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Ein Zustandsbericht aus dem Kosovo
Stell Dir vor, es ist bald Krieg - und alle schauen weg
vonDer Kosovo ist eine von ungefähr zwei Millionen Menschen bewohnte Region im Süden Serbiens. Im sozialistischen Jugoslawien genoss es von 1974 bis 1989 den Status einer autonomen Provinz und war den sechs Republiken faktisch gleichgestellt. Zum Konfliktherd wurde der Kosovo, weil er trotz seiner heutigen albanischen Bevölkerungsmehrheit von ca fünfundachtzig Prozent historisches Siedlungsgebiet der Serben ist, ja als die Wiege der serbischen Zivilisation gilt. Daher haben serbische Nationalisten in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder versucht, die albanische Bevölkerung zu vertreiben oder zumindest unter politischer Kontrolle zu halten. Der folgende Bericht entstand nach einem Besuch der Autorin in Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo.
1989 wurde im Zuge der von Milosevic gesteuerten nationalen Erneuerungsbewegung der Autonomiestatus des Kosovo (wie der Vojvodina) beseitigt und der Kosovo in den Zustand einer serbischen Quasi-Kolonie versetzt, in der politische und soziale Rechte alleine der serbischen Bevölkerungsminderheit zugestanden werden.
Viele AlbanerInnen sprechen von einer "stillschweigenden ethnischen Säuberung": der Zuzug von Familien aus Serbien und Montenegro wird stark gefördert und Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien angesiedelt, während den AlbanerInnen das Leben so schwer wie möglich gemacht wird, wobei auch nicht davor zurückgeschreckt wird, Familien wie in Kroatien, Serbien und Bosnien einfach aus ihren Wohnungen zu vertreiben.
Es ist nicht übertrieben, von einem Apartheitssystem zu sprechen. In den Hauptschulen werden serbische und albanische Kinder getrennt unterrichtet; Arbeit ist de facto der serbischen Minderheit vorbehalten; das gleiche gilt für das Gesundheitssystem, die Medien (es gibt nur noch eine unregelmäßig erscheinende albanische Zeitung) und politische Rechte.
Die albanische Bevölkerung hat angesichts der massiven Repression durch die serbische Polizei und das Militär einen gut funktionierenden gewaltlosen Widerstand entwickelt. Sein Schwergewicht liegt auf dem Aufbau paralleler Institutionen - vom Schulsystem über die Wohlfahrt bis zu einem 1992 geheim gewählten Untergrundparlament. Die Führer des Widerstandes berufen sich auf das Vorbild von Gandhi, auch wenn im Unterschied zu Gandhi die "friedliche Strategie" der Kosovo-AlbanerInnen eher pragmatisch motiviert ist: Sie entstand aus der Einsicht, daß ein bewaffneter Widerstand vielleicht chancenlos sein würde, aber auf jeden Fall zu viele Opfer kosten würde.
Ziel aller Parteien und tatsächlich wohl fast aller Kosovo-AlbanerInnen ist die nationale Selbstbestimmung in Form eines selbständigen Kosova. (Kosovo ist der serbokratische und internationale Name, Kosova der albanische; in Rest-Jugoslawien heißt der Kosovo heute offiziell "Kosmet".) Dies wird gleichzeitig als Kompromissformel gegenüber Serbien betrachtet, da die Selbständigkeit Kosovas gleichzeitig den Verzicht auf eine einheitliche albanische Nation, also den Zusammenschluss mit Albanien, bedeutet. "Wir verlangen von den Serben nur, was diese in BiH und Kroatien für sich selbst fordern", ist eine oft gehörte Meinung.
Der Status Quo
Die allgemeine Situation hat sich in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Ursachen sind zum einen die Wirtschaftssanktionen gegen Serbien/Montenegro, die zu den Maßnahmen hinzukommen, die Serbien gegen den Kosovo verhängt hat, zum anderen eine verstärkte Repression durch die Polizei nach den jugoslawischen Wahlen im Dezember 92 (die von den Kosovo-AlbanerInnen boykottiert wurden).
