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Perspektiven der Friedensbewegung
Stellungnahmen verschiedener Friedensorganisationen
vonZerbricht der friedenspolitische Konsens in Deutschland? Vor welchen Aufgaben steht die Friedensbewegung? Dazu haben wir von einigen großen Friedensorganisation um eine Stellungnahme gebeten.
pax christi
Christine Hoffmann, pax christi-Generalsekretärin
Mehrfach habe ich in Interviews und Talks vehement der These widersprochen, der Pazifismus sei am Ende, und betont, gescheitert sei die Strategie der Abschreckung. Gefragt habe ich dann auch immer, wessen Pazifismus genau gescheitert sein solle? Deutschland kann ja schlecht gemeint sein, dagegen sprechen allein die Bundeswehr und die Mitgliedschaft im größten Militärbündnis. Das Faktum, dass in Deutschland – noch – viele Menschen Krieg im eigenen Land erinnern und deshalb wissen, dass Krieg keine Fortsetzung der Politik, sondern Zerstörung ist, schafft noch keinen friedenspolitischen Konsens. Sonst wäre Deutschland nicht stetig dritt- bis sechstgrößter Waffenexporteur der Welt. Ich persönlich erlebe aber auch die Friedensbewegung nicht als durchgängig pazifistisch. Da hab´ ich viele schon ganz anders argumentieren hören, Stichworte Rojava oder Waffen für Nicaragua. Jedoch haben uns viele geteilte Ziele über Unterschiede im Denken und Handeln verbunden und getragen, wie bspw. die Kampagnen gegen Atomwaffen.
Putin-Russlands Krieg gegen die Ukraine aber macht Irrtümer und unvereinbare Positionen in der Friedensbewegung deutlicher denn je. Nur mühsam haben wir in den vergangenen Jahren die Probleme verdeckt, die sich 2014 im sogenannten „Friedenswinter“ zeigten. Die Debatten um die Annexion der Krim und ob es denn eine sei, setzen die Konflikte fort. Richtig gescheitert ist die Friedensbewegung, als sie das Eingreifen Russlands in den Syrienkrieg nicht skandalisierte, obwohl russische Truppen die furchtbaren Angriffe auf syrische Zivilist*innen flankierten oder durchführten. Die Doppelstandards, die wir oft zu Recht kritisieren, leben in der Friedensbewegung auch – nur spiegelverkehrt.
Putins geschichtsverfälschende Darstellungen und Unterstellungen des Nationalismus gegen die Ukraine höre ich auch aus manchem friedensbewegten Mund. Wie in der gesamten Gesellschaft hat die Debattenkultur auch in der Friedensbewegung gelitten. Die Herausforderung besteht darin, intern – also Friedensbewegte untereinander – eingeübte Analysen und Positionen auf den Prüfstand zu stellen. Die Anwürfe von außen und die allgemeine Atmosphäre der „Zeitenwende“ erschweren das. Aber wenn sie uns davon abhalten, scheitern wir wirklich.
Aus der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen
Thomas Rödl, Sprecher der DFG-VK Bayern
Die neuen Aufgaben sind die gleichen wie in der Vergangenheit: Friedliche Streitbeilegung, Beachtung des Völkerrechts, Interessenausgleich, Rüstungskontrolle und allgemeine Abrüstung. Diese Konzepte waren nie handlungsleitend für Regierungspolitik, vielmehr die tradierten militaristischen Konzepte wie „starker Staat“, Abschreckung, und auch mal Krieg führen, wenn es ansteht.
Neue Bedingungen
Der Krieg ist ein Anlass für die Nach-Weltkriegs-Generation, darüber nachzudenken, wofür es sich zu sterben lohnt und was es bedeutet, einen Krieg gewonnen zu haben.
Offensichtlich sind „wir“ jetzt Kriegspartei und wollen siegen! Ziel der Politik ist nicht Frieden und Rettung von Menschenleben, sondern die Durchsetzung der politischen Ziele: Eingliederung der Ukraine in den EU- und NATO-Machtblock, Schwächung Russlands, Vorbereitung der militärischen Rückeroberung der jetzt russischen Gebiete der Ukraine.
Politische Perspektive
Die Ukraine wird zerhackt und Europa wird wieder in zwei Machtblöcke geteilt, die Grenze wird irgendwo im Osten der Ukraine verlaufen, mit hunderttausenden Soldaten und evtl. hunderten taktischen Atomwaffen auf beiden Seiten. Es wird einige Jahrzehnte dauern, bis Bürger*innen und Politiker*innen verstehen, dass friedliche Koexistenz, Rüstungskontrolle und Abrüstung keine Belohnung für Wohlverhalten sind, sondern die Verhinderung eines weiteren Krieges in unserem eigenen Interesse liegt.
