Streitschlichtung an Schulen: Eine Erfolgsgeschichte!?

von Detlef Beck

Seit 2003 organisieren der Bund für Soziale Verteidigung, die Stiftung Mitarbeit, das Bildungswerk Umbruch und die Thonias-Morus-Akademie jährlich einen bundesweiten Streitschlichtungskongress. Im 2-jährigen Wechsel wurden die Kongresse für die Streitschlichterinnen der Schulen einerseits und für die Pädagoginnen und Multiplikatorlnnen im Bereich der Schulmediation andererseits ausgerichtet. Die Kongresse für Schülerinnen, die vom Bundesministerium für Familie und Jugend gefördert wurden, führten Streitschlichterinnen aus allen 16 Bundesländern und aus den verschiedensten Schulformen zusammen. Vor allem die Erfahrungen, Fragen, Probleme sowie persönliche Begegnungen im Rahmen dieser Kongresse bilden den Hintergrund für die nachstehenden Skizzen zu einigen Aspekten der Streitschlichtung an Schulen.

Wie bringt man die Verbreitung von Streitschlichtungsprojekten voran?
Aus einem Zwischenbericht der Evaluation von Mediationsprogrammen an Schulen geht hervor, dass Streitschlichtung insbesondere in Grund- bzw. Volksschulen, Gymnasien, Haupt-, Real- und Gesamtschulen Fuß gefasst hat. Danach liegt der Verbreitungsgrad von Streitschlichtungsprogrammen in den genannten Schulformen bundesweit zwischen ca. 8% und 18%. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass aus der von den Evaluationsinstituten durchgeführten quantitativen Bestandsanalyse jedoch keine Schlüsse über die Verbreitung von Schulmediation insgesamt gezogen werden können. Insoweit bleibt zunächst offen, in wie vielen und welchen Schulen das Streitschlichtungsmodell als konstruktives Verfahren einer Konfliktbearbeitung angewendet wird. Meine subjektive Vermutung war bislang, dass die Verbreitung der Mediation an Schulen weitaus höher liegen würde. Sollten sich die Zahlen in einer weiteren Evaluation doch als repräsentativ herausstellen, hieße das, dass das die Integration des neuen Konfliktbearbeitungsverfahrens in den schulischen Alltag langsamer voranschreitet als von mir bisher angenommen.
Was wir in Nordrhein-Westfalen bei den Trägerorganisationen und Kooperationspartnern des Kongresses in den vergangenen Jahren wahrnehmen konnten ist ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von öffentlichen Fördermitteln und der Nachfrage nach Ausbildungen von Schülerinnen als Streitschlichterinnen. Die „Länderbilder" im genannten Evaluationsbericht erlauben aus meiner Sicht den vorsichtigen Schluss, dass dieser Zusammenhang auch in anderen Bundesländern gesehen werden kann. Soweit also Mediation in der Schule als sinnvolles und wertvolles Element einer konstruktiven Konfliktkultur in der Schule angesehen wird, kann mehr als bisher erreicht werden, wenn seitens der öffentlichen Hand auch ordentlich investiert wird.

Was braucht es für eine erfolgreiche Implementierung von Streitschlichtung an Schulen?
Die Praxis der Streitschlichtungsmodelle ist vielfältig und unterschiedlich. So sind die einen inzwischen etabliert und arbeiten seit Jahren mit Erfolg, während andere mit Akzeptanzproblemen kämpfen und auf relativ wenig Resonanz von Schülerinnen und Schüler treffen. Wie wir als ein Ergebnis der Streitschlichtungskongresse erarbeiten konnten, hängt die erfolgreiche Verankerung von Streitschlichtungsprogrammen in der Schule von mehreren Komponenten ab. Zunehmend kommt die Integration konstruktiver Konfliktbearbeitungsweisen in allen Bereichen der Schule in den Blick. Dort, wo Streitschlichtungsprojekte erfolgreich sind, gelingt dies offensichtlich, weil vor allem drei Bereiche bei der Implementierung von Streitschlichtungsprogrammen ausreichend berücksichtigt werden (konnten):

