US-Atomwaffen: Mehr vom Gleichen

Spekulation über die Atomwaffenpolitik der künftigen US-Präsidentschaft

von Regina Hagen
Hintergrund
Hintergrund

Bei Redaktionsschluss dieses Heftes wissen wir noch nicht, wer die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten gewinnt – Donald Trump, der für die Republikaner antritt, oder Kamala Harris, die Kandidatin der Demokraten. Dennoch wagt die Autorin einige Vorhersagen über die künftige Atomwaffenpolitik der USA. Hoffnung auf einen grundlegenden Politikwechsel hegt sie dabei nicht.

Atomwaffen sind in den USA im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 kaum ein Thema. Dies gilt für außenpolitische Themen insgesamt, mit Ausnahme der militärischen Unterstützung Israels und, mit Abstrichen, der Ukraine.

Tatsächlich gibt es in den USA eine Art politische Konstante seit dem Zweiten Weltkrieg. Darauf verweist Jackie Cabasso: „‚Abschreckung‘ – die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen – wurde von jedem Präsidenten als ‚Eckpfeiler‘ der nationalen Sicherheitspolitik der USA bekräftigt, und zwar seit 1945, als Präsident Harry Truman, ein Demokrat, die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki verfolgte.“ (1)

Donald Trump: Atomwaffen für das 21. Jahrhundert
Von Donald Trump ist aus seiner ersten Amtszeit die Frage überliefert, warum die USA eigentlich keine Atomwaffe einsetzen sollten, wenn sie doch so viele haben. Das offizielle Wahlprogramm der Grand Old Party, wie sich die Republikaner selbst nennen, birgt keine verteidigungspolitische Überraschung: „Die Politik der Republikanischen Partei muss sicherzustellen, dass das amerikanische Militär das stärkste und bestausgerüstete der Welt ist.“ (2)

Atomwaffen werden im Wahlprogramm nicht benannt, allerdings ausführlich in der Planung des millionenschweren „Project 2025“. Unter diesem Namen bereiten zahlreiche Organisationen (federführend und finanzstark die rechtskonservative Heritage Foundation) und Personen seit mehr als zwei Jahren die Übernahme einer zweiten US-Präsidentschaft durch Donald Trump vor. (3) Eine Blaupause für die Maßnahmen ab dem erhofften Amtsbeginn am 20. Januar 2025 und für die Politik in den folgenden vier Jahren beschreibt das im vergangenen Jahr veröffentlichte, 920 Seiten starke „Playbook“ mit dem Titel „Mandate for Leadership – The Conservative Promise“. (4)

Unter Verweis auf (nukleare) Bedrohungen durch China, Russland, Nordkorea und Iran werden grundlegende „Reformen“ der „nuklearen Triade“ angekündigt, die nuklear bewaffnete Flugzeuge, U-Boote und ballistische Raketen umfasst. Folgende Maßnahmen werden vorgeschlagen: Die beschleunigte „Modernisierung“ und Vergrößerung von Trägersystemen und Atomsprengköpfen, Entwicklung und Bau eines U-Boot-gestützten Marschflugkörpers, „Wiederaufbau“ des Atomwaffenkomplexes, u.a. zum Bau von mehr Nuklearsprengköpfen und neuen Atombombentypen, jederzeitige Möglichkeit von Atomwaffentests auf der Nevada Test Site - und Verhandlungen über „Rüstungskontrollabkommen nur, wenn sie den Interessen der USA und ihrer Verbündeten dienen“. Erklärtes Ziel: „Die Atomstreitkräfte der USA so ausbauen und modernisieren, dass sie die Größe, die Ausgereiftheit und den Zuschnitt haben, um Russland und China gleichzeitig abzuschrecken.“

Klingt nicht neu? Ist es auch nicht! All diese Maßnahmen werden bereits vorangetrieben, lediglich die Entwicklung des seebasierten Marschflugkörpers wurde von der Biden-Administration vor zwei Jahren gestoppt.

Ende Juli 2024 veröffentlichte Heritage einen „Nuclear Posture Review“. Ein NPR ist eigentlich ein Regierungsdokument. Jeder neue US-Präsident beauftragt das Pentagon, die Atomwaffendoktrin, -arsenale und -pläne der USA zu evaluieren und Konzepte für die Zukunft vorzuschlagen. Das Ergebnis wird spätestens im zweiten Amtsjahr im NPR festgehalten, von dem der Öffentlichkeit eine zensierte Version bekannt wird.

