Ein Zustandsbericht aus dem Kosovo

Stell Dir vor, es ist bald Krieg - und alle schauen weg

von Christine Schweitzer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Der Kosovo ist eine von ungefähr zwei Millionen Menschen bewohnte Region im Süden Serbiens. Im sozialistischen Jugoslawien genoss es von 1974 bis 1989 den Status einer autonomen Provinz und war den sechs Republiken faktisch gleichgestellt. Zum Konfliktherd wurde der Kosovo, weil er trotz seiner heutigen albanischen Bevölkerungsmehr­heit von ca fünfundachtzig Prozent historisches Siedlungsgebiet der Serben ist, ja als die Wiege der serbischen Zivilisation gilt. Daher haben serbische Nationalisten in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder versucht, die albanische Bevölkerung zu vertreiben oder zumindest un­ter politischer Kontrolle zu halten. Der folgende Bericht entstand nach einem Besuch der Autorin in Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo.

1989 wurde im Zuge der von Milosevic gesteuerten nationalen Erneuerungsbe­wegung der Autonomiestatus des Ko­sovo (wie der Vojvodina) beseitigt und der Kosovo in den Zustand einer serbi­schen Quasi-Kolonie versetzt, in der politische und soziale Rechte alleine der serbischen Bevölkerungsminderheit zu­gestanden werden.

Viele AlbanerInnen sprechen von einer "stillschweigenden ethnischen Säube­rung": der Zuzug von Familien aus Ser­bien und Montenegro wird stark geför­dert und Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien angesiedelt, während den Al­banerInnen das Leben so schwer wie möglich gemacht wird, wobei auch nicht davor zurückgeschreckt wird, Fa­milien wie in Kroatien, Serbien und Bosnien einfach aus ihren Wohnungen zu vertreiben.

Es ist nicht übertrieben, von einem Apartheitssystem zu sprechen. In den Hauptschulen werden serbische und al­banische Kinder getrennt unterrichtet; Arbeit ist de facto der serbischen Min­derheit vorbehalten; das gleiche gilt für das Gesundheitssystem, die Medien (es gibt nur noch eine unregelmäßig er­scheinende albanische Zeitung) und po­litische Rechte.

Die albanische Bevölkerung hat ange­sichts der massiven Repression durch die serbische Polizei und das Militär einen gut funktionierenden gewaltlosen Widerstand entwickelt. Sein Schwerge­wicht liegt auf dem Aufbau paralleler Institutionen - vom Schulsystem über die Wohlfahrt bis zu einem 1992 ge­heim gewählten Untergrundparlament. Die Führer des Widerstandes berufen sich auf das Vorbild von Gandhi, auch wenn im Unterschied zu Gandhi die "friedliche Strategie" der Kosovo-Alba­nerInnen eher pragmatisch motiviert ist: Sie entstand aus der Einsicht, daß ein bewaffneter Widerstand vielleicht chan­cenlos sein würde, aber auf jeden Fall zu viele Opfer kosten würde.

Ziel aller Parteien und tatsächlich wohl fast aller Kosovo-AlbanerInnen ist die nationale Selbstbestimmung in Form ei­nes selbständigen Kosova. (Kosovo ist der serbokratische und internationale Name, Kosova der albanische; in Rest-Jugoslawien heißt der Kosovo heute of­fiziell "Kosmet".) Dies wird gleichzeitig als Kompromissformel gegenüber Ser­bien betrachtet, da die Selbständigkeit Kosovas gleichzeitig den Verzicht auf eine einheitliche albanische Nation, also den Zusammenschluss mit Albanien, be­deutet. "Wir verlangen von den Serben nur, was diese in BiH und Kroatien für sich selbst fordern", ist eine oft gehörte Meinung.

Der Status Quo

Die allgemeine Situation hat sich in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Ursachen sind zum einen die Wirt­schaftssanktionen gegen Ser­bien/Montenegro, die zu den Maßnah­men hinzukommen, die Serbien gegen den Kosovo verhängt hat, zum anderen eine verstärkte Repression durch die Polizei nach den jugoslawischen Wah­len im Dezember 92 (die von den Ko­sovo-AlbanerInnen boykottiert wurden).

