat einen eindeutigen Anfang, den 11.11., und ein eindeutiges Ende, den Aschermittwoch. Sie eskaliert allmählich, gewinnt an Lebendigkeit durch eine Vielzahl von dezentralen Veranstaltungen mit vielen informativen und mobilisierenden Redebeiträgen und erreicht ihren Höhepunkt durch eine massive Präsenz im öffentlichen Raum, sprich durch (bunte und vielfältige) Demonstrationen. Sie hat auch eine begrenzte Zielsetzung, die Vertreibung des Winters, was bislang immer, wenn auch häufig zeitverzögert, erreicht wurde. Ach ja und sie macht Spaß. Auch das sollte bei unseren politischen Kampagnen nicht zu kurz kommen.

Was wir hier meinen, das sind Druckkampagnen. Druckkampagnen greifen idealerweise ein Thema auf, das öffentlich bereits breit diskutiert wird, und wo wir eine positive Stimmung, eine demoskopische Mehrheit für unsere Forderungen besitzen. Was noch fehlt, ist die politische Umsetzung dieser vorhandenen Stimmung in politische Entscheidungen. So gab es schon lange vor dem Atomausstieg bei Umfragen einen öffentlichen Konsens gegen Atomkraftwerke, übrigens auch gegen Atomwaffen. Und aktuell gibt es eine deutliche Mehrheit, die die Militäreinsätze der Bundeswehr kritisch beurteilt oder sie sogar ablehnt. Was fehlte bzw. fehlt, ist die politische Umsetzung. Dafür hat sich die Anti- Atomkraftbewegung mit ihren Aktionen zu den Castortransporten erfolgreich auf den Weg gemacht. Die Friedensbewegung mit ihrer Druckkampagne zu den 20 Atomwaffen, die immer noch in Deutschland (in Büchel in der Eifel) lagern oder auch mit der neuen Kampagne zu dem Bundeswehreinsatz in Syrien, fordert aktuell die politische Umsetzung. Druckkampagnen machen Druck auf die EntscheiderInnen und Druckkampagnen entwickeln eine Vorstellung davon, wann und wo die Entscheidungen anstehen. So steht z.B. für die internationalen Bundeswehreinsätze (derzeit ca. 15) einmal im Jahr die Verlängerung ihres Mandates auf der Tagesordnung des Bundestages. Die ParlamentarierInnen müssen also entscheiden und könnten im Prinzip immer „Nein“ sagen. Der Syrieneinsatz der Bundeswehr zum Beispiel soll im Dezember verlängert werden. Das wollen wir verhindern. Auf diesen Termin hin mobilisiert die Kampagne „Macht Frieden.“ mit Aktionen und mit Lobbyarbeit in Berlin und in den Regionen vor Ort.

Damit unterscheiden sich Druckkampagnen von sogenannten Aufklärungskampagnen. Diese wollen oft über ein Thema aufklären und streben anstelle von politischen Entscheidungen individuelle Verhaltensänderungen an. Eine im doppelten Sinne aufklärende Kampagne ist die Kampagne zu Aids. Sie schafft Bewusstsein und unterstützt individuelles Verhalten und Verhaltensänderung für „Safer Sex“. Aufklärungskampagnen sind vergleichsweise einfacher zu organisieren. Man braucht viel Geld, um viel Informationsmaterial an die Zielgruppen zu bringen. Diese Arbeit ist relativ gut planbar, auch von kleineren Organisationen – finanzielle Mittel vorausgesetzt - durchführbar. Demgegenüber haben Druckkampagnen einen Gegner, der seinerseits agiert und auf den ständig neu reagiert werden muss. Das erschwert die langfristige Planbarkeit.

Spenden und Aktive

Bei Druckkampagnen kämpfen wir in der Regel nicht nur gegen den Gegner, sondern auch gegen eine geringe Mittelausstattung. Das Thema Spenden muss hier ganz zentral gesetzt werden. Leider wird das Spendenkonto oft vergessen oder so versteckt in die Texte geschrieben, als schäme man sich, Geld für gute (Widerstands-) Arbeit einzuwerben.

Weiter gilt: „Wer keine Tausender an Euro hat, muss halt Tausende mobilisieren.“ AktivistInnen mit ihrer sozialen Phantasie ersetzen die Finanzen, die uns fehlen. Mit dem schönen Nebeneffekt, dass nebenbei Gruppen reaktiviert oder neue Gruppen gegründet werden. Statt Geld zu verwalten, das nicht da ist, kann sich die Energie auf den Gruppenaufbau und die Pflege der Adressdateien konzentrieren. Am Ende eine Kampagne sind wir vielleicht nicht reicher an Geld, aber auf alle Fälle reicher an Adressen und damit auf lange Sicht an Mitgliedsbeiträgen.

