Bundesregierung bereitet die Beschlagnahmung ziviler Transportmittel vor.

"Stell dir vor es ist Krieg, und keiner kommt hin"

von Andreas Körner
Hintergrund
Hintergrund

Seit den Schwierigkeiten der NATO-Staaten, den Transportbedarf für den zweiten Golfkrieg zu organisieren, beschäftigen sich auch Strate­gen der Hardthöhe mit der bangen Frage: Stell dir vor, es ist Krieg, und wir kommen nicht hin? Damit das nicht so bleiben muß, meldete man bei der Regierung nicht nur Bedarf an leichter transportierbarem Mate­rial und größeren Transportern an. Auch ein besonderes Gesetz sollte her. Sein Titel: Verkehrsvorsorge-Gesetz. Sein vorrangiges Ziel: die Möglichkeit zur zwangsweisen Sicherstellung ziviler Transportkapazi­tiäten für militärische Auslandseinsätze.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-DRS 13/3354 v. 18.12.95) sieht vor, daß die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium für Verkehr er­mächtigt wird, im Verkehrsbereich Rechtsverordnungen zur "Sicherung der Versorgung der Bevölkerung", zur Un­terstützung der Streitkräfte und zur Ein­haltung nicht näher genannter "internationaler Verpflichtungen" zu erlassen. Das Gesetz soll für den soge­nannten "Krisenfall" gelten und das Verkehrssicherstellungsgesetz, das im Rahmen der Notstandsverfassung für den Verteidigungs- und Spannungsfall erlassen worden ist, ergänzen.

Im Gegensatz zu den meisten Not­standsgesetzen und dem Parlamentsvor­behalt bei Auslandseinsätzen der Bun­deswehr, soll jedoch das Parlament in die Entscheidung über die Inkraftset­zung der Rechtsverordnungen nicht mit einbezogen werden. Die Bundesregie­rung entscheidet eigenmächtig, ob der nicht näher definierte "Krisenfall" in Kraft tritt. Damit dies geschehen kann, muß die Regierung lediglich der Auffas­sung sein, daß "der Bedarf an Ver­kehrsleistungen auf andere Weise nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhält­nismäßigen Mitteln gedeckt werden kann". Bundestag und Bundesrat können lediglich im Nachhinein die Aufhebung erlassener Maßnahmen verlangen. Die Erteilung einer derartigen Blankovoll­macht dürfte auf Grund der vorgese­henen Einschränkung von Grundrechten verfassungspolitisch äußerst fragwürdig sein.

Welche Maßnahmen werden "vorsorglich" getroffen?

Bei den laut Gesetzentwurf zu erlassen­den Rechtsverordnungen handelt es sich im Kern um 3 Bereiche.

1.    Rückgriff auf Verkehrsleistungen der Marktwirtschaft

Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfes steht die Ermächtigung zur zwangswei­sen Anforderung oder gar Überlassung von professionellen Verkehrsleistungen zum Gebrauch, Mitgebrauch oder zur Nutzung. Vor allem Bahnen, Ree­dereien, Spediteure und Fluggesell­schaften müssen künftig mit derartigen Anforderungen rechnen. Als Verkehrs­leistungen gelten im Übrigen auch Um­schlags- und Speditionsleistungen sowie Lagerei. Die Unternehmen sollen per Verordnung sogar zum Abschluß von Verträgen über die dauerhafte Bereit­stellung bestimmter Leistungen, und damit zum ständigen Subunternehmer der Bundeswehr, verpflichtet werden können.

Um den Widerstand der Betroffenen Unternehmen und Personen möglichst gering zu halten, sollen diese für den staatlichen Eingriff in die vielgepriesene freie Marktwirtschaft entsprechend dem Bundesleistungsgesetz entschädigt wer­den. D. h. sie sollen ein Entgelt erhalten, das vergleichbaren Leistungen im Wirt­schaftsverkehr und den "Interessen der Allgemeinheit bzw. der Beteiligten" ge­recht Rechnung tragen soll. Diese An­lehnung an das Bundesleistungsgesetz kann u. a. dazu beigetragen haben, daß sich die betroffenen Berufsverbände, so­fern sie den Stellenwert der vorgelegten Planung überhaupt erkannt haben, bis­her nicht öffentlich gegen das Gesetzes­vorhaben ausgesprochen haben. Sollten die Betroffenen im Bedarfsfall vorsätz­lich oder fahrlässig gegen die Rechts­verordnungen oder einzelne Tatbestände verstoßen, können sie mit einem Buß­geld von bis zu 50.000,- DM belegt werden. Wer die Zuwiderhandlung be­harrlich wiederholt oder versucht, aus einer außergewöhnlichen Mangellage "bedeutende Vermögensvorteile" zu er­langen, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geld­strafe bedroht. D. h. die Geschäftsfüh­rung einer Reederei oder einer Flugge­sellschaft, die es mit ihrer Firmenphilo­sophie unvereinbar hält, einen als mili­tärische Konfliktbewältigung verschlei­erten Kriegseinsatz beharrlich abzuleh­nen, wird kurzerhand per "Freiheitsstrafe" aus dem "Verkehr" ge­zogen.

