Buchbesprechung

Streitbare Frauen gegen den Krieg

von Claudia Seifert

Die Todesstrafe wird nun weltweit geächtet, die Vision einer Welt ohne Krieg gilt weiterhin als naiv. Die Frauen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) scheuen den Vorwurf nicht, Traumtänzerinnen zu sein. 100 Jahre lang gaben sie nicht auf und bekamen oft Recht – etwa indem die UNO gegründet wurde oder der internationale Gerichtshof in Den Haag, was sie bereits 1915 gefordert hatten. Anlässlich des Jubiläums gab die deutsche Sektion der ältesten internationalen Frauenfriedensorganisation eine Broschüre mit dem Titel „Frauen. Freiheit. Frieden. 100 Jahre Women’s International League for Peace and Freedom“ heraus.

Es waren Visionärinnen, die sich weltweit für Frieden und Freiheit engagierten, Petitionen formulierten, Kampagnen oder Demonstrationen organisierten und Aktionen stemmten wie den Peace Train von Helsinki nach Beijing zur Weltfrauenkonferenz 1995 mit etwa 240 Frauen aus 42 Ländern an Bord.

Bei der ersten Haager Friedenskonferenz 1899 waren Frauen nicht zugelassen, hatten jedoch in den Monaten zuvor in Europa, Asien und Amerikas Kundgebungen mit hunderttausenden von Frauen organisiert und Millionen von Unterschriften für Abrüstung auf der ganzen Welt gesammelt. Die Schriftstellerin Bertha von Suttner („Die Waffen nieder!“) zählte zur wichtigsten Stimme der internationalen Friedensbewegung. Die Ergebnisse der Konferenz enttäuschten: Die Delegierten konnten sich nicht auf Rüstungsbeschränkungen verständigen.

Um die Jahrhundertwende waren die Frauen selbstbewusster geworden und vernetzten sich in Stimmrechts- und Frauenvereinigungen sowie in Friedensgesellschaften. Mitten im Krieg, Ende April 1915, trafen sich in Den Haag über 1.000 Frauen, Delegierte und wenige hundert Journalistinnen aus Europa und Amerika. (Bertha von Suttner war kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs verstorben.) Aus diesem Kongress ging die WILPF/ IFFF hervor. Die Frauen forderten die sofortige Beendigung des Krieges, die Vermittlung neutraler Länder, ein internationales Schiedsgericht, einen internationalen Völkerbund sowie die Gleichberechtigung.

Der Internationale Gerichtshof wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, ebenso die Vereinten Nationen. Die IFFF erhielt als eine der ersten Nicht-Regierungsorganisationen Beraterstatus bei der UNO und den Unterorganisationen UNESCO, der Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD, Sonderstatus bei der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO. Drei Friedensnobelpreisträgerinnen gingen aus ihren Reihen hervor, z.B. Jane Addams (1860-1935), die erste Präsidentin der IFFF. Für sie war die Friedensfrage nicht ohne die soziale und die Frauenfrage denkbar. Ihre deutschen Mitinitiatorinnen waren die Münchner Juristin (übrigens die erste promovierte Juristin Deutschlands) Anita Augspurg (1857-1943) und ihre Partnerin, die aus Hamburg stammende Sozialpolitikerin Lida Heymann (1868-1943). Die radikalen Frauenrechtlerinnen machten sich entschieden für die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen stark. Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs mobilisierte weltweit etwa 50.000 Frauen, sich in 23 Ländern für Frieden zu engagieren. In Deutschland verzeichnete die IFFF in den 1920er Jahren den Höchststand von etwa 2.000 Mitgliedern. Während der Nazizeit wurde die Organisation verboten, viele Mitglieder wurden verfolgt und mussten fliehen.

Nach dem Krieg wurde Friedenspolitik in der Bundesrepublik mit kommunistischem Aufruhr gleichgesetzt, die Ligafrauen standen unter polizeilicher Beobachtung, in Bayern bis ins Jahr 1967. Sie wurden mit Berufsverboten belegt oder wie die Münchnerin Edith Hoereth-Menge wegen ihres Engagements gegen die Atomwaffen 1952 nach 30 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgeschlossen, oder mit Entlassung bedroht, wenn sie nicht „abschworen“, wie die Soziologin Eleonore Romberg Ende der 70er Jahre als Professorin einer katholischen Hochschule. In der DDR wiederum galt die Liga als überholtes Relikt der kapitalistischen Gesellschaft. Trotz aller Widerstände stellten sich die Ligafrauen gegen die Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik, erinnerten an die Atombomben in Hiroshima und agitierten gegen den Vietnam-Krieg. Mit den Notstandsgesetzen und der 68er-Bewegung rückten Frauenthemen wieder stärker in den Mittelpunkt: Die sexuelle Aufklärung und Emanzipation, die Abschaffung der §175 und 218  und die politische Gleichstellung der Frau.

Mit der Verlagerung der weltpolitischen Krisenherde veränderte sich die Arbeit der Ligafrauen. Sie machten sich international stark für Entwicklungspolitik, engagierten sich gegen die Atombewaffnung und das Wettrüsten in den 1980er Jahren, diskutierten die Legitimität der Befreiungsbewegungen in Südamerika, die sie letztlich aufgrund der Erfahrungen deutscher Ligafrauen in der Nazizeit befürworteten. Allgemein gesellschaftliche Themen beschäftigen die Liga stets mit dem besonderen Blick auf die Frauen, etwa wenn es um Frauenhandel geht, die sexualisierte Gewalt in Konfliktgebieten oder die besondere Situation von Frauen auf der Flucht.

Die Lobbyarbeit führte im Jahr 2000 zu einer Resolution des UN-Sicherheitsrats, die die Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten zum ersten Mal zur Sicherheitsfrage erklärt und fordert, Frauen gleichberechtigt am Friedensprozess zu  beteiligen - auch dies ein später Erfolg, obgleich die konkrete Umsetzung noch auf sich warten lässt. In Kriegszeiten gegründet, hat die Liga über die Jahrzehnte ihre Existenzberechtigung nie verloren  - leider!

 

Frauen. Freiheit. Frieden. 100 Jahre Women’s International League for Peace and Freedom WILPF, von. Brigitte Schuchard u.a., Hrsg. IFFF München, 2015,  ISBN 978-3-86386-841-3, 200 S. 19,80 Euro.

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