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Eine adlige Gegnerin des Ersten Weltkriegs
Therese von Bayerns Kritik am Ersten Weltkrieg
vonSelbst im Schatten des Ersten Weltkrieges verstummten die Friedensstimmen nicht. Im bürgerlich-pazifistischen Spektrum argumentierten u.a. die Deutsche Friedensgesellschaft, der Bund Neues Vaterland, die Zentralstelle Völkerrecht, einige Friedenspfarrer sowie Pazifistinnen (z.B. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann) gegen den Wahnsinn auf den Schlachtfeldern sowie die Kriegstüchtigkeit von Politikern. Der sozialistische Antimilitarismus (z.B. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg) versuchte u.a. durch Streiks den Krieg zu beenden. Aus diesem friedenspolitischen Rahmen fällt Therese von Bayern (1850-1925) heraus. Die Kriegskritik dieser Adligen ist kaum bekannt.
Schon in jungen Jahren entwickelte sie ein großes Interesse an den Naturwissenschaften, unternahm umfangreiche Reisen und berichtete über sie in Aufsätzen und Büchern. Ihr Schriftenverzeichnis enthält auch Publikationen zur Pflanzen- und Tierwelt jener Länder, welche die Ethnologin, Zoologin und Botanikerin bereiste. Durch die Weltreisen bekam sie einen internationalen Blick – sehr weit über Bayern hinaus.
Im Jahre 1918 begann die Adlige mit der Zusammenstellung von biographischem Material, das von der Literaturwissenschaftlerin Hadamud Bußmann ausgewertet wurde.
Der unselige Erste Weltkrieg und die vielen Lügen
Die nationalistische Haltung weiter Teile der Bevölkerung stand in großem Gegensatz zu der Position der Therese von Bayern. Zum Kriegsbeginn bemerkte sie: „Während sich schließlich bei uns Alles in einem durch die Presse absichtlich geschürten Kriegstaumel erging, habe ich in Erwartung all des der Menschheit bevorstehenden Elendes unbeschreibliche seelische Qualen ausgestanden. Die offiziellen Lügen verfingen nicht bei mir, wie bei den Anderen, weil ich es besser wußte: über den Orient, über die Balkanvölker, auch über Rußland konnte man mir nichts glauben machen, ebensowenig wie die zwei vorhergehenden Jahre. Und so ging es nun über vier Jahre weiter. Lügen u. immer Lügen, die ich als solche erkannte u. die mich empörten, Verheimlichungen u. Vertuschungen, welche sich mit der Zeit nicht aufrecht erhalten ließen u. schließlich im Volk das nothwendige Vertrauen zerstörten, die Anwendung barbarischer Mittel, die mir das Herz im Leibe umdrehten, u. zu all diesem eine Selbstgefälligkeit u. eine Heuchelei, die meinem wahrheitsdurstenden Character das Allerzuwiderste waren. Wir brandmarkten an den Feinden, was wir geradeso thaten, aber wir gestanden letzteres nicht ein, oder wenn wir es nicht läugnen konnten, so fanden wir bei uns erlaubt, was wir bei den Gegnern zu Verbrechen stempelten, mit welcher Logik war mir unverständlich. […]
Ich zog mich möglichst auf mich selbst zurück u. war mir von Anfang an bewußt, München möglichst meiden zu müssen, denn ich konnte die dortigen Siegesräusche, die dortigen Siegesfeiern u. die Wohltätigkeitsfeste für unsere sehr fraglichen Bundesgenossen nicht mitmachen, ohne in den Gegensatz zwischen der Maske, die ich hätte zeigen müssen, u. dem, was in meinem oppositionell gestimmten Inneren vorging, langsam aufgerieben zu werden. [...]
Wenn aber in den Kreisen, in denen ich verkehren mußte, die Meinungen der Leute mir gar zu verdreht u. widersinnig entgegentraten, dann ließ ich hie und da ein Wörtchen fallen. Dies genügte jedoch schon unter all den kriegshypnotisch eingestellten Bekannten mich, meinen Patriotismus zu verdächtigen, indessen gerade meine Verzweiflung über die Politik meines Vaterlandes dem reinsten Patriotismus entsprungen war. Bis nach München sickerten diese Verdächtigungen durch, u. es fielen dort wiederholt Äußerungen, wie 'ich gehörte eingesperrt'. Ja, hätten sie mich nur eingesperrt! Die Militärdiktatur, welche seit Ausbruch des Krieges herrschte, wurde durch die Länge der Dauer unerträglich, immer unerträglicher. Man durfte nicht mehr frei athmen, sogar das vernünftige Denken sollte unterbunden werden, man sollte all die offiziellen Lügen glauben, wenn man auch wußte, daß es Lügen waren – mit kurzen Worten, es war für eine freiheitstrunkene Natur, wie die meine es von Kindheit auf gewesen, geradezu erdrückend! Meine nächste Umgebung flehte mich in wohlerzogener Anhänglichkeit an, mich zusammenzunehmen, noch mehr zu schweigen. Mir erschien es in einigen Fällen aber direkt wie eine verächtliche Falschheit, ganz zu schweigen, wenn Anderen schreiendes Unrecht geschah.“ (Zitiert nach Bußmann, 231f., Die Rechtschreibung folgt stets dem Original.)
