Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Bundesregierung bereitet die Beschlagnahmung ziviler Transportmittel vor.
"Stell dir vor es ist Krieg, und keiner kommt hin"
von
Seit den Schwierigkeiten der NATO-Staaten, den Transportbedarf für den zweiten Golfkrieg zu organisieren, beschäftigen sich auch Strategen der Hardthöhe mit der bangen Frage: Stell dir vor, es ist Krieg, und wir kommen nicht hin? Damit das nicht so bleiben muß, meldete man bei der Regierung nicht nur Bedarf an leichter transportierbarem Material und größeren Transportern an. Auch ein besonderes Gesetz sollte her. Sein Titel: Verkehrsvorsorge-Gesetz. Sein vorrangiges Ziel: die Möglichkeit zur zwangsweisen Sicherstellung ziviler Transportkapazitiäten für militärische Auslandseinsätze.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-DRS 13/3354 v. 18.12.95) sieht vor, daß die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium für Verkehr ermächtigt wird, im Verkehrsbereich Rechtsverordnungen zur "Sicherung der Versorgung der Bevölkerung", zur Unterstützung der Streitkräfte und zur Einhaltung nicht näher genannter "internationaler Verpflichtungen" zu erlassen. Das Gesetz soll für den sogenannten "Krisenfall" gelten und das Verkehrssicherstellungsgesetz, das im Rahmen der Notstandsverfassung für den Verteidigungs- und Spannungsfall erlassen worden ist, ergänzen.
Im Gegensatz zu den meisten Notstandsgesetzen und dem Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, soll jedoch das Parlament in die Entscheidung über die Inkraftsetzung der Rechtsverordnungen nicht mit einbezogen werden. Die Bundesregierung entscheidet eigenmächtig, ob der nicht näher definierte "Krisenfall" in Kraft tritt. Damit dies geschehen kann, muß die Regierung lediglich der Auffassung sein, daß "der Bedarf an Verkehrsleistungen auf andere Weise nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln gedeckt werden kann". Bundestag und Bundesrat können lediglich im Nachhinein die Aufhebung erlassener Maßnahmen verlangen. Die Erteilung einer derartigen Blankovollmacht dürfte auf Grund der vorgesehenen Einschränkung von Grundrechten verfassungspolitisch äußerst fragwürdig sein.
Welche Maßnahmen werden "vorsorglich" getroffen?
Bei den laut Gesetzentwurf zu erlassenden Rechtsverordnungen handelt es sich im Kern um 3 Bereiche.
1. Rückgriff auf Verkehrsleistungen der Marktwirtschaft
Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfes steht die Ermächtigung zur zwangsweisen Anforderung oder gar Überlassung von professionellen Verkehrsleistungen zum Gebrauch, Mitgebrauch oder zur Nutzung. Vor allem Bahnen, Reedereien, Spediteure und Fluggesellschaften müssen künftig mit derartigen Anforderungen rechnen. Als Verkehrsleistungen gelten im Übrigen auch Umschlags- und Speditionsleistungen sowie Lagerei. Die Unternehmen sollen per Verordnung sogar zum Abschluß von Verträgen über die dauerhafte Bereitstellung bestimmter Leistungen, und damit zum ständigen Subunternehmer der Bundeswehr, verpflichtet werden können.
Um den Widerstand der Betroffenen Unternehmen und Personen möglichst gering zu halten, sollen diese für den staatlichen Eingriff in die vielgepriesene freie Marktwirtschaft entsprechend dem Bundesleistungsgesetz entschädigt werden. D. h. sie sollen ein Entgelt erhalten, das vergleichbaren Leistungen im Wirtschaftsverkehr und den "Interessen der Allgemeinheit bzw. der Beteiligten" gerecht Rechnung tragen soll. Diese Anlehnung an das Bundesleistungsgesetz kann u. a. dazu beigetragen haben, daß sich die betroffenen Berufsverbände, sofern sie den Stellenwert der vorgelegten Planung überhaupt erkannt haben, bisher nicht öffentlich gegen das Gesetzesvorhaben ausgesprochen haben. Sollten die Betroffenen im Bedarfsfall vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Rechtsverordnungen oder einzelne Tatbestände verstoßen, können sie mit einem Bußgeld von bis zu 50.000,- DM belegt werden. Wer die Zuwiderhandlung beharrlich wiederholt oder versucht, aus einer außergewöhnlichen Mangellage "bedeutende Vermögensvorteile" zu erlangen, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. D. h. die Geschäftsführung einer Reederei oder einer Fluggesellschaft, die es mit ihrer Firmenphilosophie unvereinbar hält, einen als militärische Konfliktbewältigung verschleierten Kriegseinsatz beharrlich abzulehnen, wird kurzerhand per "Freiheitsstrafe" aus dem "Verkehr" gezogen.
