Satelliten, Sensornetze, Inspektionen

Technik der Verifikation von Rüstungsbegrenzungsabkommen

von Jürgen Altmann

Jede/r weiß, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse und neue technische Entwicklungen immer auch für Waffen und andere Militärtechnik eingesetzt wurden. Die Atombombe ist das drastischste Beispiel, aber es gibt eine Vielzahl anderer Bereiche, in denen die Streitkräfte häufig technische Vorreiter waren. Weniger bekannt ist, dass wissenschaftlich-technische Entwicklungen auch für Abrüstung und Frieden erforscht, entwickelt und eingesetzt wurden. Bevor das genauer dargestellt wird, sollen einige Grundlagen erklärt werden.

Im internationalen System geht es anders zu als im Innern von Staaten. In letzteren gibt es eine übergeordnete Autorität, oft demokratisch legitimiert, die den BürgerInnen oder Firmen Regeln vorschreiben kann und die Macht und Mechanismen hat, die Einhaltung ggf. auch durchzusetzen. Dieses Monopol legitimer Gewalt sorgt für Sicherheit, insbesondere dafür, dass BürgerInnen sich nicht zum eigenen Schutz selbst bewaffnen (müssen) – in manchen Staaten ist das anders. Auf internationaler Ebene gibt es eine solche Autorität mit Gewaltmonopol nicht, im Grunde herrscht noch Anarchie. Solange die Vereinten Nationen nicht als verlässliches System kollektiver Sicherheit fungieren, rechnet jeder Staat damit, dass er von einem anderen angegriffen werden kann. Um sich dagegen zu sichern, bauen die Staaten Streitkräfte auf. Dabei erhöht sich aber die Bedrohung für die anderen, und insgesamt verringert sich die Sicherheit aller. Das ist das sogenannte Sicherheitsdilemma – im Bemühen, sich je einzeln sicherer zu machen, ist das kollektive Ergebnis größere Unsicherheit.

Ein Ausweg aus dem Sicherheitsdilemma ist die freiwillige wechselseitige Begrenzung der Streitkräfte, die sogenannte Rüstungskontrolle. Bei Verringerung spricht man von Abrüstung, die in manchen Bereichen bis Null gegangen ist, z.B. bei biologischen und chemischen Waffen und bei nuklearen Mittelstreckenraketen. Rüstungskontrolle begann im Bereich der Nuklearwaffen und ihrer Träger, mit Begrenzungsverträgen zwischen USA und UdSSR. Multilaterale Verträge gibt es im Bereich der biologischen und chemischen Waffen, der Nichtverbreitung von Kernwaffen und beim Verbot von Kernexplosionen. Damit Staaten sich auf Vereinbarungen zur Begrenzung oder Verringerung ihrer Rüstung einlassen, müssen die politischen Entscheidungsträger verstehen, dass das die nationale Sicherheit erhöht, und Widerstände mancher Gruppen (in den Streitkräften, der Rüstungsindustrie, bei konservativen Kräften) müssen überwunden werden. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung ist, dass man die Einhaltung der Vereinbarungen bei den Partnern – die ja mögliche Kriegsgegner sind – überprüfen kann (Verifikation).

Hier gibt es ein weiteres Problem, das ich Verifikationsdilemma nenne. Überprüfung bei anderen Streitkräften braucht Transparenz. Dem entgegen steht deren militärisches Bedürfnis nach Geheimhaltung, die für wirksamen Kampf im Krieg – der ja weiterhin vorbereitet wird – erforderlich ist. Insbesondere die UdSSR war zu Beginn stark gegen Inspektionen im Land.

Verifikation von oben
Hier kam die Technik zu Hilfe. Um 1960 kamen Aufklärungssatelliten auf, die alle Länder überfliegen und aus dem Weltraum genügend scharfe Fotos machen konnten, auf denen Bomber, Raketensilos und Nuklear-U-Boote im Hafen erkannt werden konnten. Damit waren Inspektionen im Land für diese strategischen Kernwaffenträger nicht mehr unbedingt nötig, und das erste SALT-Abkommen (1972) wurde möglich. In den Verträgen werden Satelliten nicht benannt – hier spricht man allgemein von „nationalen technischen Mitteln der Verifikation“ und lässt offen, was jeder Staat darunter versteht und welche eigenen Fähigkeiten er hat, technisch die Rüstung der Vertragspartner zu beobachten. Über die Jahre wurden die Kameras immer weiter verbessert, so dass militärische Satelliten (in niedrigen Bahnen von einigen 100 km Höhe) in den 1970er Jahren an die Auflösungsgrenze von 0,1 m kamen.