2.    Errichtung eines Verkehrsmittel-Melderegisters

Damit die Bundesregierung weiß, wel­che Verkehrsleistungen für eine Inan­spruchnahme überhaupt in Frage kom­men, soll in klassischer Überwachungs- und Planungseuphorie per Rechtsver­ordnung die Erfassung der Verkehrs­mittel, die Durchführung des Meldever­fahrens sowie die Verarbeitung und Nutzung der Daten geregelt werden. Wer vorsätzlich oder fahrlässig der Meldepflicht nicht nachkommt, muß mit einem Bußgeld von bis zu 50.000,- DM rechnen. Darüber hinaus unterliegen alle in der Verkehrswirtschaft tätigen natür­lichen und juristischen Personen einer umfassenden Auskunftspflicht, die sich nicht nur auf Auskünfte über die Be­standsdaten sondern auch über die Pla­nungen für die Herstellung und Ände­rung von Verkehrsanlagen erstrecken soll. Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine Auskunft nicht richtig, nicht recht­zeitig oder nicht vollständig erteilt, kann mit einer Geldbuße bis zu 20.000,- DM bestraft werden.

3.    Aufhebung von Verkehrs- und Si­cherheitsvorschriften

Um Flugzeuge, Schiffe und Bahnen nicht nur für den Transport von Solda­ten, sondern auch von Waffen und son­stigem todbringenden Kriegsmaterial nutzen zu können, plant die Bundesre­gierung, Verkehrsvorschriften und Vor­schriften für die Beförderung gefährli­cher Güter der Klasse 1 bei Bedarf schlichtweg außer Kraft zu setzen. Wel­che Vorschriften wofür, wie und unter welchen Bedingungen außer Kraft ge­setzt werden sollen, entscheidet nach der Verabschiedung des Verkehrsvor­sorge-Gesetzes ausschließlich die Bun­desregierung. Der Bundestag würde damit der Bundesregierung einen Freibrief zur Verletzung bestehender gesetzlicher Sicherheitsnormen und da­mit zu einer ansonsten unzulässigen Ge­fährdung der Bevölkerung geben.

"Planungssicherheit" und Primat des Militärs

Daß es sich beim Verkehrsvorsorge-Ge­setz im Wesentlichen um ein militäri­sches Vorsorgegesetz handelt, wird bei näherem Hinsehen schnell deut­lich. Obwohl im Entwurf auch die "Versorgung der Bevölkerung" als Rechtfertigungsgrund herangezogen wird, ist der eigentliche Kern dieses Ge­setzes ausschließlich militärischer Na­tur. Es folgt nicht nur den Bedarfsvor­stellungen der Bundeswehr, sondern ebenso der Logik und Entwicklung der NATO als florierendem militärischen Interventionsverbund. Die Golfkriegs-Lücke schnellstmöglich zu beseitigen, wurde in den Ministerrichtlinien der NATO für die zivile Notfallplanung zum Planziel erhoben. In der Minister­richtlinie werden die NATO-Staaten aufgefordert, die innerstaatlichen Not­standsbefugnisse auf die neuen Kri­senszenarien und dabei auch auf den Schwerpunkt "zivile Unterstützung für militärische Einsätze" anzupassen: "Die Pflicht der Mitgliedsstaaten, zivile Transportressourcen (Schiffe, Flugzeuge und Transportmittel für den Boden­transport im Land) zu stellen, ist für die Bewegung von Militärkräften der Alli­anz in Krisen oder im V-Fall unerlässlich." Unter Hinweis auf diese NATO-Entscheidungen wird der Gesetzgeber nun unter Druck gesetzt, den Entwurf zu verabschieden. Dabei war es die Bun­desregierung, die ohne vorherige Kon­sultation des Parlamentes sowohl das Strategische Konzept der NATO als auch deren Ministerrichtlinien für die zivile Notfallplanung mit verabschiedet hat.