Seit Aufhebung der Autonomie wurden fast alle AlbanerInnen unter Vorwänden oder wegen Benutzens der albanischen Sprache von ihrer Arbeit entlassen, 100.000 alleine 1992. Die Menschen überleben bis heute dank der Solidarität, die in den albanischen Großfamilien herrscht. Geld, das von Emigranten aus Westeuropa oder der Türkei geschickt wird, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Nahrungsmittel sind knapp, weil aufgrund der Inflationsrate unbezahlbar, aber es scheint keine drastische Unterernährung zu geben. Einige ausländische Hilfsorganisationen schicken Mehl und andere Grundnahrungsmittel, die von albanischen Stellen an Bedürftige verteilt werden.
Das Schulsystem sieht für albanisch sprechende Kinder nur noch ein Recht auf Grundschulbildung (primary school) vor, wobei die albanischen LehrerInnen ohne Gehalt arbeiten. Alle weiterbildenden Schulen und Universitäten wurden geschlossen oder allein in serbischer Sprache fortgeführt. Der albanische Widerstand reagierte auf die Schließung mit der Organisation von Unterricht in Privathäusern. 450.000 SchülerInnen werden in diesen "Schattenschulen" von 22.000 LehrerInnen unterrichtet. Der Unterricht führt bis zum Abitur; auch in vielen Universitätsfächern wird ein Studium in Privatwohnungen durchgeführt, sofern der Mangel an technischem Gerät dies zulässt. Die LehrerInnen erhalten einen Monatslohn von DM 30,-, der aus Schulgeld finanziert wird, das die Eltern bezahlen. Diese Form von Privatunterricht ist illegal, wenngleich i.d.R. von der Polizei geduldet. Trotzdem wurden 1991 und 1992 jeweils über dreihundert LehrerInnen festgenommen und misshandelt, 6 getötet.
Den Privatschulen mangelt es natürlich an allem, von Geld über Lehrmaterial bis zu Bleistiften und Papier. Die Lehrergewerkschaft bemüht sich darum, eine Unterstützung zu organisieren , und ist auch Ansprechpartnerin für ausländische Hilfsangebote. Eine Möglichkeit der Unterstützung wäre z.B., eine Partnerschaft zu einer bestimmten "Schattenschule" aufzubauen.
Von den Entlassungen waren auch fast alle albanischen ÄrztInnen betroffen; nur in der Klinik in Dakovica arbeiten noch einige wenige. AlbanerInnen wagen i.d.R. nicht, die serbischen Krankenhäuser aufzusuchen. Es wird berichtet, daß an den Wänden Bilder von Arkan u.ä. hängen und die Ärzte bewaffnet herumlaufen. Die rätselhafte Vergiftungswelle, während der 1990 dreitausend SchülerInnen schwer erkrankten und die von allen AlbanerInnen einem gezielten Anschlag serbischer Behörden zugeschrieben wird, stärkt nicht gerade das Vertrauen in das serbische Gesundheitssystem. Albanische Ärzte dürfen privat "praktizieren", bekommen aber natürlich kein Geld. Die PatientInnen müssen die Medikamente, Verbandsmaterial bis zum letzten Heftpflaster selbst bezahlen bzw. mitbringen, wenn sie Krankenhäuser aufsuchen. Besonders betroffen von dieser Situation sind Schwangere, die entweder nach Dakovica gehen oder zu Hause entbinden müssen. Weder gibt es schmerzstillende Mittel noch eine adäquate Versorgung bei Komplikationen; die Babysterblichkeit ist daher mehrfach höher als in vergleichbaren Ländern.
In Pristhina gibt es eine katholisch-albanische Hilfsorganisation namens "Mutter Theresa", die in Prishtina zwei Tageskliniken unterhält. Dort werden auch Medikamente, die vor allem von Caritas geliefert werden, umsonst verteilt. Auch diese Organisation ist an ausländischer Unterstützung interessiert.
Die stark präsente Polizei führt ständig Straßenkontrollen durch. Außerhalb Prishtinas finden verstärkt die berüchtigten "Waffensammlungen" durch die Polizei statt (allein in den letzten Monaten sind 130 Fälle bekannt), bei denen Polizisten in ein Dorf gehen und von einzelnen Haushalten ein Gewehr oder eine andere Waffe fordern. Wer nichts abgeben kann, wird i.d.R. festgenommen und/oder misshandelt, so daß viele Menschen sich Gewehre nur zu dem Zweck kaufen, sie der Polizei geben zu können. Manchmal legen ganze Dörfer Geld zusammen, um ein einzelnen Gewehr zu erwerben, das dann, wenn die Polizei kommt, einer Familie zur Verfügung gestellt wird.