Seit Aufhebung der Autonomie wurden fast alle AlbanerInnen unter Vorwänden oder wegen Benutzens der albanischen Sprache von ihrer Arbeit entlassen, 100.000 alleine 1992. Die Menschen überleben bis heute dank der Solidarität, die in den albanischen Großfamilien herrscht. Geld, das von Emigranten aus Westeuropa oder der Türkei geschickt wird, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Nahrungsmittel sind knapp, weil aufgrund der Inflationsrate unbezahlbar, aber es scheint keine drastische Unter­ernährung zu geben. Einige ausländi­sche Hilfsorganisationen schicken Mehl und andere Grundnahrungsmittel, die von albanischen Stellen an Bedürftige verteilt werden.

Das Schulsystem sieht für albanisch sprechende Kinder nur noch ein Recht auf Grundschulbildung (primary school) vor, wobei die albanischen LehrerInnen ohne Gehalt arbeiten. Alle weiterbilden­den Schulen und Universitäten wurden geschlossen oder allein in serbischer Sprache fortgeführt. Der albanische Wi­derstand reagierte auf die Schließung mit der Organisation von Unterricht in Privathäusern. 450.000 SchülerInnen werden in diesen "Schattenschulen" von 22.000 LehrerInnen unterrichtet. Der Unterricht führt bis zum Abitur; auch in vielen Universitätsfächern wird ein Stu­dium in Privatwohnungen durchgeführt, sofern der Mangel an technischem Gerät dies zulässt. Die LehrerInnen erhalten einen Monatslohn von DM 30,-, der aus Schulgeld finanziert wird, das die Eltern bezahlen. Diese Form von Privatunter­richt ist illegal, wenngleich i.d.R. von der Polizei geduldet. Trotzdem wurden 1991 und 1992 jeweils über dreihundert LehrerInnen festgenommen und misshandelt, 6 getötet.

Den Privatschulen mangelt es natürlich an allem, von Geld über Lehrmaterial bis zu Bleistiften und Papier. Die Lehrergewerkschaft bemüht sich darum, eine Unterstützung zu organisieren , und ist auch Ansprechpartnerin für ausländi­sche Hilfsangebote. Eine Möglichkeit der Unterstützung wäre z.B., eine Part­nerschaft zu einer bestimmten "Schattenschule" aufzubauen.

Von den Entlassungen waren auch fast alle albanischen ÄrztInnen betroffen; nur in der Klinik in Dakovica arbeiten noch einige wenige. AlbanerInnen wa­gen i.d.R. nicht, die serbischen Kran­kenhäuser aufzusuchen. Es wird be­richtet, daß an den Wänden Bilder von Arkan u.ä. hängen und die Ärzte be­waffnet herumlaufen. Die rätselhafte Vergiftungswelle, während der 1990 dreitausend SchülerInnen schwer er­krankten und die von allen AlbanerIn­nen einem gezielten Anschlag serbi­scher Behörden zugeschrieben wird, stärkt nicht gerade das Vertrauen in das serbische Gesundheitssystem. Albani­sche Ärzte dürfen privat "praktizieren", bekommen aber natürlich kein Geld. Die PatientInnen müssen die Medika­mente, Verbandsmaterial bis zum letz­ten Heftpflaster selbst bezahlen bzw. mitbringen, wenn sie Krankenhäuser aufsuchen. Besonders betroffen von die­ser Situation sind Schwangere, die ent­weder nach Dakovica gehen oder zu Hause entbinden müssen. Weder gibt es schmerzstillende Mittel noch eine ad­äquate Versorgung bei Komplikationen; die Babysterblichkeit ist daher mehrfach höher als in vergleichbaren Ländern.

In Pristhina gibt es eine katholisch-alba­nische Hilfsorganisation namens "Mutter Theresa", die in Prishtina zwei Tageskliniken unterhält. Dort werden auch Medikamente, die vor allem von Caritas geliefert werden, umsonst ver­teilt. Auch diese Organisation ist an ausländischer Unterstützung interessiert.

Die stark präsente Polizei führt ständig Straßenkontrollen durch. Außerhalb Prishtinas finden verstärkt die berüch­tigten "Waffensammlungen" durch die Polizei statt (allein in den letzten Mo­naten sind 130 Fälle bekannt), bei denen Polizisten in ein Dorf gehen und von einzelnen Haushalten ein Gewehr oder eine andere Waffe fordern. Wer nichts abgeben kann, wird i.d.R. festgenom­men und/oder misshandelt, so daß viele Menschen sich Gewehre nur zu dem Zweck kaufen, sie der Polizei geben zu können. Manchmal legen ganze Dörfer Geld zusammen, um ein einzelnen Ge­wehr zu erwerben, das dann, wenn die Polizei kommt, einer Familie zur Verfü­gung gestellt wird.