Anders als Fotos aus dem Weltraum waren Luftbilder im Zivilen wie im Militärischen schon sehr viel länger Standard. Bei Flughöhen von z.B. 1 km sind dabei erheblich bessere Auflösungen als bei Satelliten möglich. Zur Nutzung als Verifikationsmittel muss aber die überprüfte Seite den Flugzeugen erlauben, ihren Luftraum zu benutzen. Diese kooperative Verifikation wurde mit dem Offener-Himmel-Vertrag (1992) eingeführt. Bei kooperativer Verifikation wird im Vertrag und seinen Anhängen genau festgelegt, was bei einer Inspektion erlaubt ist und welche Geräte benutzt werden dürfen. Beim Offener-Himmel-Vertrag darf man Fotos im sichtbaren sowie infraroten Spektralbereich machen, außerdem Radarbilder aufnehmen. Um die Nutzung für die militärische Aufklärung zu beschränken, ist die Bildauflösung begrenzt: auf 0,3 m im Sichtbaren, 0,5 m im Infrarot und 3 m bei Radar.

Kooperative Verifikation durch Vor-Ort-Inspektionen und Vor-Ort-Technik
Gorbatschows Glasnost brachte eine radikale Änderung der Haltung der UdSSR. Im Mittelstreckenvertrag von 1987 (INF-Vertrag) vereinbarten USA und UdSSR ein ausgefeiltes System von Inspektionen zur Kontrolle, ob die nuklearen Mittelstreckenraketen (und landgestützten Marschflugkörper) auch wirklich abgeschafft werden und bleiben. Z.B. gab es Stichproben, bei denen die zur Inspektion ausgewählten Stationierungsorte erst nach der Einreise bekannt gegeben wurden. Die überprüfte Seite musste das Inspektionsteam innerhalb einiger Stunden dahin bringen. Dabei durften u.a. tragbare Längenmessgeräte, Waagen und Strahlungsdetektoren mitgebracht werden. Besonders innovativ war, an den Raketenfabriken dauerhaft je ein Inspektionsteam zu stationieren. Das sollte kontrollieren, dass nur große Langstreckenraketen die Fabrik verlassen, nicht aber die verbotenen kürzeren Mittelstreckenraketen. Diese Dauerkontrolle wurde im START-Vertrag (1991) noch ausgebaut, dessen Gerätelisten füllen viele Seiten. Am Fabriktor dürfen die Überwacher Videokameras, Lichtschrankengitter, Induktionsschleifen, Infrarot- und Magnetfeldmessgeräte betreiben. Dass der Zaun um das Gelände nicht verletzt wird, wird nicht nur durch äußere Kontrollgänge, sondern auch durch Zaunsensoren überprüft.

Multilaterale Verträge: Weltweites Sensornetzwerk, Vor-Ort-Inspektionen, Probenahme und Analyse
Zur Kontrolle des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (1967) überwacht die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) ziviles Nuklearmaterial und zivile Nukleareinrichtungen. Diese Sicherungsmaßnahmen (englisch: safeguards) benutzen Strahlungsmessungen und chemische Analysen sowie Überwachungskameras und Siegelsysteme.

Anders als das Biologische-Waffen-Übereinkommen von 1972 hat das Chemiewaffen-Übereinkommen von 1993 eine Verifikationsorganisation: die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW, Den Haag). Eine ihrer Aufgaben ist, die Zerstörung der vorhandenen Waffen zu überprüfen. Eine andere ist zu kontrollieren, dass in Chemiebetrieben z.B. nur erlaubte Insektizide, nicht aber die chemisch verwandten Nervengase hergestellt werden. Dazu führt die OPCW Inspektionen in der Chemieindustrie durch. Mitgebracht werden dürfen tragbare Geräte für die Analyse vor Ort. Für genauere Analysen gibt es gut ausgestattete Speziallabors, dafür gibt es Ausrüstung zur Probenahme und sicheren Transport.