Jeder zweite Albaner wurde schon einmal von der Polizei festgenommen und zusammengeschlagen. Etliche sind in Folge der Misshandlungen gestorben. Auch auf der Straße sind schon mehrfach Menschen erschossen worden. In Peja (Pec) wurde nach einer Demonstration einer jungen Schülerin von Polizisten ein Ohr abgeschnitten, bei Klina wurde durch herumirrende Kugeln eine junge Frau mit ihrem Baby im eigenen Garten erschossen. Nur ein schwacher Trost ist demgegenüber, daß von Vergewaltigungen in Gefängnissen nichts zu hören ist; Frauen, die schon einmal festgenommen wurden, berichten, daß sie i.d.R. besser als Männer behandelt werden. (Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, daß Frauen nicht darüber reden würden, wenn sie vergewaltigt worden wären.)
Mit den Menschenrechtsverletzungen befasst sich der Human Rights Council und Kosovo Watch, ein Zweig von Helsinki Watch. Beide sammeln und publizieren die Fälle von Polizeiübergriffen und anderen Verletzungen der Menschenrechte, die ihnen zur Kenntnis gelangen.
Gelegentlich kommt es zu organisiertem Widerstand gegen die Polizeiübergriffe. So wurde im Januar 93 in zwei Dörfern bei Dakovica und Jablanica Polizeiwagen blockiert, die Festgenommene wegfahren wollten. Am nächsten Tag kam die Polizei allerdings wieder, umstellte die genannten Orte und durchsuchte alle Häuser.
Angesichts der massiven Repression von außen treten in der Arbeit der Menschenrechtsgruppen und anderer Organisationen Probleme in der eigenen albanischen Gesellschaft zwangsläufig zurück. So wird anscheinend z.B. hingenommen, daß nach den Parlamentswahlen der AlbanerInnen ein Rat aller Parteien, in dem sich über die Widerstandspolitik abgestimmt wurde, zugunsten einer Alleinherrschaft der größten Partei, der LDK, praktisch bedeutungslos geworden ist. Eine Ausnahme macht die Liga der albanischen Frauen, die größte parteiunabhängige Frauenorganisation. Sie tritt für eine größere Rolle von Frauen in der Politik ein und plant die Einrichtung eines SOS-Notruftelefons für misshandelte Frauen. "Wir müssen die Männer emanzipieren", äußerte die Vorsitzende der Liga uns gegenüber. Daneben kümmert sich die Liga auch noch um Vorsorgeuntersuchungen gegen Brustkrebs, läßt Kinderkrankheiten in Grundschulen untersuchen und wandert mit Kulturdarbietungen von Schule zu Schule. Die Gruppe ist sehr an Kontakten zu Frauenorganisationen in anderen Ländern interessiert.
Eine weitere Form der Repression ist, junge Albaner zum Militärdienst in die Jugoslawische Volksarmee einzuziehen und in den Krieg nach Bosnien zu schicken. Immer wieder kommt es vor, daß die Polizei an öffentlichen Stellen, z.B. dem Busbahnhof von Prishtina, auftaucht und alle jungen Männer mitnimmt, die sich dort aufhalten. 53 Albaner wurden bislang in Bosnien getötet. Einige sind nach ihrer Dienstzeit inzwischen wieder entlassen, leiden aber nach Auskunft von Menschenrechtsorganisationen unter einem schweren Trauma und sprechen kaum über ihre Militärzeit. Einer berichtete, daß er gezwungen wurde, bei der Tötung eines Kroaten zuzusehen sowie dabei, wie dem Toten anschließend mit einem Messer Augen und ein Goldzahl ausgestochen wurden. Der Kommentar des serbischen Soldaten dazu: "Das machen wir demnächst auch mit Euch Albanern".
Kriegsgefahr im Kosovo
Derzeit bemühen sich die Organisatoren des Widerstandes, eine Provokation der serbischen Staatsgewalt zu vermeiden. Die letzten Demonstrationen haben im Oktober 1992 gegen die Schließung der Schulen stattgefunden. Das Parlament wurde auch noch nicht zu seiner konstituierenden Sitzung einberufen. Als Begründung für die Zurückhaltung wurde angegeben, daß man aufgrund der gespannten Lage mit sehr gewalttätigen Reaktionen rechnen müsse und daß Provokationen nur dann Sinn machten, wenn man international Aufmerksamkeit erzielen kann. Derzeit konzentriere sich letztere aber allein auf den Krieg in Bosnien.