Jeder zweite Albaner wurde schon ein­mal von der Polizei festgenommen und zusammengeschlagen. Etliche sind in Folge der Misshandlungen gestorben. Auch auf der Straße sind schon mehr­fach Menschen erschossen worden. In Peja (Pec) wurde nach einer Demon­stration einer jungen Schülerin von Po­lizisten ein Ohr abgeschnitten, bei Klina wurde durch herumirrende Kugeln eine junge Frau mit ihrem Baby im eigenen Garten erschossen. Nur ein schwacher Trost ist demgegenüber, daß von Ver­gewaltigungen in Gefängnissen nichts zu hören ist; Frauen, die schon einmal festgenommen wurden, berichten, daß sie i.d.R. besser als Männer behandelt werden. (Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, daß Frauen nicht darüber reden würden, wenn sie vergewaltigt worden wären.)

Mit den Menschenrechtsverletzungen befasst sich der Human Rights Council und Kosovo Watch, ein Zweig von Hel­sinki Watch. Beide sammeln und publi­zieren die Fälle von Polizeiübergriffen und anderen Verletzungen der Men­schenrechte, die ihnen zur Kenntnis ge­langen.

Gelegentlich kommt es zu organisiertem Widerstand gegen die Polizeiübergriffe. So wurde im Januar 93 in zwei Dörfern bei Dakovica und Jablanica Polizeiwa­gen blockiert, die Festgenommene weg­fahren wollten. Am nächsten Tag kam die Polizei allerdings wieder, umstellte die genannten Orte und durchsuchte alle Häuser.

Angesichts der massiven Repression von außen treten in der Arbeit der Men­schenrechtsgruppen und anderer Orga­nisationen Probleme in der eigenen al­banischen Gesellschaft zwangsläufig zu­rück. So wird anscheinend z.B. hinge­nommen, daß nach den Parlaments­wahlen der AlbanerInnen ein Rat aller Parteien, in dem sich über die Wider­standspolitik abgestimmt wurde, zugun­sten einer Alleinherrschaft der größten Partei, der LDK, praktisch bedeutungs­los geworden ist. Eine Ausnahme macht die Liga der albanischen Frauen, die größte parteiunabhängige Frauenorgani­sation. Sie tritt für eine größere Rolle von Frauen in der Politik ein und plant die Einrichtung eines SOS-Notruftele­fons für misshandelte Frauen. "Wir müs­sen die Männer emanzipieren", äußerte die Vorsitzende der Liga uns gegenüber. Daneben kümmert sich die Liga auch noch um Vorsorgeuntersuchungen ge­gen Brustkrebs, läßt Kinderkrankheiten in Grundschulen untersuchen und wan­dert mit Kulturdarbietungen von Schule zu Schule. Die Gruppe ist sehr an Kon­takten zu Frauenorganisationen in ande­ren Ländern interessiert.

Eine weitere Form der Repression ist, junge Albaner zum Militärdienst in die Jugoslawische Volksarmee einzuziehen und in den Krieg nach Bosnien zu schicken. Immer wieder kommt es vor, daß die Polizei an öffentlichen Stellen, z.B. dem Busbahnhof von Prishtina, auftaucht und alle jungen Männer mit­nimmt, die sich dort aufhalten. 53 Alba­ner wurden bislang in Bosnien getötet. Einige sind nach ihrer Dienstzeit inzwi­schen wieder entlassen, leiden aber nach Auskunft von Menschenrechtsorganisa­tionen unter einem schweren Trauma und sprechen kaum über ihre Militär­zeit. Einer berichtete, daß er gezwungen wurde, bei der Tötung eines Kroaten zuzusehen sowie dabei, wie dem Toten anschließend mit einem Messer Augen und ein Goldzahl ausgestochen wurden. Der Kommentar des serbischen Solda­ten dazu: "Das machen wir demnächst auch mit Euch Albanern".

Kriegsgefahr im Kosovo

Derzeit bemühen sich die Organisatoren des Widerstandes, eine Provokation der serbischen Staatsgewalt zu vermei­den. Die letzten Demonstrationen haben im Oktober 1992 gegen die Schließung der Schulen stattgefunden. Das Parla­ment wurde auch noch nicht zu seiner konstituierenden Sitzung einberufen. Als Begründung für die Zurückhaltung wurde angegeben, daß man aufgrund der gespannten Lage mit sehr gewalttätigen Reaktionen rechnen müsse und daß Pro­vokationen nur dann Sinn machten, wenn man international Aufmerksam­keit erzielen kann. Derzeit konzentriere sich letztere aber allein auf den Krieg in Bosnien.