2. Errichtung eines Verkehrsmittel-Melderegisters
Damit die Bundesregierung weiß, welche Verkehrsleistungen für eine Inanspruchnahme überhaupt in Frage kommen, soll in klassischer Überwachungs- und Planungseuphorie per Rechtsverordnung die Erfassung der Verkehrsmittel, die Durchführung des Meldeverfahrens sowie die Verarbeitung und Nutzung der Daten geregelt werden. Wer vorsätzlich oder fahrlässig der Meldepflicht nicht nachkommt, muß mit einem Bußgeld von bis zu 50.000,- DM rechnen. Darüber hinaus unterliegen alle in der Verkehrswirtschaft tätigen natürlichen und juristischen Personen einer umfassenden Auskunftspflicht, die sich nicht nur auf Auskünfte über die Bestandsdaten sondern auch über die Planungen für die Herstellung und Änderung von Verkehrsanlagen erstrecken soll. Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine Auskunft nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erteilt, kann mit einer Geldbuße bis zu 20.000,- DM bestraft werden.
3. Aufhebung von Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften
Um Flugzeuge, Schiffe und Bahnen nicht nur für den Transport von Soldaten, sondern auch von Waffen und sonstigem todbringenden Kriegsmaterial nutzen zu können, plant die Bundesregierung, Verkehrsvorschriften und Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter der Klasse 1 bei Bedarf schlichtweg außer Kraft zu setzen. Welche Vorschriften wofür, wie und unter welchen Bedingungen außer Kraft gesetzt werden sollen, entscheidet nach der Verabschiedung des Verkehrsvorsorge-Gesetzes ausschließlich die Bundesregierung. Der Bundestag würde damit der Bundesregierung einen Freibrief zur Verletzung bestehender gesetzlicher Sicherheitsnormen und damit zu einer ansonsten unzulässigen Gefährdung der Bevölkerung geben.
"Planungssicherheit" und Primat des Militärs
Daß es sich beim Verkehrsvorsorge-Gesetz im Wesentlichen um ein militärisches Vorsorgegesetz handelt, wird bei näherem Hinsehen schnell deutlich. Obwohl im Entwurf auch die "Versorgung der Bevölkerung" als Rechtfertigungsgrund herangezogen wird, ist der eigentliche Kern dieses Gesetzes ausschließlich militärischer Natur. Es folgt nicht nur den Bedarfsvorstellungen der Bundeswehr, sondern ebenso der Logik und Entwicklung der NATO als florierendem militärischen Interventionsverbund. Die Golfkriegs-Lücke schnellstmöglich zu beseitigen, wurde in den Ministerrichtlinien der NATO für die zivile Notfallplanung zum Planziel erhoben. In der Ministerrichtlinie werden die NATO-Staaten aufgefordert, die innerstaatlichen Notstandsbefugnisse auf die neuen Krisenszenarien und dabei auch auf den Schwerpunkt "zivile Unterstützung für militärische Einsätze" anzupassen: "Die Pflicht der Mitgliedsstaaten, zivile Transportressourcen (Schiffe, Flugzeuge und Transportmittel für den Bodentransport im Land) zu stellen, ist für die Bewegung von Militärkräften der Allianz in Krisen oder im V-Fall unerlässlich." Unter Hinweis auf diese NATO-Entscheidungen wird der Gesetzgeber nun unter Druck gesetzt, den Entwurf zu verabschieden. Dabei war es die Bundesregierung, die ohne vorherige Konsultation des Parlamentes sowohl das Strategische Konzept der NATO als auch deren Ministerrichtlinien für die zivile Notfallplanung mit verabschiedet hat.