Nun also dieser 61 Seiten umfassende „Special Report“ von Heritage: „A Nuclear Posture Review for the Next Administration. Building the Nuclear Arsenal of the 21st Century”. (5) Gefordert wird die Ausweitung der Produktionskapazität auf 200 neue Atomsprengköpfe pro Jahr, die Stationierung von mehr taktischen Atomwaffen in Europa sowie die erneute Stationierung im pazifischen Raum, die Ausweitung der nuklearen Teilhabe, den deutlichen Ausbau von Interkontinentalraketen ebenso wie von Raketenabwehr und damit einhergehend die deutliche Erhöhung des Atomwaffenbudgets.

Kamala Harris
Die Plattform der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2024 wurde für eine zweite Amtszeit von Präsident Biden geschrieben, ist aber auch für die Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gültig. „Die Administration modernisiert jeden Pfeiler unserer nuklearen Triade, aktualisiert unsere Kommando-, Kontroll- und Kommunikationssysteme und investiert in den Atomwaffenkomplex – um sicherzustellen, dass wir die nötigen Fähigkeiten und Dispositive aufrechthalten und bei Bedarf ausbauen können.“ (6)

Kamala Harris versicherte auf dem Nominierungsparteitag ihrer (potentiellen) Wählerschaft das, was auch auf ihrer Website steht: „Als Oberkommandierende wird sie sicherstellen, dass das US-Militär die stärkste, tödlichste Streitkraft der Welt bleibt […]“. (7)

Im März 2024 segnete Präsident Biden mit der „Nuclear Employment Guidance“ ein Dokument ab, dass dem Militär auferlegt, gleichzeitig gegen die nuklear bewaffneten Gegner China, Russland und Nordkorea Krieg führen zu können. Widerspruch von Kamala Harris wurde nicht bekannt. Es ist also davon auszugehen, dass sie im Falle ihres Wahlsieges die Biden’sche Aufrüstungspolitik einfach fortsetzen wird und Rüstungskontrolle weltpolitisch ein vernachlässigtes Stiefkind bleibt.

Sicherheit durch nukleare Aufrüstung?
Der gesunde Menschenverstand sagt und die Erfahrung zeigt, dass Sicherheit nicht mit immer mehr Waffen, also mit Aufrüstung, erlangt werden kann. Die Weltuntergangsuhr stand vor 50 Jahren auf 12 Minuten vor 12, weil die USA und die Sowjetunion die ersten Verträge über strategische Abrüstung (SALT I und ABM-Vertrag) unterzeichneten. Im Februar 2026 läuft das letzte verbliebene Rüstungskontrollabkommen – der New-START-Vertrag – aus, und die Weltuntergangsuhr steht auf 90 Sekunden vor 12.

Den Autor des Heritage-NPR ficht das nicht an. „Die Bedingungen für Abschreckungen durch Modernisierung und Aufwuchs des amerikanischen Atomwaffenarsenals zu schaffen, ist Voraussetzung, bevor die Vereinigten Staaten Rüstungskontrollvereinbarungen eingehen können, da die Vereinigten Staaten zuerst ein Arsenal stationieren müssen, das die Gegner an den Verhandlungstisch bringen kann.“

Die USA verfügen aktuell über etwa 5.000 Atomwaffen, vermutlich 1.770 davon sind jederzeit einsatzbereit. Schon diese Kapazität reicht aus, um große Teile der Erde zu zerstören, Millionen Menschen zu töten oder schwerst zu verletzen sowie einen Klimaschock einzuleiten, der Milliarden von Menschen den Hungertod bringen würde. Leider ist nicht abzusehen, dass sich daran nach dem Wahltag in den USA etwas ändern wird.

Anmerkungen
1 Jackie Cabasso: Nuclear Weapons and the Presidential Elections. 29.9.2024, beyondnuclearinternational.org.
2 rncplatform.donaldjtrump.com.
3 Zum Project 2025 siehe z. B. Jon D. Michaels, Trumps tiefer Staat – Wie das „Project 2025“ den autoritären Umbau plant. Blätter für deutsche und internationale Politik, August 2024; blaetter.de/ausgabe/2024/august/trumps-tiefer-staat.
4 s3.documentcloud.org/documents/24088042/project-2025s-mandate-for-leadership-the-conservative-promise.pdf.
5 heritage.org/sites/default/files/2024-07/SR287.pdf.
6 democrats.org/where-we-stand/party-platform/
7 kamalaharris.com/issues/.

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Sprecherin der Kampagne "Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ und ehemals verantwortliche Redakteurin der Quartalszeitschrift "Wissenschaft & Frieden".