Anfänglich hatten alle Menschen ge­hofft, daß der Ausnahmezustand im Ko­sovo nur kurze Zeit andauern würde. Allmählich scheinen viele die Hoffnung zu verlieren. Niemand glaubt, daß es so wie es jetzt ist noch lange weitergehen kann. Aber derzeit, so wird immer wie­der betont, setzt man weiter auf den ge­waltfreien Widerstand. Eine Lösung des Konfliktes glaubt man allerdings nicht mehr aus eigener Kraft erreichen zu können. Nur die Stationierung von UN-Truppen im Kosovo könne einen Krieg verhindern und Serbien zum Einlenken zwingen, so ist die Überzeugung nicht nur der albanischen Führung.

Daß der Ausnahmezustand nach dem nach dem Vorbild Palästinas auf Dauer aufrecht erhalten werden kann, ist kaum denkbar. Sollte die internationale Ge­meinschaft bereit sein, ihn zum Beispiel als Preis für einen teilweisen Rückzug aus Bosnien und Kroatien in Kauf zu nehmen, würde der gewaltfreie Wider­stand, so wird auch von albanischer Seite immer wieder gewarnt, voraus­sichtlich bald in einen Bürgerkrieg übergehen. Von Seiten der albanischen PolitikerInnen steht hinter solchen War­nungen gewiss auch taktisches Kalkül, um ein Eingreifen des Westens zu er­zwingen, sie scheinen aber andererseits aber eine weitverbreitete Stimmung in der Bevölkerung widerzuspiegeln. An­gesichts der katastrophalen wirtschaftli­chen Lage und der immer massiver werdenden Repression hat sich mir als Beobachterin die Frage gestellt, wann der Punkt erreicht ist, wo die Menschen das Gefühl bekommen, nichts mehr zu verlieren zu haben.

Die "Sicherheits"garantien, die NATO und USA für den Kosovo abgeben ha­ben - das Versprechen, einzugreifen, falls Serbien den Krieg auf den Kosovo ausweitet, könnten dabei zumindest in der Theorie die Entscheidung, zum be­waffneten Kampf überzugehen, er­leichtern. ("Freiheit durch Krieg" war schon ein Konzept der kroatischen Füh­rung, die die Eskalation des Krieges im Herbst 91 mehrfach bewusst in Kauf nahm, um endlich die politische Aner­kennung Kroatiens zu erzielen.) Ein Journalist von Vreme und Radio B 92 aus Belgrad schrieb daher auch schon der Führung der Kosovo-Albaner militä­rische Pläne zu, in denen die Kontrolle des Luftraums durch westliche Alliierte eine wichtige Rolle spielten. Dieser und andere Berichte über eine geheime Be­waffnung der Kosovo-AlbanerInnen werden teilweise geleugnet, teilweise mit einem Schulterzucken abgetan. Deutlich ist, daß die Beschaffung von Waffen nicht die entscheidende Frage ist. Waffen können über Albanien jeder­zeit gekauft werden; auch die finanziel­len Mittel würden sich vermutlich fin­den.

Wenn vom Kosovo als kommenden Kriegsschauplatz die Rede ist, dann wird allerdings in der Regel und be­gründeterweise an ein geplantes Ein­greifen durch Serbien/Jugoslawien ge­dacht. Ziel einer solchen militärischen Aktion wäre vermutlich, die alleinige Kontrolle des nördlichen Teils des Ko­sovos mit dem Amselfeld zu erreichen, indem die albanische Bevölkerung von dort vertrieben wird. Der südliche Teil des Kosovo würde dann sich selbst überlassen. Entsprechende Vorschläge tauchen immer wieder in der serbischen Presse auf; (Befürworter einer Teilung ist u.a. Staatspräsident Cosic. Über die Möglichkeiten Serbiens, einen Krieg in Kosovo anzuzetteln, sollten keinerlei Illusionen bestehen. Die serbischen Po­litiker und Militärs haben bereits in Kroatien und BiH Erfahrung mit der Organisierung von Provokationen ge­sammelt, die dann als Vorwand für ein militärisches Eingreifen herhalten konnten. Bereits jetzt sind Truppen im Kosovo konzentriert, die jederzeit aus Serbien verstärkt werden könnten. Der gefährlichste Moment wird dann er­reicht sein, wenn der Krieg beendet wird. Das Regime von Milosevic und Seselj kann nur durch Krieg bestehen bleiben - in Friedenszeiten würde es sehr schnell an seinen inneren Wider­sprüchen und aus Mangel an politischen Konzepten zusammenbrechen. Deshalb atmeten viele Kosovo-AlbanerInnen auf, als die Kämpfe in Kroatien wieder begannen - es schien eine weitere Gna­denfrist für den Kosovo zu bedeuten.