Der Vollständige Nuklearteststoppvertrag (CTBT, 1996) verbietet alle Kernexplosionen. Zur Verifikation wurde auch hier eine Organisation gegründet (CTBTO, Wien). Damit eventuelle Kernexplosionen in der Atmosphäre, unter  Wasser, im Weltraum und unter der Erde verlässlich entdeckt werden können, betreibt die CTBTO ein weltweites Netz von seismischen, Infraschall-, Unterwasserschall- und Radionuklidstationen – insgesamt 321 Messstationen (dazu 16 Labors). Die Stationen senden ihre Messdaten rund um die Uhr über Satellit nach Wien, wo sie in Computern vorausgewertet werden, endgültige Analysen machen Wissenschaftler/innen. Auf diese Art wurden alle Kernwaffentests von Nordkorea (2006, 2009, 2013 und 2016) entdeckt und als Explosionen, nicht Erdbeben, erkannt. Zur Klärung, ob ein solches Ereignis eine Nuklearexplosion war, kann die Teststopp-Organisation eine Inspektion in das fragliche Gebiet schicken – allerdings erst nach Inkrafttreten des Vertrags und nur in einen Mitgliedsstaat. Dabei dürfen verschiedenste geophysikalische Geräte benutzt werden, u.a. seismische, Infrarot- und Magnetfeldsensoren.

Technik für Frieden
Naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen ermöglichen neue Rüstung. Das erzeugt Gefahren für den Frieden, die durch Begrenzungs- und Abrüstungsverträge eingedämmt werden müssen. Damit solche Verträge zustande kommen können, ist verlässliche Verifikation nötig, was wiederum neue Techniken erfordert. Erfolgreiche Forschung und Entwicklung dafür haben viele Verträge erst möglich gemacht. Heute ist Forschung dringend nötig für ein Verbot autonomer Waffensysteme und für Beschränkungen bei Cyberangriffen.

 

Anmerkungen
1 Einführungen in Bezug auf die Felder Physik, Chemie, Biologie und Informatik bietet: J. Altmann, U. Bernhardt, K. Nixdorff, I. Ruhmann, D. Wöhrle, Naturwissenschaft – Rüstung – Frieden – Basiswissen für die Friedensforschung, 2. verbesserte Auflage, Wiesbaden: Springer VS, 2017.

2 Vertragstexte finden sich z.B. bei http://www.armscontrol.de, Dokumente, auch über http://www.auswaertiges-amt.de/sid_27DF890977448617627537699015B8D2/DE/A....

3 Strategic Arms Limitation Talks.

4 Das Adjektiv „technisch“ stellt klar, dass menschliche Spione nicht als erlaubtes Verifikationsmittel gelten.

5 Die Satelliten dienen zunächst zur militärischen Aufklärung – was hat ein möglicher Gegner, wo sind Ziele, die man treffen sollte usw. Die Verifikation ist nur ein sehr kleiner Teil der Aufgaben.

6 Zwischen den Staaten der NATO und der früheren Warschauer-Vertrags-Organisation.

7 Intermediate Range Nuclear Forces.

8 Strategic Arms Reduction Treaty.

9 http://www.iaea.org.

10 http://www.opcw.org.

11 Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty Organization, http://www.ctbto.org.

12 Zum Inkrafttreten fehlen noch 8 der im Vertrag vorgeschriebenen 44 Ratifikationen. Nordkorea hat den Vertrag nicht einmal unterzeichnet.

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Jürgen Altmann, Physiker und Friedensforscher, lehrt an der Technischen Universität Dortmund. Seine Arbeitsgebiete sind: akustische, seismische und magnetische Überwachung für Abrüstungs-, Friedens- und Nichtverbreitungsabkommen sowie die Folgenabschätzung neuer militärischer Techniken und vorbeugende Begrenzungen dafür.