Statt uniformiert gehorsam zivil ungehorsam

von Gregor Witt

Gleich brigadeweise bleiben junge Männer heutzutage der Bundeswehr fern. Es wird erwartet, daß in diesem Jahr über 70.000 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt werden. Friedliche Aussichten also!

Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer steigt seit Jahren stetig an, in diesem Jahr sogar sprunghaft: im ersten Halbjahr dieses Jahres auf fast 38.000 (etwa 16 % mehr als im Vergleichszeitraum 1987), drei Monate später waren es schon 47.000, das sind 18,2 % mehr als in den ersten neun Monaten des Jahres 1987.

Die Abschreckungspolitik der Bundesregierung hat nicht gegriffen. Sie glaubte, durch eine unvertretbar schwere Belastungen im Zivildienst die Zahlen herabdrücken zu können. Die Gewissensentscheidungen der Jugendlieben hat sie damit nicht nachhaltig beeinflussen können.

Im Gegenteil: Die Kriegsdienstverweigerer sind in ihren Begründungen grundsätzlicher und politischer geworden. Während sich die Bundesregierung über die Motive der Verweigerer vor einem Rätsel gestellt sieht, analysiert die "Frankfurter Allgemeine" zutreffend, daß die "positive soziale Funktion" des Zivildienstes zunehmend höher bewertet werde als der Wehrdienst. Hinzu kommt der allgemeine Meinungstrend (nach einer Allensbach-Umfrage ist die Hälfte der Befragten für- einseitige Abrüstungsschritte) und die gerade in der Jugend veränderte Meinung zur Abschreckung bzw. den Abrüstungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten. Besonders wichtig ist jedoch die wachsende Zahl jener Jugendlichen, die die Welt vielfältig bedroht sehen, Atomwaffen und Militär überhaupt abgeschafft haben wollen und eine friedliche, solidarische und lebenswürdige Zukunft erstreben. Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Wehrpflichtigen zeichnet sich ansatzweise schon bei den Reservisten ab. Wie sollten auch in einer Zeit nachlassender Bedrohungsängste vor dem Osten, dem Druck sozialer, Umweltund "3. Welt"-Aufgaben und gleichzeitigem Autoritätsverlust staatlicher Institutionen kostspielige Kriegsübungen einsichtig zu machen sein? Wer will sich schon aus Beruf und Familie reissen · Jassen, zum willenlosen Hampelmann gemacht werden und jenen Krieg .üben müssen, den es mit allen Mitteln zu. verhindern gilt?

Längst schon ist die Personalplanung der Bundeswehr politisch, personell und finanziell absurd geworden. Dennoch will die Bundesregierung in den90'er Jahren 495.000 Soldaten präsent haben. Wenn sie dabei bleibt, droht in den nächsten Jahren die Realisierung solcher Schubladenpläne wie die Rekrutierung von Frauen und Ausländern, administratives Herunterdrücken der KDV-Zahlen, soziales Jahr ...

Die Friedensbewegung hat zwar allen Grund, die KDV-Entwicklung mit Freude aufzunehmen. Denn es macht Mut, daß immer mehr Jugendliche erkennen, wie sehr die Armee Störfaktor auf dem Weg in eine friedliche Zukunft ist. Es ist ein hoffnungsvoller Schritt, wenn sie trotz seiner Mängel und Belastungen den Zivildienst dem Kriegsdienst vorziehen. Sich freuen allein genügt aber nicht. übet die traditionellen KD V -Organisationen hinausgehend sollten alle Friedensgruppen zu solchem, sprichwörtlich zivilen Ungehorsam ermutigen. Nicht nur bei Wehrpflichtigen, sondern auch bei Reservisten, die jederzeit ebenfalls ihren Bruch mit dem Militärischen vollziehen können.
 

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