Aufgaben der Friedensbewegung
Wer oder was ist die Friedensbewegung? Welche Organisationen und Strukturen sind in 10 Jahren noch handlungsfähig? Aus meinem Verständnis von Pazifismus bleibt die Forderung nach einseitiger Abrüstung, ziviler und gewaltfreier Lösung von Konflikten, das heißt auch Vorbereitung auf soziale Verteidigung, richtig und notwendig. Mit den realpolitischen Forderungen, einzelnen „vernünftigen“ Kampagnen und Aktionen gegen Einzelerscheinungen des Militärsystems haben wir auch nichts erreicht.
Pazifismus muss sowohl die moralische Grundhaltung der Gewaltfreiheit als auch die daraus folgenden politischen Konzepte darstellen und vermitteln. Nur so können wir die – nach wie vor vorhandene - Antikriegshaltung in der Gesellschaft ansprechen und evtl. in einen politisch handelnden Pazifismus verwandeln.
Ein gestärkter organisierter Pazifismus kann in einer künftigen Friedensbewegung mitwirken, ohne die Werbung für die eigenen Grundpositionen aufzugeben.
Tommy Rödl macht darauf aufmerksam, dass es sich bei dem Text nicht um eine Erklärung des Landesverbandes der DFG-VK handelt.
IPPNW – Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e.V.
Dr. med. Angelika Claußen, Co-Vorsitzende der IPPNW
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verursacht unsägliches Leid, Tod und Verwüstung. Der Krieg stellt eine humanitäre Katastrophe dar – für die Bevölkerung der Ukraine, für die getöteten ukrainischen und russischen Soldaten, aber auch für andere Menschen weltweit. Mit den Folgen für die Nahrungsmittelversorgung besonders in vielen Ländern Ost- und Westafrikas, sind zusätzlich Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Der Krieg hat die schon vorher fragile Sicherheitsarchitektur in Europa zerstört.
Die Drohungen Putins mit einem Einsatz von Atomwaffen haben die Angst vor einem Atomkrieg wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt. Die massive Aufrüstungspolitik von Bundesregierung und NATO wird kaum kritisiert. Persönlichkeiten aus der Friedensbewegung werden als „Putinisten“ und Russlandversteher herabgewürdigt. Die Entspannungspolitik von Egon Bahr und Willy Brandt und die nachfolgende Annäherungspolitik an Russland, die vor allem Deutschland und Frankreich gezeigt hatten, seien verfehlt und naiv gewesen - Beschwichtigungspolitik. Russland sei aufgrund seiner geopolitischen Interessenspolitik nach außen und seiner autoritären, diktatorischen Innenpolitik nicht in ein System kooperativer Sicherheitspolitik zu integrieren.
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fasst ihre Haltung folgendermaßen zusammen: „Im Sturm des Krieges den Friedenskurs halten“. Sie fordert einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen über den zukünftigen Status der Krim und der Ostukraine. Sie spricht sich darüber hinaus für langfristige Verhandlungen über einen Friedensprozess aus, der die Sicherheitsbedürfnisse aller beteiligten Staaten einschließlich Russlands auf der Basis eines gemeinsamen Sicherheitskonzeptes berücksichtigt.
Kurzfristig fordert die IPPNW von Russland und den USA einen Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen. Beide Länder müssten die Atomwaffen aus der erhöhten Alarmbereitschaft nehmen (Siehe http://www.ippnw.eu/artikel/fa2db10b345d92180c9ec7b76b4c7f38/one-million...). Diese Maßnahme würde die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen reduzieren, der ganz Europa in den Abgrund führen könnte. Verhandlungen über übergeordnete, gemeinsame Ziele wie die Verhinderung eines Atomkriegs oder der Stopp der sich anbahnenden Hungerkrise weltweit könnten den Weg zu einem Waffenstillstand in der Ukraine bahnen.
Die Friedensbewegung auf diese übergeordneten Ziele zu fokussieren, den Krieg vom Ende her zu denken, und schon jetzt konkrete Teilziele für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur zu formulieren, wird der Friedensbewegung helfen, sich neu zu etablieren. Dabei müssen die Ziele der Klimabewegung mit einbezogen werden. Jeder Euro, der jetzt für Waffen, besonders Atomwaffen, und für Militarisierung in Europa ausgegeben wird, fehlt uns zur Lösung der Klima- und der Hungerkrise.
International Peace Bureau
Reiner Braun, Geschäftsführer des IPB
Die Friedensbewegung ist eine von Regierungen, Parlamenten und Parteien unabhängige Stimme, die eigenständig die politische Situation beurteilt und daraus die Konsequenzen für eine Friedenspolitik zieht – unabhängig und unbeeinflussbar.
Der Friedenslogik folgend müssen nicht nur Kriege, sondern auch Waffenlieferungen und Wirtschaftskriege (um nichts anderes handelt es sich bei den sogenannten Sanktionen) abgelehnt werden.
Es geht um eine Zivilisierung von Politik. Dabei ist und bleibt Abrüstung ein Kettenglied, denn nur so können die globalen Herausforderungen der Menschheit, besonders die Klimaveränderungen, angegangen werden.