Auf Grund des multinationalen Bedarfs sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht nur die Unterstützung der Bundeswehr sondern auch die Unterstützung "verbündeter" Streitkräfte bei gemeinsamen Maßnahmen und die Erfüllung internationaler Verpflichtungen vor. Der Kreis der Verbündeten ist damit also nicht auf die NATO- oder WEU-Staaten eingeschränkt, sondern könnte zum Beispiel auch bilaterale Militär-Aktionen mit Frankreich oder den Transport von polnischem Rüstungsmaterial für die IFOR-Truppen nach Bosnien umfassen. Da seit 1994 die Zivilverteidigungsplanung auch Bestandteil des Arbeitsprogramms des Nordatlantischen Kooperationsrates sowie der individuellen Partnerschaft-für-Frieden-Programme ist, muß gerade hier mit verstärkten Initiativen gerechnet werden. (vgl. NATO-Brief März 1996, 29-33)
Die Begehrlichkeiten des Zugriffs von Seiten des Militärs wurden nur sehr vage formuliert. An keiner Stelle wird der quantitative oder qualitative Bedarf näher konkretisiert. Das Weißbuch vom April 1994 spricht lediglich davon, daß "verstärkt zivile Unterstützungsleistungen in Anspruch" genommen werden müssten. Und im Bericht zur Zivilen Verteidigung vom Juni 1995 konnte die Bundeswehr "noch keine definitiven Aussagen zu einem veränderten Unterstützungsbedarf der Streitkräfte durch die zivile Seite" formulieren. Geht es nach dem Gesetzentwurf, dann besteht der Bedarf gegenwärtig vor allem im Bereich von Spezialfahrzeugen wie Roll-on-Roll-off-Schiffe, Kesselwagen, Tiefladern und Großraumflugzeugen. Gleichzeitig laufen in und zwischen den verschiedenen Staaten Rüstungsprojekte, die explizit auf die Deckung des Transportbedarfes abzielen (Future Large Aircraft, Einsatzgruppenversorger usw.).
Insgesamt geht es aber um eine Blankovollmacht. In der Begründung zum Gesetzentwurf schreibt die Bundesregierung: "Es ist ... davon auszugehen, daß die übrigen Staaten den gleichen Zwängen unterliegen und ihren Bedarf an geeigneten Schiffen und Spezialfrachtflugzeugen ebenfalls auf dem Weltmarkt decken. Durch diese Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des freien Weltmarktes fehlt der Bundeswehr jegliche Planungssicherheit." Die Bundesregierung, die sich in den Verteidigungspolitischen Richtlinien die Aufrechterhaltung des freien Weltmarktes als Legitimationsgrundlage zum militärischen Einsatz der Bundeswehr gesetzt hat, setzt mit dem vorgelegten Entwurf eben diese Marktregeln außer Kraft.
Wo ist der Sand im Getriebe?
Nachdem der Bundesrat im November den Gesetzentwurf nahezu unkritisiert passieren ließ, wurde er während der Weihnachtspause dem Parlament zugeleitet und kurz darauf ohne Debatte in die Ausschüsse überwiesen. Offensichtlich hatte es die Bundesregierung sehr eilig, das Vorhaben schnell und ohne großes Aufsehen durch den Bundestag zu bringen. Weder der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss noch der Innenausschuss sollten ursprünglich an dem Beratungsprozess beteiligt werden. Derzeit hängt der Entwurf noch in den Ausschüssen. Obwohl es sich bei dem Entwurf um eine Ausweitung der Notstandsgesetzgebung handelt, hat die SPD als größte Oppositions- und alte Notstandspartei das Thema durch die Absegnung im Bundesrat verschlafen. Aus diesem Grund hat nun auch die SPD-Fraktion ein Interesse daran, das Thema kleinzuhalten. Das Ansinnen der Bündnisgrünen, im Rahmen einer öffentlichen Ausschußanhörung auf die Problematik des Entwurfes näher einzugehen, wurde von der SPD abgelehnt. Da auch die Rest-Liberalen Widerspruch nicht erkennen lassen, kann die Regierung nun die Vorlage mit ihrer Parlamentsmehrheit ohne ausreichende parlamentarische und öffentliche Beratung durchstimmen.
Rätselhaft ist auch das Verhalten der betroffenen Verkehrsverbände. Durch die bereits existierende Notstandsregelung an die potentielle Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit gewöhnt, haben sie den vorgelegten Planungen nicht öffentlich widersprochen. Dadurch wird das Thema auch für die Presse zum Nicht-Thema. Ohne nennenswerten Widerspruch von Verbänden, Parteien und friedens- und verfassungspolitisch engagierten Menschen wird die Regierungsmehrheit vermutlich keine Schwierigkeiten haben, den Gesetz-Entwurf zu verabschieden. Damit wäre für die Opposition ein weiterer Zug im Kampf gegen die Militarisierung der Außenpolitik abgefahren.