Ein Krieg im Kosovo würde sich aller Voraussicht nach nicht mehr auf die Grenzen Ex-Jugoslawiens begrenzen lassen. Albanien hat immer wieder klar gesagt, daß es den AlbanerInnen im Ko­sovo zu Hilfe kommen würde; daß die­ses Versprechen eingehalten wird, daran zweifelt man weder in Albanien noch im Kosovo. Makedonien könnte auf­grund seiner albanischen Minderheit mit reingezogen werden; dies könnte wie­derum ein Eingreifen Griechenlands, des Erzfeindes Makedoniens, zur Folge haben. Die Türkei, die anstrebt, eine re­gionale Großmacht zu werden und daher tendenziell allen moslemischen Nach­barvölkern beisteht, ist ein weiterer möglicher Bündnispartner der Albane­rInnen. Und dazu kommen natürlich die erwähnten westlichen Garantien.

Schritte zu einer gewaltlosen Kon­fliktlösung

Das Problem jeder Konfliktlösung im Kosovo ist, daß die Positionen der Al­banerInnen und SerbInnen einander un­versöhnlich gegenüberstehen und sich gegenseitig auszuschließen scheinen. Der Nord-Kosovo ist das historische Kernland Serbiens und damit nach dem Empfinden fast aller Menschen dieser Nation unverzichtbar. Die AlbanerIn­nen, die die überwiegende Mehrheit der derzeitigen Bevölkerung des Kosovo stellen, beharren nach der Unterdrüc­kung besonders der letzten Jahre darauf, niemals wieder ein Teil Serbiens werden zu wollen. Alle scheinbar "einfachen" Lösungen wie der Vorschlag, die Auto­nomie von '74 wieder herzustellen - der auch das weitestgehende ist, was sich Teile der serbischen Opposition vor­stellen können - dürften an diesen Posi­tionen scheitern.

Die regierende Partei der Kosovo-Alba­ner, die Demokratische Liga, hat vorge­schlagen, den Kosovo als eine Art "Staat", aber mit offenen Grenzen zu Serbien wie zu Albanien zu konstituie­ren. Serben im Kosovo wären in ihm gleichberechtigte Nation, keine Minder­heit. Die Kosovo-Albaner würden sich verpflichten, keinen Zusammenschluss mit Albanien oder den Albanern in Ma­kedonien zu suchen.

Die andere Möglichkeit wäre die Aner­kennung des Kosovo als eigenen Staat durch die internationale Gemeinschaft, einhergehend mit militärischen Garan­tien oder Stationierung von Truppen, um eine serbische Intervention zu ver­hindern. In dem Maße, wie Verhandlun­gen mit Serbien/Jugoslawien immer unwahrscheinlicher werden, setzen al­banische PolitikerInnen zunehmend auf diese zweite Alternative.

Es wurde bereits oben erwähnt, daß der Verzicht darauf, den Kosovo an Alba­nien anzuschließen - die AlbanerInnen verstehen sich als eine Nation, unab­hängig davon, wo sie leben - als Kom­promissformel gegenüber Serbien ange­sehen wird. Sollte es zu einem Krieg kommen, würde aber vermutlich dieser Anschluss an seinem Ende stehen. In solch einem Fall wäre wahrscheinlich, daß auch die 30 % Albaner in Makedo­nien den Anschluss an "Groß-Albanien" anstreben würden.

Möglichkeiten internationaler Inter­vention

Welche Möglichkeiten gibt es nun für die die internationale Gemeinschaft wie für Organisationen der sozialen Bewe­gungen? Grundsätzlich scheint es zwei idealtypische Positionen zu geben, die beide auch z.B. in der deutschen Frie­densbewegung zu finden sind: 1. sich als "neutral" zu erklären und zwischen beiden Seiten zu vermitteln und 2. Posi­tion zugunsten der Kosovo-AlbanerIn­nen zu beziehen und sich auf ihrer Seite in den Konflikt einzumischen.