Die Konfrontationspolitik der NATO schadet zurzeit den NATO-Ländern mehr als Russland. Der soziale Tsunami, der spätestens im Herbst auf uns zukommt, lässt die Zahlen des Paritätischen Armutsbericht 2022 von 16,6% Armen in Deutschland im Jahr 2021 schon jetzt zur Makulatur werden. Massiv steigende Verelendung und tägliches Sterben erleben wir schon jetzt in anderen Teilen der Welt. Die Folgen des Wirtschaftskrieges gegen Russland und teilweise gegen China führen in Verbindung mit den Klimaveränderungen zu dramatischer Ausweitung der Anzahl von Menschen, die hungrig zu Bett gehen, zur weiteren Verarmung, sowie zu sozialen Katastrophen in großen Teilen der Welt.
Ich erhoffe mir, dass wir in der Friedensbewegung in der Lage sind, unterschiedliche Sichtweisen und historische Herleitungen des Krieges Russlands gegen die Ukraine gemeinsam, solidarisch, kritisch und selbstkritisch zu bearbeiten.
Atomwaffen sind und bleiben die gefährlichsten Vernichtungsmittel, stellen sie doch den Planeten als Ort des Lebens in Fragen. Die Drohungen Putins, aber auch die Modernisierung aller Atomwaffen und die Erstschlagoption der NATO zeigen, dass wir gerade in dieser Konfrontationssituation immer wieder nahe vor einem Atomkrieg stehen. Eine Welt ohne Atomwaffen einigt uns.
Bei den Kernforderungen nach Waffenstillstand, Verhandlungen, Abzug der russischen Truppen, alles auf der Basis des italienischen Regierungsvorschlages, sind wir bei aller unterschiedlichen Betonung doch nahe beieinander. Die Forderung nach Ende aller Kriege überall auf der Welt verbindet uns.
Dies gilt auch, wenn wir über Alternativen auf der Grundlage der Politik der Gemeinsamen Sicherheit und einer umfassenden Abrüstung reden. Das NEIN zu der geradezu wahnwitzigen deutschen und NATO-Hochrüstung verbindet uns und sollte im Mittelpunkt gemeinsamer Aktionen stehen.
Über das, was wir uns in Zukunft an Aktionen zutrauen, werden wir sicher noch weiter diskutieren.
Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden
Jan Gildemeister, Geschäftsführer der AGDF
Der öffentliche Diskurs und die immense Aufrüstung in Folge des Ukraine-Krieges stellen Friedensinitiativen und -organisationen vor eine veränderte Situation:
Während bis Februar 2022 eine kritische Haltung zu Militäreinsätzen, Aufrüstung und Waffenlieferungen mehrheitsfähig schien, müssen sich kritische Stimmen seit Kriegsbeginn zunehmend rechtfertigen und erklären. „Friedenslogik“ sowie Konzepte und Instrumente der Zivilen Konfliktbearbeitung sind immer noch weitgehend unbekannt. Zugleich ist das Interesse an Friedensfragen deutlich gestiegen. Dies sollte Konsequenzen für die (besser abzustimmende) Medienarbeit und die stärker auszubauende Friedensbildung haben. Partner dafür sind u.a. die Plattform ZKB, das Konsortium ZFD, das Netzwerk Friedensbildung, aber auch Friedensforschung und Akademien.
Die stark von Emotionen und Schwarz-weiß-Bildern bestimmte öffentliche Diskussion erschwert es, Grenzen und (unerwünschte) Folgen militärischer Gewalt und entsprechender Konzepte zu thematisieren. Ansatzpunkte für die Friedensbewegung bieten Diskursprozesse zum Afghanistaneinsatz und zur nationalen Sicherheitsstrategie – aber auch die Debatte, wofür der Bund Mittel verwenden soll. Hierbei bietet sich eine verstärkte Zusammenarbeit mit Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Campact an – aufbauend auf das Demo-Bündnis vom Frühjahr. Wichtig ist auch, den internationalen Austausch fortzuführen.
Gefragt ist in jedem Fall eine verbesserte Diskursfähigkeit der Friedensbewegung. Die Komplexität von Konflikten muss wahrgenommen und bei öffentlichen Äußerungen berücksichtigt, auf einfache Erklärungen sollte verzichtet werden. Wir haben uns großteils bei der Einschätzung der russischen Politik geirrt und die Perspektiven der Anrainerstaaten vielfach ignoriert – dies bedeutet aber nicht, dass Grunderkenntnisse aufgegeben werden müssen.
Wissend, dass Parteien und Medien für unsere Anliegen weniger offen sind und Kampagnen es schwer haben – an den Themen Militärausgaben und -einsätze, Atomwaffenverbot und Rüstungsexportkontrolle sollten wir dranbleiben.
Längerfristig bietet das insgesamt gewachsene Interesse an „unseren Themen“ auf allen Ebenen auch Chancen, die wir am besten dann nutzen, wenn wir nicht als „Besserwissende“ auftreten oder gesehen werden und die Vielfalt an unterschiedlichen Positionen und Zugängen innerhalb der Initiativen und Organisationen wertschätzend nutzen.