Ein Anfang und ein Ende
Kampagnen haben einen Anfang und ein Ende. Nun wird aber durch eine Kampagne allein das begrenzte Ziel oft nicht erreicht. Deshalb gilt zusätzlich: „Wir sind gekommen, um zu gewinnen!“ Atomkraftwerke müssen abgeschaltet, Atomwaffen müssen abgezogen und verschrottet, ein Rüstungsprojekt gestoppt, ein Krieg beendet werden. Ein bisschen Atomwaffen und ein bisschen Krieg gibt es so wenig wie ein bisschen schwanger. Falls zu erwarten steht, dass wir unser Ziel nicht auf den ersten Rutsch erreichen, bietet sich folgendes Vorgehen an: Wir gliedern die Kampagne in mehrere Phasen, die alle ihre eigenen Höhepunkte haben. Wir planen eine Anschlusskampagne, mit neuem Start und neuer zeitlicher Zuspitzung oder wir legen die Kampagnen von Anfang an zyklisch an, wie bei den Castortransporten oder aktuell der Kampagne „Ende Gelände“ zum Thema CO 2 Ausstoß. Auf alle Fälle bleiben wir dran, bis zum Erreichen des Ziels. „We are in it, we will win it!

 

Druck und Wirkmächtigkeit
„Aber brauchen wir denn nicht auch Aufklärungskampagnen?“ Aber natürlich brauchen wir sie. Nur sollten wir darauf achten, dass nicht nur das Bewusstsein in der Bevölkerung für ökologische, menschenrechtliche, umweltpolitische und eben auch friedenspolitische Themen wächst, sondern auch, dass die Politik die nötigen Rahmenbedingungen schafft. Das gelingt aber nur, wenn wir mehr Druck erzeugen als die Lobby der Industrie und der militärischen und wirtschaftlichen Interessengruppem. Jahrzehntelange Aufklärung zum Thema Rauchen wurde abgeschlossen durch die Gesetzgebung, wo noch und wo nicht mehr geraucht werden darf. Deshalb ist das Mittel der Wahl die Druckkampagne.

Zum Glück haben wir bei vielen Themen die Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite. Was fehlt, ist die Wirkmächtigkeit dieser Mehrheit. Deshalb gilt: Organisiert die Empörten, gebt den Menschen die Möglichkeit, erfolgsorientiert zu handeln. Gebt ihnen Aktionen, eingebunden in strategisch geplante Kampagnen. Und dann ist Aufklärung allemal dabei. Denn Kampagnen sollten nicht nur Druck aufbauen, sondern gleichzeitig die Vorstellung transportieren, wie es besser werden kann. Wir fordern die EntscheiderInnen nicht nur auf, etwas abzubrechen oder zu unterlassen. Wir fordern sie gleichzeitig auf, Entscheidungen für eine menschenwürdige, ökologische und friedenslogische Zukunft zu treffen. So war und ist der Atomausstieg verbunden mit vielfältigen Vorschlägen zur regenerativen Energie. Der Ausstieg aus der militärischen Bekämpfung des Terrorismus ist verbunden mit alternativen Konzepten zur Friedenssicherung, zu Konzepten der zivilen Konfliktbearbeitung. Wir fordern ein „Nein“ und wir fordern ein „Ja“. Beides zusammen macht die Druckkampagne erst rund.

 

CampaPeace
Das notwendige Know How, einzelne Werkzeuge, um Kampagnen zu planen,  z.B. aus den Bereichen Aktionsplanung, grafische Gestaltung und Social Media sind weit verbreitet. Was fehlt, ist die Kompetenz, um einen Gesamtplan zu komponieren. Und was auch fehlt, ist die moderative Kompetenz, Kampagnenräte zu begleiten und ergebnisorientiert zu arbeiten. Hier nun setzt die praxisorientierte Ausbildung „CampaPeace“ an, ein Gemeinschaftsprojekt der IPPNW, der DFG-VK, ORL und der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion. (1) Im Herbst 2016 startet der dritte Ausbildungsgang. (2) Er geht über eineinhalb Jahre. Bildungsarbeit organisationsübergreifend hat in der Friedensbewegung bislang eher ein Schattendasein geführt. CampaPeace spricht deshalb vorrangig eine neue Generation jüngerer Aktiver an, um so auch den anstehenden Generationenwechsel in der Friedensbewegung vorzubereiten. Getreu der Devise: Qualifizierung ist nicht alles, aber ohne Qualifizierung ist alles nichts. Ganz praktisch und in Echtzeit in und durch Kampagnen.

Ich jedenfalls lese schon lange keine Krimis mehr. Ich mache Kampagnen. Spannung ist garantiert. Und so ganz nebenbei jagen wir die richtigen Bösewichte.

Anmerkungen
1 Vgl. www.wfga.de
2 Anmeldungen sind weiterhin möglich bei: Claudia Funk, Projektkoordinatorin, claudia [dot] funke [at] wfga [dot] de oder Ulrich Wohland  0170-813 45 32.

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Ulrich Wohland arbeitet ehrenamtlich bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden und ist Initiator der Ausbildung "Campapeace". Er ist Moderator, Coach, Campaigner und Kommunikationstrainer.