Die westlichen Staaten und ihre Bünd­nisse halten sich ebenso wie die UNO in Bezug auf den Kosovo derzeit sehr zu­rück. Die KSZE entsendete bislang ganze neun (!) Beobachter. Es gab die erwähnten Ankündigungen, im Falle ei­nes Krieges militärisch zu intervenieren, und es gab einige Gespräche und Ver­mittlungsversuche in der KSZE sowie am Rande der Jugoslawien-Verhandlun­gen in London und Genf. Die Forderun­gen der westlichen Vermittler gingen dabei zumeist in Richtung auf die Wie­derherstellung eines gesellschaftlichen Normalzustandes, d.h. Wiedereröffnung der Schulen und Universitäten, Einhal­tung der individuellen Menschenrechte etc. Eine Bereitschaft, die Unabhängig­werdung Kosovas zu unterstützen, ist nicht auszumachen.

Die Situation im Kosovo ist äußert gespannt. Wie oben dargestellt, rechnen viele Kosovo-AlbanerInnen und viele BeobachterInnen damit, daß es noch in diesem Jahr zum Krieg kommt, wenn keine entscheidende Änderung der Ver­hältnisse eintritt. Für die politische Füh­rung des Kosovo kann eine solche Än­derung nur die Entsendung von Truppen in den Kosovo bedeuten. Aber abgese­hen davon, daß die Bereitschaft der UNO, dies zu tun, nicht groß zu sein scheint, müssen wir als PazifistInnen uns fragen, ob und wenn ja, welche Möglichkeiten wir haben, in den Kon­flikt einzugreifen. Ich sehe hier in erster Linie vier Möglichkeiten:

1. Den Aufbau einer internationalen Präsenz im Kosovo.

Schon des längeren wurde die Idee diskutiert, ein Team von internatio­nalen Freiwilligen im Kosovo zu sta­tionieren, sofern von Seiten der offi­ziellen Politik nichts unternommen wird, um die massiven Menschen­rechtsverletzungen im Kosovo zu beenden und der Gefahr eines Krieges entgegenzutreten. Die vor­rangige Aufgabe des Teams wäre, durch ihre Anwesenheit in bedrohten Dörfern, bei Veranstaltungen oder auch in Büros bestimmter albanischer Organisationen einen gewissen Schutz vor Polizeiübergriffen zu ge­ben, weil Polizei und Militär i.d.R. bemüht sind, Öffentlichkeit zu ver­meiden. Weitere Aufgaben eines in­ternationalen Teams wären - in Zu­sammenarbeit mit anderen einheimischen wie internationalen Organisa­tionen - Menschenrechtsverletzungen zu beobachten und bekanntzumachen sowie ggf. bei Konflikten zu vermit­teln. Geprüft werden müsste, ob und zu welchem Umfang die Freiwilligen praktische Arbeit (z.B. als Fremd­sprachenlektorInnen, Ärzte, Hebam­men etc.) leisten sollten, wie es von albanischer Seite angeregt wurde. Auch das gezielte Eskortieren ge­fährdeter Personen (nach Vorbild von PBI) wäre evtl. denkbar. Ein solches Projekt wird derzeit von den War Re­sisters' International und dem Bund für Soziale Verteidigung vorange­trieben. Einige andere Organisationen erwägen die Entsendung von Beob­achterInnen jeweils für einen be­stimmten Zweck, z.B. für die medizi­nischen Versorgung oder die Verlet­zung von Menschenrechten.

2. Vermittlung

Von beiden Seiten respektierte, weil neutrale VermittlerInnen können ver­suchen, die Konfliktparteien ins Ge­spräch zu bringen. Ansätze dieser Art hat es schon verschiedentlich - aller­dings ohne überragende Erfolge -ge­geben.

3. Humanitäre Hilfe und Unterstützung der albanischen Organisationen und Einrichtungen, z.B. der Schulen, der Frauen-und Menschenrechtsorgani­sationen (s.oben).

4. Druck auf unsere Regierungen aus­üben, daß sie ihre Politik gegenüber Serbien ändern. Es müsste diskutiert werden, ob nicht die Gefahr für den Kosovo durch die Verschärfung der Sanktionen ohne daß parallel positive Angebote für den Fall gemacht wer­den, daß Serbien auf Krieg verzichtet (z.B. ein wirtschaftliches Hilfspro­gramm), gesteigert wird. Vielleicht kann man Serbien den Kosovo nicht "abkaufen", aber die Wiederherstel­lung einigermaßen normaler Verhält­nisse ließe sich vielleicht durch eine massive Förderung Serbiens erzielen.

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Krisen und Kriege
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.