Strategie und Taktik für die neunziger Jahre

von Meg Berresford

Jedesmal, wenn ich über die Zukunft von CND nachdenke, muß ich feststellen, daß ich meine Gedanken zu erneuern habe, Die außergewöhnlichen und bewegenden Ereignisse der letzten Zeit wie die Durchbrüche in der Berliner Mauer, die großartigen Demonstrationen, daß sich Millionen hin- und her bewegen, bedeuten, daß der große Traum der Friedensbewegung - die Zerstörung der Militärblöcke - Realität zu werden scheint.

Gorbatschow hat den Prozeß dahin eingeleitet, den kalten Krieg zu beenden. Alle Kommentatoren meinen, daß dies nicht wieder zurückgeschraubt werden kann. Mein Freund Zdena Tomin (früher Sprecher der Charta 77, er lebt jetzt in Großbritannien) beschreibt dies als das “mausartige" Wirken der Friedensbewegung, die über viele Jahre an den Elementen, die den Kontinent geteilt haben, genagt und das Gebäude zum Einstürzen gebracht hat.

Neue Feindbilder
Aber die Symptome des Kalten Krieges -' die Nuklearwaffen, die sowohl von der NATO als auch vom Warschauer Vertrag aufgebaut sind - erinnern uns daran: Westliche Führer in der .EG und in der NATO und auch britische Politiker halten an überholten Strategierı fest; argumentieren beständig für die Notwendigkeit neuer “modernisierter“ Waffen, für die Notwendigkeit zur Vorsicht, für Verhandlungen aus einer Position der Stärke. Caspar Weinberger betonte in einer Rede in Leeds vor kurzem, daß sich die Dinge im Osten zu wandeln scheinen, aber die Ideologie unverändert sei. Britische Politiker suchen nach neuen Feindbildern - dem Geist deutscher Wiedervereinigung und eines vierten Reiches oder unberechenbaren Nuklearmächten im mittleren Osten. Sie ignorieren den Fakt, daß die Wiedervereinigung nicht sehr bald auf der politischen Tagesordnung der beiden deutschen Staaten stehen wird und Entscheidungen über ihre weiterreichende Zukunft die eigene Angelegenheit der beiden deutschen Staaten ist. Und sie ignorieren, daß Nuklearwaffen keinen Schutz gegen irrational handelnde Menschen bieten.

Was jetzt vom Westen notwendig ist, ist eine positive Erwiderung auf die dramatischen Ereignisse der letzten Monate. Das erfordert reale statt propagandistische Angebote zur Kürzung der Militärhaushalte und -arsenale, Vereinbarungen zum 'Verzicht auf die "Modernisierung" sowohl der atomaren Kurzstreckenraketen in Westdeutschland als auch der zusätzlichen Cruise Missles auf Schiffen und Flugzeugen (FRAM-T, F-111 und britische Trident). Großbritannien und Frankreich müssen an der realen Abrüstung teilhaben, entweder durch eigenständige Reduzierungen oder durch das Einbringen ihrer Waffen in den START-Prozeß.

Veränderte Aufgaben
Auch die Friedensbewegung muß ihren Zeitplan und ihre Taktik überdenken. Der INF-Vertrag hat offenkundig in der Öffentlichkeit zu der Einsicht geführt, daß ein Atomkrieg nicht unmittelbar zu befürchten ist. Die Risiken eines Krieges durch Unfälle, sei es durch technologische Fehler, menschliches Versagen oder durch die extreme Anhäufung von Atomwaffen, sind durch die beiden Unfälle mit der Challenger und in Tschernobyl ausreichend verdeutlicht und in Erinnerung gerufen worden. Aber die öffentliche Wahrnehmung hat sich verändert. Ende der achtziger Jahre verschieben sich die Hauptbefürchtungen mehr und mehr vom Atomkrieg zur Urnweltkatastrophe.