Anfänglich hatten alle Menschen gehofft, daß der Ausnahmezustand im Kosovo nur kurze Zeit andauern würde. Allmählich scheinen viele die Hoffnung zu verlieren. Niemand glaubt, daß es so wie es jetzt ist noch lange weitergehen kann. Aber derzeit, so wird immer wieder betont, setzt man weiter auf den gewaltfreien Widerstand. Eine Lösung des Konfliktes glaubt man allerdings nicht mehr aus eigener Kraft erreichen zu können. Nur die Stationierung von UN-Truppen im Kosovo könne einen Krieg verhindern und Serbien zum Einlenken zwingen, so ist die Überzeugung nicht nur der albanischen Führung.
Daß der Ausnahmezustand nach dem nach dem Vorbild Palästinas auf Dauer aufrecht erhalten werden kann, ist kaum denkbar. Sollte die internationale Gemeinschaft bereit sein, ihn zum Beispiel als Preis für einen teilweisen Rückzug aus Bosnien und Kroatien in Kauf zu nehmen, würde der gewaltfreie Widerstand, so wird auch von albanischer Seite immer wieder gewarnt, voraussichtlich bald in einen Bürgerkrieg übergehen. Von Seiten der albanischen PolitikerInnen steht hinter solchen Warnungen gewiss auch taktisches Kalkül, um ein Eingreifen des Westens zu erzwingen, sie scheinen aber andererseits aber eine weitverbreitete Stimmung in der Bevölkerung widerzuspiegeln. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage und der immer massiver werdenden Repression hat sich mir als Beobachterin die Frage gestellt, wann der Punkt erreicht ist, wo die Menschen das Gefühl bekommen, nichts mehr zu verlieren zu haben.
Die "Sicherheits"garantien, die NATO und USA für den Kosovo abgeben haben - das Versprechen, einzugreifen, falls Serbien den Krieg auf den Kosovo ausweitet, könnten dabei zumindest in der Theorie die Entscheidung, zum bewaffneten Kampf überzugehen, erleichtern. ("Freiheit durch Krieg" war schon ein Konzept der kroatischen Führung, die die Eskalation des Krieges im Herbst 91 mehrfach bewusst in Kauf nahm, um endlich die politische Anerkennung Kroatiens zu erzielen.) Ein Journalist von Vreme und Radio B 92 aus Belgrad schrieb daher auch schon der Führung der Kosovo-Albaner militärische Pläne zu, in denen die Kontrolle des Luftraums durch westliche Alliierte eine wichtige Rolle spielten. Dieser und andere Berichte über eine geheime Bewaffnung der Kosovo-AlbanerInnen werden teilweise geleugnet, teilweise mit einem Schulterzucken abgetan. Deutlich ist, daß die Beschaffung von Waffen nicht die entscheidende Frage ist. Waffen können über Albanien jederzeit gekauft werden; auch die finanziellen Mittel würden sich vermutlich finden.
Wenn vom Kosovo als kommenden Kriegsschauplatz die Rede ist, dann wird allerdings in der Regel und begründeterweise an ein geplantes Eingreifen durch Serbien/Jugoslawien gedacht. Ziel einer solchen militärischen Aktion wäre vermutlich, die alleinige Kontrolle des nördlichen Teils des Kosovos mit dem Amselfeld zu erreichen, indem die albanische Bevölkerung von dort vertrieben wird. Der südliche Teil des Kosovo würde dann sich selbst überlassen. Entsprechende Vorschläge tauchen immer wieder in der serbischen Presse auf; (Befürworter einer Teilung ist u.a. Staatspräsident Cosic. Über die Möglichkeiten Serbiens, einen Krieg in Kosovo anzuzetteln, sollten keinerlei Illusionen bestehen. Die serbischen Politiker und Militärs haben bereits in Kroatien und BiH Erfahrung mit der Organisierung von Provokationen gesammelt, die dann als Vorwand für ein militärisches Eingreifen herhalten konnten. Bereits jetzt sind Truppen im Kosovo konzentriert, die jederzeit aus Serbien verstärkt werden könnten. Der gefährlichste Moment wird dann erreicht sein, wenn der Krieg beendet wird. Das Regime von Milosevic und Seselj kann nur durch Krieg bestehen bleiben - in Friedenszeiten würde es sehr schnell an seinen inneren Widersprüchen und aus Mangel an politischen Konzepten zusammenbrechen. Deshalb atmeten viele Kosovo-AlbanerInnen auf, als die Kämpfe in Kroatien wieder begannen - es schien eine weitere Gnadenfrist für den Kosovo zu bedeuten.
