Eine Reise nach Wien

Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag

von Nadine-Isabelle Kas
Initiativen
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Wir sitzen in unserem Zug zurück aus Wien, und während unserer dreistündigen Verspätung kommen wir mit unserem Nachbartisch im Bordbistro der Deutschen Bahn ins Gespräch. Sie fragen uns, was uns nach Wien gebracht hat, und als wir ihnen vom ersten Treffen der Vertragsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrags (AVV) erzählen, sehen sie uns an und sagen: „Aber was nützt das Verbot von Atomwaffen, wenn nur Nicht-Atomwaffenstaaten den Vertrag unterzeichnen?"

Es geht darum, dass diejenigen, denen nicht zugehört wird, deren Stimmen normalerweise überhört werden, dass diese Menschen nun die Chance hatten, ihre Stimme zu erheben, ihre Erfahrungen und Visionen von einer sicheren, friedlichen und atomwaffenfreien Welt mitzuteilen und so laut zu sein, dass die Welt zuhören musste. Und es wurde zugehört - unter anderem auch von neun Friedensadvokat*innen der Friedenswerkstatt Mutlangen. Unser Ziel war es, zuzuhören, zu lernen und der Welt zu zeigen, dass die deutsche Zivilgesellschaft, vor allem die junge, den AVV unterstützt und eine Verantwortungsübernahme der deutschen Regierung verlangt. Wie haben wir versucht, dieses Ziel zu verwirklichen, und was konnten wir an Erfahrungswerten und Gelerntem mitnehmen?

18.-19.06.2022 ICAN Nuclear Ban Forum
Es ist ein bisschen zu warm und wunderbar euphorisch in Wien an diesem Wochenende. Aktivist*innen und Expert*innen aus der ganzen Welt mit verschiedensten akademischen und professionellen Hintergründen sind vor Ort. Während die einen auf Grund ihrer beruflichen Expertise im Bereich nukleare Abrüstung einen Platz auf der Bühne bekommen (beispielsweise Allison Pytlak, die das Abrüstungsprogramm der Women's International League for Peace and Freedom leitet), wird jungen Menschen (auch zwei Mitglieder unserer Jugenddelegation durften ein Statement abgeben), marginalisierten Personen und Betroffenen dieselbe Bühne geboten.

Darunter auch Hinamoeura Crosseine, polynesische Frau und Mutter, welche um Anerkennung kämpft und versucht, auf die Folgen der französischen Atomtests im Pazifik aufmerksam zu machen.  Zwischen 1966 und 1996 fanden 193 Atomtests in Französisch-Polynesien statt. Seit 1980 ist ihre Familie von Schilddrüsenkrebs betroffen, zuerst ihre Urgroßmutter, dann ihre Großmutter, und 1990 ihre Tante als auch ihre Mutter. Im Jahr 2000 erkrankte ihre andere Tante an Brustkrebs. 2013 war sie selbst an der Reihe: Leukämie.

Das zweitägige zivilgesellschaftliche Forum gab uns Einsicht, Hoffnung und Motivation immer weiter für eine atomwaffenfreie Welt zu kämpfen. Mit dieser Motivation starteten wir in die Wiener Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen.

20.06.2022 Vienna Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons
Das erste Mal in der UN. Viele von uns haben noch nie die Vereinten Nationen besucht, und die Aufregung ist groß. Zu Beginn des Tages wissen wir noch nicht, was uns erwarten wird. Die Konferenz sollte Staatsvertreter*innen, internationale Organisationen, Wissenschaftler*innen, Überlebende und Zivilgesellschaft zusammenbringen, um sich über die humanitären Folgen und Risiken von Atomwaffen auszutauschen und um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung weiter voranzutreiben. Die Konferenz sollte die schrecklichen menschlichen Kosten und die Auswirkungen von Atomwaffen auf Umwelt, Gesundheit, Entwicklung und sozioökonomische Entwicklung sichtbar machen, und das tat sie. Einerseits indem Spezialist*innen mit Nachdruck auf die Unabdingbarkeit nuklearer Abrüstung hinwiesen, andererseits indem Betroffenen die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Geschichten zu erzählen. Sueichi Kido, ein Hibakusha aus Nagasaki, wurde im Alter von fünf Jahren auf der Straße, zwei Kilometer vom Zentrum der Explosion entfernt, der Atombombe ausgesetzt. Als Überlebender berichtet er von den Menschen in seinem Umfeld, die mit dem Abwurf der Atombomben einem menschenunwürdigen Tod überlassen wurden: „Atomic bombs do neither allow to live nor to die as human beings”. Im Anschluss an diese Konferenz kommt unsere Delegation an der Donauinsel zusammen. Bei Pizza und Bier versuchen wir unsere Gefühle zu den vergangenen Tagen auszuformulieren. Dabei sind die Empfindungen bei vielen der jungen Menschen ähnlich: Erschöpfung, Dankbarkeit und voller Tatendrang.