  • Akzeptanz des Streitschlichtungsverfahrens von Schülerinnen, Eltern, Lehrkräften, Schulsozialarbeiterlnnen, kurz von allen an der Schule beschäftigten, engagierten und mit der Schule verbundenen Personen,
  • ausreichende Ressourcen für Schulmediation und
  • Integration der Streitschlichtung im schulischen System

Komponenten zur Förderung von Akzeptanz für Streitschlichtung bei Schülerinnen, Eltern, Lehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen, allen an der Schule beschäftigten und mit ihr verbundenen Personen

  • Informationen in Klassen, auf Elternabenden, für Schülervertretungen, in Konferenzen, in der Presse und Schülerzeitungen, ...
  •  Beteiligung an Entwicklung und Implementierung des Streitschlichtungsmodells;
  • Öffentliche Wertschätzung der Arbeit der Streitschlichterinnen;
  • Trainings in Klassen zur sozialen Kompetenz bzw. zur konstruktiven Konfliktaustragung;
  • Weiterbildung für Lehrkräfte/ Sozialarbeiterinnen / Sozialpädagoginnen / Eltern über Methoden und Wege konstruktive Konfliktbearbeitung;
  • Beteiligung erfahrener Streitschlichterinnen an der Ausbildung von neuen Streitschlichtergenerationen:

Komponenten für eine umfassende Ressourcenausstattung von Schulmediation sind:

  • ausreichende Stundendeputate von Lehrkräften / Sozialarbeiterinnen / Sozialpädagoginnen zur Betreuung und, soweit nicht auf externe Trainer zurückgegriffen wird, ebenso für die Ausbildung von Streitschlichterinnen;
  • ansprechende Räume für Streitschlichtungen;
  • Ressourcen für die Aus- und Fortbildung der Streitschlichterinnen (auch außerhalb schulischer Räume);
  • fundierte Ausbildung einiger Lehrkräfte/ Sozialarbeiterinnen/ Sozialpädagoginnen in Mediation;
  • Grundausbildung eines größeren Teils des Kollegiums in Mediation.

Komponenten für Integration der Streitschlichtung im schulischen System:

  • Förderung einer Konfliktkultur des Interessenausgleichs durch eine grundsätzliche Auseinandersetzung und Klärung, wie auftretende Konflikte bearbeitet werden sollen (Konfliktmanagementsystem);
  • Konfliktanalyse: Welche erfolgreichen Konfliktlösungsverfahren werden bereits angewandt und Erfassung des noch offenen Bedarfs;
  • Verankerung der Mediation im Schulprogramm;
  • Kooperation / Vernetzung mit anderen Institutionen zur Bearbeitung von Konflikten, die nicht allein in der Schule gelöst werden können.

Wie werden Streitschlichterinnen an Schulen ausgebildet?
Die Art und Weise, wie Streitschlichterinnen an den Schulen ausgebildet werden, variiert nach unseren Informationen stark. So gibt es Blockausbildungen zwischen 30 und 40 Stunden oder das Modell eines Ausbildungswochenendes zu Beginn oder am Ende der Ausbildung plus eine ein halbes Jahr wöchentlich zwei Unterrichtungsstunden umfassende Schulung oder eine über ein Schuljahr gehende Ausbildung von 14-tägig zwei Stunden, eine 3-tägige Grundausbildungen plus wöchentliche 1-stündige weitere Unterrichtung usw.
Nicht an allen Schulen werden die ausgebildeten StreitschlichterInnen regelmäßig betreut. Andererseits reicht die Betreuung und Begleitung von einem monatlichen Treffen (ergänzt um Bedarfstreffen) bis zu 2 bis4 Treffen im Monat zu Supervision und Fallbesprechung.
In der Mehrzahl bilden Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen die Streitschlichterinnen für ihre Schulen selbst aus. Externe Trainer werden nur noch selten zur Ausbildung herangezogen.