Ein Krieg im Kosovo würde sich aller Voraussicht nach nicht mehr auf die Grenzen Ex-Jugoslawiens begrenzen lassen. Albanien hat immer wieder klar gesagt, daß es den AlbanerInnen im Kosovo zu Hilfe kommen würde; daß dieses Versprechen eingehalten wird, daran zweifelt man weder in Albanien noch im Kosovo. Makedonien könnte aufgrund seiner albanischen Minderheit mit reingezogen werden; dies könnte wiederum ein Eingreifen Griechenlands, des Erzfeindes Makedoniens, zur Folge haben. Die Türkei, die anstrebt, eine regionale Großmacht zu werden und daher tendenziell allen moslemischen Nachbarvölkern beisteht, ist ein weiterer möglicher Bündnispartner der AlbanerInnen. Und dazu kommen natürlich die erwähnten westlichen Garantien.
Schritte zu einer gewaltlosen Konfliktlösung
Das Problem jeder Konfliktlösung im Kosovo ist, daß die Positionen der AlbanerInnen und SerbInnen einander unversöhnlich gegenüberstehen und sich gegenseitig auszuschließen scheinen. Der Nord-Kosovo ist das historische Kernland Serbiens und damit nach dem Empfinden fast aller Menschen dieser Nation unverzichtbar. Die AlbanerInnen, die die überwiegende Mehrheit der derzeitigen Bevölkerung des Kosovo stellen, beharren nach der Unterdrückung besonders der letzten Jahre darauf, niemals wieder ein Teil Serbiens werden zu wollen. Alle scheinbar "einfachen" Lösungen wie der Vorschlag, die Autonomie von '74 wieder herzustellen - der auch das weitestgehende ist, was sich Teile der serbischen Opposition vorstellen können - dürften an diesen Positionen scheitern.
Die regierende Partei der Kosovo-Albaner, die Demokratische Liga, hat vorgeschlagen, den Kosovo als eine Art "Staat", aber mit offenen Grenzen zu Serbien wie zu Albanien zu konstituieren. Serben im Kosovo wären in ihm gleichberechtigte Nation, keine Minderheit. Die Kosovo-Albaner würden sich verpflichten, keinen Zusammenschluss mit Albanien oder den Albanern in Makedonien zu suchen.
Die andere Möglichkeit wäre die Anerkennung des Kosovo als eigenen Staat durch die internationale Gemeinschaft, einhergehend mit militärischen Garantien oder Stationierung von Truppen, um eine serbische Intervention zu verhindern. In dem Maße, wie Verhandlungen mit Serbien/Jugoslawien immer unwahrscheinlicher werden, setzen albanische PolitikerInnen zunehmend auf diese zweite Alternative.
Es wurde bereits oben erwähnt, daß der Verzicht darauf, den Kosovo an Albanien anzuschließen - die AlbanerInnen verstehen sich als eine Nation, unabhängig davon, wo sie leben - als Kompromissformel gegenüber Serbien angesehen wird. Sollte es zu einem Krieg kommen, würde aber vermutlich dieser Anschluss an seinem Ende stehen. In solch einem Fall wäre wahrscheinlich, daß auch die 30 % Albaner in Makedonien den Anschluss an "Groß-Albanien" anstreben würden.
Möglichkeiten internationaler Intervention
Welche Möglichkeiten gibt es nun für die die internationale Gemeinschaft wie für Organisationen der sozialen Bewegungen? Grundsätzlich scheint es zwei idealtypische Positionen zu geben, die beide auch z.B. in der deutschen Friedensbewegung zu finden sind: 1. sich als "neutral" zu erklären und zwischen beiden Seiten zu vermitteln und 2. Position zugunsten der Kosovo-AlbanerInnen zu beziehen und sich auf ihrer Seite in den Konflikt einzumischen.