21.-23.06.2022 Die erste Vertragsstaatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV)
Die Aufregung, die am Vortag empfunden wurde, ist umso größer, als es nun zur Vertragsstaatenkonferenz geht. Teil dieses Momentums sein zu dürfen, ist nicht selbstverständlich, und die starke Repräsentation von junger Zivilgesellschaft beeindruckt uns. Die Konferenz beginnt mit der Ansprache des designierten Präsidenten des Treffens, Alexander Kmentt, in welcher er uns erinnert, dass das düstere und gefährliche Spektrum nuklearer Waffen den AVV so wichtig und wertvoll macht. Im Anschluss bestärkt uns UN-Generalsekretär Antonio Guterrés mit den Worten: „Let’s eliminate the weapons before they eliminate us”.

Der Beginn der Konferenz ist davon geprägt, dass die treibenden Kräfte ihre Standpunkte deutlich machen dürfen. Darunter die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), Überlebende von Nukleartests und Personen aus von Kolonisation und Unterdrückung geprägten Staaten. Beispielsweise nutzt die Vertretung der Republik Fidschi ihr Statement, um auf die Geschichte der Inselbewohnenden, die von nuklearer Gewalt und ihren Folgen geprägt ist, aufmerksam zu machen: Der politische Rahmen muss zur Bewältigung der Klimakrise und die Vertreibung von Gemeinschaften gesetzt werden, um die Wunden eines dunklen nuklearen Erbes zu heilen und endlich einen Weg einzuschlagen, der Leben bewahrt und nicht bedroht.

In den folgenden Tagen reihen sich AVV-befürwortende Statements. Darunter auch das Jugend-Statement, welches die Anerkennung junger Menschen in der ganzen Welt als integrale Mitglieder der internationalen Gemeinschaft und die Beteiligung der Jugend an den Konsultations- und Umsetzungsprozessen einfordert. Ganz am Ende der Sprecher*innenliste stehen Beobachterstaaten. Darunter auch Deutschland. Die Stimmung ist gespalten – während die einen gespannt auf die Positionierung der deutschen Vertretung warten, kritisieren die anderen, dass wieder einmal die Statements der „mächtigeren“ Staaten besonders großes Interesse erregen. Die deutschen Vertreter*innen sagen stolz, dass sie das Ziel, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen, vollkommen teilen und die Beweggründe und das Engagement der AVV-Vertragsstaaten in dieser Hinsicht anerkennen, wobei sie insbesondere die vorgetragene humanitäre Perspektive schätzen. In unserem Gespräch mit den beiden Vertreter*innen machen diese allerdings nochmal besonders deutlich, dass Deutschland keinerlei Absicht hat, den Vertrag zu unterzeichnen und die Anwesenheit als Beobachtende rein im Interesse darin liegt, die Kompatibilität des AVV mit dem Atomwaffensperrvertrag sicherzustellen. Aussagen wie diese drücken unsere Stimmung zum Ende der Nuclear Ban Week. Aber mit der Verabschiedung des Schlussdokuments und des Aktionsplans, welcher die wirksame und rechtzeitige Umsetzung des AVV und seiner Ziele mit konkreten Schritten und Maßnahmen befestigt, wird geklatscht und gejubelt.
We did it.
Und mit diesem Gefühl und dem Wissen, was möglich ist, reist die Friedenswerkstatt Mutlangen mit einer Jugenddelegation Anfang August nach New York, um bei der Revisionskonferenz des Atomwaffensperrvertrags unseren Standpunkt wieder klarzumachen.

Hinweis der Redaktion:
Ein weiterer Bericht zur AVV-Staatenkonferenz findet sich bei "Ohne Rüstung leben", der auch die Links zur politischen Abschlusserklärung der Konferenz, zum beschlossenen Aktionsplan und zum Statement des deutschen Vertreters enthält: https://www.ohne-ruestung-leben.de/nachrichten/article/erste-staatenkonf...

Nadine-Isabelle Kas ist Internationale Projektkoordinatorin der Friedenswerkstatt Mutlangen und Politikwissenschaftsstudentin. Außerdem ist sie Advokatin für Gender, Frieden und Umweltgerechtigkeit.

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Nadine-Isabelle Kas ist Internationale Projektkoordinatorin der Friedenswerkstatt Mutlangen und Politikwissenschaftsstudentin. Außerdem ist sie Advokatin für Gender, Frieden und Umweltgerechtigkeit.