Wer wird eigentlich Streitschlichterin?
Wir haben zwar keine repräsentativen Daten in Bezug auf diese Fragestellung, jedoch interessante Antworten der teilnehmenden Schulen am Kongress 2005: In den Gymnasien überwiegt die Anzahl der Mädchen, die sich zu Streitschlichterinnen ausbilden lassen, wobei im Gegensatz zu früheren Jahren die Zahl der teilnehmenden Jungen ansteigt und inzwischen zum Teil 40% eines Ausbildungsjahrganges ausmacht .. Schülerinnen mit Migrationshintergrund sind selten dabei - vermutlich weit ihre Zahl an Gymnasien auch relativ gering ist. In den befragten Realschulen, erweiterten Realschulen und in Gesamtschulen ist das Bild gemischt: Mal agieren überwiegend Mädchen als Streitschlichterin, mal gibt es ein ausgewogenen Verhältnis von Jungen und Mädchen, wobei in einer Gesamtschule die Streitschlichterinnen die Schülerschaft in ihrer Heterogenität bezogen auf Geschlecht und Herkunftshintergrund vertreten. In den vertretenen Hauptschulen überwiegen in mehreren Fällen die männlichen Streitschlichter, wobei bis zu 90 % der Schüler und Schülerinnen einen Migrationshintergrund aufweisen. In den unterschiedlich verbundenen/integrierten Grund-, Haupt-, Realschulen ist das Bild im Blick auf die Geschlechter gemischt, mal mehr Mädchen, mal mehr Jungen, mal ausgewogen, wobei in mehreren Fällen ein Migrationshintergrund der Streitschlichtenden als zwischen 20 % und 50 % liegend angegeben wird.

Wie gefragt sind Streitschlichtungen von den Schülerinnen?
Auch hier bilden die Erfahrungen der teilnehmenden Schulen des letzten Kongresses die Basis für einen Einblick in die Praxis der Streitschlichtung, die allerdings von denen der Schulen, die an den vorhergehenden Kongressen teilgenommen haben aus unserer Wahrnehmung nicht abweichen. In den Hauptschulen, Grund- und Hauptschulen und Haupt-und Realschulen wird die Streitschlichtung in der Regel häufig in Anspruch genommen: 2 bis 3 Schlichtungen die Woche oder sogar 10 Schlichtungen die Woche werden nachgefragt und durchgeführt. Realschulen berichten aus ihrer Sicht von einer eher schwachen Resonanz bis hin zu 2 Streitschlichtungen die Woche, was im Schuljahr immerhin auch 50 bis 60, Streitschlichtungen bedeutet. Schulen, die von einer geringen Zahl oder abnehmenden Tendenz berichten, sehen die Ursache dafür in nicht ausreichender Unterstützung der Streitschlichtung in der Schule.

Woher kommt der Impuls, im Streitfall Streitschlichterinnen in Anspruch zu nehmen?
Hier sind die Antworten aus der Praxis recht eindeutig: In der Mehrzahl der Fälle werden die Streitparteien von den Lehrerinnen oder Sozialpädagoginnen/-arbeiterinnen in die Streichschlichtung „geschickt", bzw. sie kommen auf Anraten oder Empfehlung. Dieses „Schicken", ,,Anraten", Empfehlen" vollzieht sich jedoch letztlich auf Basis freiwilliger Zustimmung der betreffenden Schülerinnen. Dies bedeutet, dass nur in relativ wenigen Fällen die Schüler Innen von selbst" kommen und der Impuls vielfach bis überwiegend von den pädagogischen Kräften ausgeht.
Die oben dargestellten Punkte geben einen kleinen Einblick in einige Bereiche der Praxis der Streitschlichtung an Schulen, so wie ihn die damit befassten Schülerinnen, Pädagoginnen und Ausbilder/Trainerinnen von Streitschlichterinnen - soweit sie an den Streitschlichtungskongressen teilgenommen haben – wahrnehmen und erleben.
Darüber haben sich aus Diskussionen, kritischen Anfragen und Gesprächen eine Reihe von Thesen und Fragen zur Streitschlichtung ergeben, die deutlich machen, dass der Entwicklungsprozess der Streitschlichtungsmodelle als Teil eines schulischen konstruktiven Konfliktmanagements nicht abgeschlossen ist, sondern das Engagement, Unterstützung und Ressourcen aller Beteiligten auch weiterhin benötigt werden.