Die westlichen Staaten und ihre Bündnisse halten sich ebenso wie die UNO in Bezug auf den Kosovo derzeit sehr zurück. Die KSZE entsendete bislang ganze neun (!) Beobachter. Es gab die erwähnten Ankündigungen, im Falle eines Krieges militärisch zu intervenieren, und es gab einige Gespräche und Vermittlungsversuche in der KSZE sowie am Rande der Jugoslawien-Verhandlungen in London und Genf. Die Forderungen der westlichen Vermittler gingen dabei zumeist in Richtung auf die Wiederherstellung eines gesellschaftlichen Normalzustandes, d.h. Wiedereröffnung der Schulen und Universitäten, Einhaltung der individuellen Menschenrechte etc. Eine Bereitschaft, die Unabhängigwerdung Kosovas zu unterstützen, ist nicht auszumachen.
Die Situation im Kosovo ist äußert gespannt. Wie oben dargestellt, rechnen viele Kosovo-AlbanerInnen und viele BeobachterInnen damit, daß es noch in diesem Jahr zum Krieg kommt, wenn keine entscheidende Änderung der Verhältnisse eintritt. Für die politische Führung des Kosovo kann eine solche Änderung nur die Entsendung von Truppen in den Kosovo bedeuten. Aber abgesehen davon, daß die Bereitschaft der UNO, dies zu tun, nicht groß zu sein scheint, müssen wir als PazifistInnen uns fragen, ob und wenn ja, welche Möglichkeiten wir haben, in den Konflikt einzugreifen. Ich sehe hier in erster Linie vier Möglichkeiten:
1. Den Aufbau einer internationalen Präsenz im Kosovo.
Schon des längeren wurde die Idee diskutiert, ein Team von internationalen Freiwilligen im Kosovo zu stationieren, sofern von Seiten der offiziellen Politik nichts unternommen wird, um die massiven Menschenrechtsverletzungen im Kosovo zu beenden und der Gefahr eines Krieges entgegenzutreten. Die vorrangige Aufgabe des Teams wäre, durch ihre Anwesenheit in bedrohten Dörfern, bei Veranstaltungen oder auch in Büros bestimmter albanischer Organisationen einen gewissen Schutz vor Polizeiübergriffen zu geben, weil Polizei und Militär i.d.R. bemüht sind, Öffentlichkeit zu vermeiden. Weitere Aufgaben eines internationalen Teams wären - in Zusammenarbeit mit anderen einheimischen wie internationalen Organisationen - Menschenrechtsverletzungen zu beobachten und bekanntzumachen sowie ggf. bei Konflikten zu vermitteln. Geprüft werden müsste, ob und zu welchem Umfang die Freiwilligen praktische Arbeit (z.B. als FremdsprachenlektorInnen, Ärzte, Hebammen etc.) leisten sollten, wie es von albanischer Seite angeregt wurde. Auch das gezielte Eskortieren gefährdeter Personen (nach Vorbild von PBI) wäre evtl. denkbar. Ein solches Projekt wird derzeit von den War Resisters' International und dem Bund für Soziale Verteidigung vorangetrieben. Einige andere Organisationen erwägen die Entsendung von BeobachterInnen jeweils für einen bestimmten Zweck, z.B. für die medizinischen Versorgung oder die Verletzung von Menschenrechten.
2. Vermittlung
Von beiden Seiten respektierte, weil neutrale VermittlerInnen können versuchen, die Konfliktparteien ins Gespräch zu bringen. Ansätze dieser Art hat es schon verschiedentlich - allerdings ohne überragende Erfolge -gegeben.
3. Humanitäre Hilfe und Unterstützung der albanischen Organisationen und Einrichtungen, z.B. der Schulen, der Frauen-und Menschenrechtsorganisationen (s.oben).
4. Druck auf unsere Regierungen ausüben, daß sie ihre Politik gegenüber Serbien ändern. Es müsste diskutiert werden, ob nicht die Gefahr für den Kosovo durch die Verschärfung der Sanktionen ohne daß parallel positive Angebote für den Fall gemacht werden, daß Serbien auf Krieg verzichtet (z.B. ein wirtschaftliches Hilfsprogramm), gesteigert wird. Vielleicht kann man Serbien den Kosovo nicht "abkaufen", aber die Wiederherstellung einigermaßen normaler Verhältnisse ließe sich vielleicht durch eine massive Förderung Serbiens erzielen.