Parlamentarische Lobbyarbeit
Zuallererst müssen wir unseren Druck auf den politischen Prozeß fortsetzen, durch Lobbyarbeit in nationalen Parlaınenten und - als Herausforderung für 1992 - auf das Europäische Parlament. Die' britische Wirtschaft entspricht ganz und gar nicht den geschönten Darstellungen der Thatcher-Regierung. Sie leidet unter hohen Zinssätzen und unter der schweren Last der Haushaltsdefizite. Am besten läßt sich deshalb unsere Verteidigungspolitik mit wirtschaftlichen Argumenten angreifen. Der Parteitag der Labour-Partei hat zwar für eine Rückkehr zum Atlantismus in der Verteidigungspolitík plädiert, aber er hat sich auch mit einer Zweidrittel-Mehrheit für eine Reduzierung der Verteidigungsausgaben auf das Niveau der anderen europäischen Verbündeten ausgesprochen. Zweifellos können nicht gleichzeitig Sozialausgaben für Gesundheit, Wohnungsbau, Erziehung usw. und ein hohes Niveau von Militärausgaben wie unter den Konservativen finanziert werden. Wenn sie vor die Wahl gestellt werden, werden sich die britischen Menschen eindeutig für Sozialleistungen aussprechen; zum Teil auch deshalb, weil sie nicht länger Angst vor der “Bedrohung aus dem Osten" haben. Wenn die gesamte NATO ihre Rüstungsausgaben kürzen würde, entstände einerseits der Spielraum für- Hilfe, andererseits würden gleichartige Kürzungen in den WVO-Staaten angestoßen, besonders in der Sowjetunion und in Polen. Das konstruktivste Hilfsprojekt des Westens wäre die Streichung der Schulden sowohl für Osteuropa wie auch für die sich entwickelnde Welt.

Umwelt
Die Friedensbewegung muß sich außerdem mehr in die Umweltdebatte einschalten. Wie der Brundtland-Report aussagt, sind Atomwaffen und die Gefahren eines Atomkriegs nachweislich die größten Gefährdungen für die Umwelt. In unserem kleinen Land ist ähnlich wie in der Bundesrepublik eine hohe Dichte von Atomwaffen und - einrichtungen zu verzeichnen. Die britische Regierung befürwortet auch den Import von Atommüll zu Wiederaufarbeitung aus solchen Ländern, in denen die Bevölkerung sich dagegen ausspricht.

In den letzten zwei Jahren ist die Aufmerksamkeit in Großbritannien für Umweltprobleme stark angestiegen - wegen des Treibhauseffektes, dem sauren Regen und der Zerstörung der tropischen Wälder sowie durch die Verschmutzung der Lebensmittel und des Wassers. Viele Menschen sind bereit, sich den Gefahren zu stellen, und wollen ihren Teil dazu beitragen, die Krise zu meistern. Zu keiner Zeit ist jedoch in der Diskussion der Medien oder in den Veröffentlichungen der Umweltgruppen oder in der Politik der politischen Parteien beachtet worden, daß  es - so auch der Brundtland-Report – ohne Überwindung der "Waffenkultur" keine Lösung geben wird. Solange wir mit der Verschwendung unserer Ressourcen - von Geldern ebenso wie von wissenschaftlicher Forschung – für Militärtechnologien im bisherigen Ausmaß fortfahren, wird es einfach nicht das Geld oder den Sachverstand zur Lösung der globalen Umwelt- und sozialen Probleme geben. Es ist nicht mit den Augen zu sehen, und doch gilt dies für die erste und dritte Welt ebenso wie für Ost- und Westeuropa. Solange die entwikkelten Waffenhandelsnationen wie Großbritannien und Schweden, die USA und die Sowjetunion, den Verkauf ihrer Waffen durch "Entwicklungshilfe" für sich entwikkelnde Länder befördern, werden deren lährnende Schulden weiter ansteigen, wofür sie Geld auftreiben müssen statt sich um die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zu kümmern, d.h. "Kanonen statt Butter" und weitere Abholzung ihrer Regenwälder usw.

Visionen
Taktisch ist die Friedensbewegung gefordert, weniger Massendemonstrationen als Lobbyarbeit zu machen – bei Kirchen, Politikern, Gewerkschaften - und ihre Aufmerksamkeit auf das europäische Parlament ebenso wie auf die nationalen Parlamente zu konzentrieren. Die Verbreitung ihrer Botschaften muß auf einer niedrigeren Ebene ansetzen, z.B. durch Leserbriefe in lokalen oder nationalen Zeitungen und durch die Beeinflussung von Meinungsführern. Sie muß sich verbinden und zusammen wirken mit Umwelt- und "3. Welt"-Bewegungen, wo immer es Interessenüberschneidungen  gibt, um so positive Programme zu verbreiten, die unsere Vision der "Einen Welt" veranschaulichen.

Übersetzung: Gregor Witt

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Meg Berresford arbeitet in der Campaign for Nuclear Disarmemeııt (CND)