Thesen und Fragen

  • Die Ausbildung von StreitschlichterInnen wird mehr und mehr oder vorwiegend schulintern, d.h, durch Lehrerinnen und Schulsozialpädagoginnen durchgeführt. Das Engagement externer Trainerinnen ist inzwischen die Ausnahme. Dies basiert u.a. darauf, dass sich eine Vielzahl von Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen im Bereich der Mediation qualifiziert haben.
  • Die Streitschlichterausbildung hat für die Schülerinnen einen Wert an sich - die Ausbildungsnachfrage übersteigt in der Regel die Ausbildungsressourcen oder den Bedarf an Streitschlichterinnen.
  • Das Aufgabenfeld der Streitschlichterinnen hat sich erweitert. Über die Streitschlichtungsfunktion hinaus sind sie als Paten, als Trainer im Be-reich sozialer Kompetenz, in der Ausbildung nachkommender Konfliktschlichterinnen und als Konfliktmanager in eskalierenden Konflikten auf dem Schulhoftätig.

Dies stellt erhöhte Anforderung an die Qualifizierung der Schülerinnen. Entsprechend existieren an einigen Schulen bereits modulare über mehrere Jahre gehende Ausbildungskonzepte.

  • Schwierigkeiten in der Streitschlichtungspraxis bereitet die Mediation von Konflikten in Gruppen bzw. Gruppen. Hier gibt es einen hohen Fortbildungsbedarf sowohl auf Seiten der Schülerinnen als auf Seiten der Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen.
  • Das Thema Mobbing stellt die Streitschlichtungspraxis ebenfalls vor. Probleme. Einerseits ist zu vermuten,  dass das Thema Mobbing synonym für Konflikte in Gruppen benutzt wird, anderseits gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Mobbing überhaupt „mediiert" werden kann oder sollte. Auch hier gibt es einen hohen Fortbildungsbedarf.
  • Ein wiederkehrendes Problem sind für ausgebildete Streitschlichterinnen die „fehlenden Fälle". Vor dem Hintergrund inzwischen langjähriger Erfahrungen mit dem Aufbau und der Integration von Streitschlichtung in Schulen müsste es möglich sein, den Schulen einen hilfreichen „Fahrplan" zur Verfügung zu stellen, der die Aktiven darin unterstützt, dieses Problem zu minimieren;
  • Die von Schulen immer wieder geäußerten Wünsche nach regionalen Kontakt- und Fortbildungsmöglichkeiten können verstanden werden als eine Anforderung an bestehende Netzwerke der Gewaltprävention in Kommunen und Kreisen, hier entsprechend initiativ zu werden und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zustellen. Es spricht auch nichts dagegen, dass Landesregierungen hier finanzielle Unterstützung leisten.
  • Zentrale Effekte der Streitschlichtung bestehen zunächst in erster Linie in der Sensibilisierung in Bezug auf Konflikte, in dem Zuwachs an persönlicher Konfliktkompetenz und in dem erweiterten Handlungsrepertoire Konflikte zu bearbeiten bzw. früher angehen zu können. Einen Beitrag zur Gewaltminderung leistet Streitschlichtung nur zusammen mit andern präventiven Maßnahmen Lind deeskalierenden konsequenzorientierten Interventionen in eskalierenden Konfliktsituationen.
  • Es könnte sein, dass Streitschlichtung vor allem ein Konfliktbearbeitungsverfahren für jüngere Schülerinnen ist. Dagegen sprechen zwar die Erfahrungen in Hauptschulen, die über alle Schuljahrgänge hinweg auf die Inanspruchnahme von Streitschlichterinnen verweisen. Dies kann u.a. bedeuten,
  • dass Streitschlichtung in Hauptschulen anders verankert ist oder
  • dass in unterschiedlichen Schulformen mit zunehmenden Alter unter SchülerInnen streitschlichtungsrelevante Konflikte abnehmen oder
  • ältere Schülerinnen Konflikte eher selber regeln (möglicherweise unterstützt durch Programme konstruktiver Konfliktaustragung in den Klassen) oder
  • Konflikte in älteren Schuljahrgängen eher auf Gruppenebene liegen, von Erwachsenen aufgegriffen und innerhalb und außerhalb der Schule bearbeitet werden.

Treffen die letzten drei Vermutungen, stellt sich die Frage, in welchen Konfliktsituationen Schülerinnen als MediatorInenn in höheren Schuljahrgängen gefragt sind, welches Konfliktmanagementkonzept an der Schule zu entwickeln wäre und welche Ausbildung die Schülerinnen in diesem Fall benötigen.

 

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Detlef Beck ist Geschäftsführer des BSV/Bildungsbereich.