Auf Grund des multinationalen Bedarfs sieht der Gesetzentwurf der Bundesre­gierung nicht nur die Unterstützung der Bundeswehr sondern auch die Unter­stützung "verbündeter" Streitkräfte bei gemeinsamen Maßnahmen und die Er­füllung internationaler Verpflichtungen vor. Der Kreis der Verbündeten ist da­mit also nicht auf die NATO- oder WEU-Staaten eingeschränkt, sondern könnte zum Beispiel auch bilaterale Mi­litär-Aktionen mit Frankreich oder den Transport von polnischem Rüstungsmaterial für die IFOR-Truppen nach Bosnien umfassen. Da seit 1994 die Zi­vilverteidigungsplanung auch Bestand­teil des Arbeitsprogramms des Nordat­lantischen Kooperationsrates sowie der individuellen Partnerschaft-für-Frieden-Programme ist, muß gerade hier mit verstärkten Initiativen gerechnet wer­den. (vgl. NATO-Brief März 1996, 29-33)

Die Begehrlichkeiten des Zugriffs von Seiten des Militärs wurden nur sehr vage formuliert. An keiner Stelle wird der quantitative oder qualitative Bedarf näher konkretisiert. Das Weißbuch vom April 1994 spricht lediglich davon, daß "verstärkt zivile Unterstützungsleistun­gen in Anspruch" genommen werden müssten. Und im Bericht zur Zivilen Verteidigung vom Juni 1995 konnte die Bundeswehr "noch keine definitiven Aussagen zu einem veränderten Unter­stützungsbedarf der Streitkräfte durch die zivile Seite" formulieren. Geht es nach dem Gesetzentwurf, dann besteht der Bedarf gegenwärtig vor allem im Bereich von Spezialfahrzeugen wie Roll-on-Roll-off-Schiffe, Kesselwagen, Tiefladern und Großraumflugzeugen. Gleichzeitig laufen in und zwischen den verschiedenen Staaten Rüstungspro­jekte, die explizit auf die Deckung des Transportbedarfes abzielen (Future Large Aircraft, Einsatzgruppenversorger usw.).

Insgesamt geht es aber um eine Blanko­vollmacht. In der Begründung zum Ge­setzentwurf schreibt die Bundesregie­rung: "Es ist ... davon auszugehen, daß die übrigen Staaten den gleichen Zwän­gen unterliegen und ihren Bedarf an ge­eigneten Schiffen und Spezialfracht­flugzeugen ebenfalls auf dem Welt­markt decken. Durch diese Abhängig­keit von der Leistungsfähigkeit und Lei­stungsbereitschaft des freien Welt­marktes fehlt der Bundeswehr jegliche Planungssicherheit." Die Bundesregie­rung, die sich in den Verteidigungspoli­tischen Richtlinien die Aufrechterhal­tung des freien Weltmarktes als Legiti­mationsgrundlage zum militärischen Einsatz der Bundeswehr gesetzt hat, setzt mit dem vorgelegten Entwurf eben diese Marktregeln außer Kraft.

Wo ist der Sand im Getriebe?

Nachdem der Bundesrat im November den Gesetzentwurf nahezu unkritisiert passieren ließ, wurde er während der Weihnachtspause dem Parlament zuge­leitet und kurz darauf ohne Debatte in die Ausschüsse überwiesen. Offensicht­lich hatte es die Bundesregierung sehr eilig, das Vorhaben schnell und ohne großes Aufsehen durch den Bundestag zu bringen. Weder der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss noch der Innenausschuss sollten ursprünglich an dem Beratungsprozess beteiligt wer­den. Derzeit hängt der Entwurf noch in den Ausschüssen. Obwohl es sich bei dem Entwurf um eine Ausweitung der Notstandsgesetzgebung handelt, hat die SPD als größte Oppositions- und alte Notstandspartei das Thema durch die Absegnung im Bundesrat verschlafen. Aus diesem Grund hat nun auch die SPD-Fraktion ein Interesse daran, das Thema kleinzuhalten. Das Ansinnen der Bündnisgrünen, im Rahmen einer öf­fentlichen Ausschußanhörung auf die Problematik des Entwurfes näher ein­zugehen, wurde von der SPD abgelehnt. Da auch die Rest-Liberalen Wider­spruch nicht erkennen lassen, kann die Regierung nun die Vorlage mit ihrer Parlamentsmehrheit ohne ausreichende parlamentarische und öffentliche Bera­tung durchstimmen.

Rätselhaft ist auch das Verhalten der betroffenen Verkehrsverbände. Durch die bereits existierende Notstandsrege­lung an die potentielle Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit gewöhnt, haben sie den vorgelegten Planungen nicht öf­fentlich widersprochen. Dadurch wird das Thema auch für die Presse zum Nicht-Thema. Ohne nennenswerten Wi­derspruch von Verbänden, Parteien und friedens- und verfassungspolitisch en­gagierten Menschen wird die Regie­rungsmehrheit vermutlich keine Schwie­rigkeiten haben, den Gesetz-Entwurf zu verabschieden. Damit wäre für die Op­position ein weiterer Zug im Kampf ge­gen die Militarisierung der Außenpolitik abgefahren.

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Andreas Körner ist Mitarbeiter des grünen Bundestagsabgeordneten Winni Nachtwei.