Zu ihrem Verhältnis zu dem Militär, das ganz in den Händen adliger Männer lag, sagte die Adlige:
„Mit den Offizieren verstand ich mich durchschnittlich meist weniger gut, weil sie, wie sich aus ihrem Beruf ergab, den Lauf der Ereignisse mehr mit optimistischen Augen betrachteten. Hingegen mit Diplomaten u. Beamten war mir eine Aussprache oft eine Wohlthat, denn sie sahen die Verhältnisse nüchterner u. mit klarem Blick an wie ich, sei es von einem politisch weltumfassenden, sei es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus. […]
Wenn ich in den letzten Kriegsjahren nach München kam, hieß es immer vertraulich: 'Wir können nicht mehr. Im Herbst muß Frieden geschlossen werden.' Der Herbst kam, u. der Friede wurde nicht geschlossen. Im Herbst hieß es dann: 'Länger als bis zum Frühjahr können wir nicht durchhalten.' Und das Frühjahr kam, u. mit ihm kein Ende. So ging es fort, bis Alles vernichtet war u. das Dach lichterloh uns brannte u. unser Heim zusammenstürzte.“ (Zitiert nach Bußmann, 233f.)
Sozial-karitatives Engagement während des Krieges
Von 1914 bis 1919 lebte Therese von Bayern in ihrer Villa AmSee in Lindau und engagierte sich in der Stadt am Bodensee beim Roten Kreuz und für Kriegsgefangene.
Sie blieb nicht verschont von den Schrecken des Krieges. So fiel ihr Neffe Heinrich im Alter von 32 Jahren 1916 in Rumänien. Zu schaffen machte ihr auch die Kriegsbegeisterung ihrer Brüder, die als Oberbefehlshaber den Ersten Weltkrieg erlebten und befürworteten. Der Krieg isolierte die Adlige gesellschaftlich, umso wichtiger war daher der Kontakt mit ihrer Freundin Charlotte Blennerhassett, eine Münchnerin, die in England lebte.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bilanziert die Adlige: „ Dieser Krieg, der mit soviel Leichtsinn u. Überhebung begonnen u. mit so viel gegenseitiger Unmenschlichkeit durchgeführt worden war, der so viel Patriotismus, so viel wunderbare Züge von Edelmuth u. Aufopferung, so viel erbauende selbstlose Hingabe an die Ziele einer vermeintlich großen Zeit wachgerufen hatte, dieser Krieg war vorbei. Aber mit welchen Opfern für das Vaterland; Opfer, die nun alle umsonst gebracht waren. Das Vaterland lag verblutend am Boden u. die Schuld daran trugen die Generäle, welche sich unbefugt u. kenntnißlos in die großen weltpolitischen Fragen hineingemischt hatten.“ (Zitiert nach Bußmann, 249)
Die wirtschaftlichen Krisen nach 1918 reduzierten die finanziellen Mittel und erlaubten der Adligen keine großen Reisen mehr. In München konnte sie ab 1920 endlich wieder die lang vermissten wissenschaftlichen Vorträge hören. Therese von Bayern starb in Lindau am Bodensee am 19. September 1925 im Alter von 75 Jahren.
Auszeichnungen
Im Jahre 1892 wurde Therese von Bayern als erste Frau zum Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Fünf Jahre später erhielt sie, ebenfalls als erste Frau, die Ehrendoktorwürde der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Jahre 1997, 72 Jahre nach ihrem Tod, erfolgte an dieser Universität die Gründung der Therese von Bayern-Stiftung zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft. Am 23. April 2009 gelangte die Kriegskritikerin, dieser Aspekt wird oft verschwiegen, als vierte Frau (neben Lena Christ, Clara Ziegler und Emmy Noether) in die Münchner Ruhmeshalle – neben über hundert Männern. Ein Gymnasium in Höhenkirchen-Siegertsbrunn sowie die Münchner Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung tragen den Namen dieser Adligen. Die Stadt Lindau am Bodensee benannte einen Platz nach Therese von Bayern.
Zum Weiterlesen:
- Bußmann, Hadamud: „Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet.“ Die ungewöhnliche Geschichte der Therese Prinzessin von Bayern. Berlin 2014
- Krafft, Sybille: Zwischen den Fronten. Münchner Frauen in Krieg und Frieden 1900-1950. München 1995
- Lipp, Karlheinz: Pazifismus im Ersten Weltkrieg. Ein Lesebuch. Herbolzheim 2004
- Ders.: Berliner Friedenspfarrer und der Erste Weltkrieg. Ein Lesebuch. Freiburg i. Breisgau 2013
- Ders.: Der Thüringer Friedenspfarrer Ernst Böhme (1862-1941). Ein Lesebuch. Nordhausen 2010
- Ders:. Pazifismus in der Pfalz vor und während des Ersten Weltkrieges. Ein Lesebuch. Nordhausen 2015
Dr. Karlheinz Lipp ist Historiker mit dem Schwerpunkt Historische Friedensforschung.