Stolperstein Militärintervention

von Howard Clark
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Einige Antikriegsgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien, besonders beide Friedensgruppen aus Sarajewo fordern seit einiger Zeit eine mili­tärische Intervention durch UNO oder NATO in Bosnien-Herzegowina, um die Angriffe der serbischen Truppen zu stoppen und die  Versor­gung mit Lebensmitteln und Medikamenten  zu ermöglichen. Im folgen­den Beitrag geht es um die Wahrscheinlichkeit und die möglichen Konsequenzen einer Militärinterven­tion

Seit Juli 1991 war Sarajewo der Schau­platz einiger bewundernswerter Friedens­demonstrationen: Menschen rollten Ta­petenpapier auf den Straßen aus und schrieben ihre Botschaften der Hoff­nung darauf; ökumenische Gottesdienste von Juden und Moslems, Orthodoxen und Katholiken wurden organisiert; große Friedenskonzerte fanden statt; un­abhängige und zuverlässige Nachrich­tensendungen wurden verbreitet.

Implizit war jedoch immer in der Frie­denspolitik der Regierung wie der Frie­densbewegung Bosnien-Herzegowinas der Ruf nach größerer internationaler Einmischung gewesen, nach einer Lö­sung, die von außen gebracht und wenn nötig erzwungen werden sollte. In den letzten Wochen wurden diese Rufe ver­zweifelter und weniger präzise: Sie for­derten eine militärische Intervention unter egal welchem Träger, der bereit war, sie zu unternehmen und mit Zielen, die von der Begleitung von Hilfsgüter­transporten  bis zur Entwaffnung der pa­ramilitärischen Truppen gingen.

"Wenn wir nur Öl hätten..."

"Wenn wir nur Öl hätten", klagen man­che Bosniaken, wie die Kroaten vor ih­nen, "würde die Welt sich nicht so draußen halten". Und es ist wahr, daß es dort keine Machtinteressen gibt, die verteidigt werden müßten und keine Stimmen durch so etwas wie einen "Balkanischen Wüstensturm" gewonnen werden können. Doch es ist genauso wahr, daß es schwerwiegende militäri­sche Gründe gibt, sehr vorsichtig mit der Möglichkeit einer Intervention um­zugehen. Als ein Pazifist erlebe ich Zeiten, wenn ich nicht sicher bin, was in einer Situation zu tun ist, Zeiten, in denen ich mich an einige Grundwahr­heiten erinnere:

*     JEDE Anwendung militärischer Ge­walt - egal wie beschränkt sie sein soll - schafft eine unterschiedliche Logik, bietet eine Begründung für weitere, weniger beschränkte An­wendung zusätzlicher militärischer Gewalt. Was als einer kleiner Schritt gemacht wird, auf den ersten Blick mit der Wahrscheinlichkeit, daß so Leben gerettet werden, entpuppt sich als die Überquerung einer Linie.

*     JEDE Entscheidung, militärische Gewalt anzuwenden, stärkt die all­gemeine Rechtfertigung militärischer Lösungen. Doch in dem Kontext des heutigen ehemaligen Jugoslawiens können sich PazifistInnen in Über­einstimmung mit einigen hardlinern bei den Militärstrategen und zyni­schen Politikern wiederfinden. Es ist 23 Jahre her, seit die Bürgerrechts­bewegung in Nordirland Hoffnung auf die Intervention der Britischen Regierung setzte, um Bürgerrechte in Nordirland einzuführen und den Schutz britischer Truppen gegen An­griffe der Loyalisten willkommen hieß. Heute ist es eine Erleichterung, Mitglieder der britischen Regierung, die keine Absicht hat, diese Truppen zurückzuziehen, vor den Gefahren warnen zu hören, Truppen nach Bos­nien zu schicken.

Die Interessen der Regierungen

Die Interessen der Regierungen liegen ganz klar woanders. Sie sind weniger durch den Drang motiviert, die Un­schuldigen zu beschützen oder Men­schenrechte zu sichern denn durch den Wunsch nach Stabilität und der Siche­rung ihrer eigenen Interessen. Man braucht nur die Kurden oder Schiiten im Irak zu fragen. Das gleiche geschah in Jugoslawien: Es fing damit  an, daß die Hoffnungen auf Premierminister Mar­kovic' unseelige Versuche gesetzt wur­den, die Auflösung zu verhindern und ging bis zu ihrer späteren Stück-für-Stück-Anerkennung der unabhängigen Republiken. Sollte es eine größere UN-Intervention militärischer Art (im Ge­gensatz zu friedensbewahrenden Einsät­zen) in Bosnien-Herzegowina geben, dann wird sie wahrscheinlich diesem gleichen Kurs folgen: den Druck der Er­eignisse nachgeben, wenn es zu spät ist, ihren Lauf zu ändern. Vielleicht könnte dies dadurch geschehen, daß die Ver­einten Nationen zunächst die Anwen­dung von "minimaler Gewalt" für einen speziellen Zweck gutheißen, aber dann Schritt für Schritt die Definition aus­weiten, was als minimale Gewalt gilt, sobald mehr Truppen in die Auseinan­dersetzungen verwickelt werden und die Polizeiaktion zu Krieg wird. Dies wäre z.B. die Gefahr, wenn die Kräfte, die jetzt geschickt werden, um den Flugha­fen von Sarajevo zu schützen, angegrif­fen werden und anstelle sich zurückzuziehen, verstärkt werden. Oder wenn militärische Drohungen, die gemacht werden, um Sanktionen gegen Serbien und Montenegro abzusichern, nur durch eine reale Demonstration militärischer Macht glaubhaft gemacht werden kön­nen.

Diejenigen von uns, die außerhalb der Situation leben, haben eine beschränkte Rolle. Unsere erste Aufgabe ist, zuzuhö­ren und weiterzugeben, was wir hören. Aber wir sind nicht verpflichtet, zuzu­stimmen und, bei der Frage einer Militä­rintervention, würden wir unsere Arbeit für die Demilitarisierung  unserer eige­nen Gesellschaften unterlaufen, wenn wir nicht öffentlich Widerspruch erhe­ben würden. Gleichzeitig haben wir eine Pflicht gegenüber der wachsenden Zahl von Menschen im früheren Jugoslawien, die nach Mitteln der gewaltfreien Ak­tion suchen. Ob es Kriegsdienstverwei­gerung in Serbien ist oder die Arbeit, Elemente von Konfliktlösung in Wie­deransiedlungs- und Wiederaufbaupro­gramme in Kroatien einzuführen, die Arbeit für einen andauernden Frieden beruht immer auf Schritten, die Men­schen in ihrem Alltag tun.

 

Der hier in Auszügen übersetzte Artikel erscheint in voller Länge in der kommenden Aus­gabe der Peace News. Diese Zeitschrift wird von den  War Resisters Internatio­nal herausgegeben und kann ebendort, Dawes Street 55, London SE17 1EL, Großbritannien bestellt werden.

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Krisen und Kriege
Howard Clark ist Vorsitzender der War Resisters International und u.a. Autor des Buches “Civil Resistance in Kosovo” (2000, London: Pluto-Press).