als Instrument für zivile Konfliktbearbeitung im In- und Ausland aus der Sicht der AGDF

Thesen zu einem Friedensfachdienst

von Ulrich Frey
Schwerpunkt
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1. Entwicklung (Gerechtigkeit), Frieden und Schöpfung gehören von Anfang an zusammen
Bei der Gründung der AGDF (Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, ein Dach evangelischer Friedens- und Entwicklungsdienste, die Red.) als eines ökumenisch und gewaltfrei ausgerichteten Zusammenschlusses von Friedensdiensten im Jahre 1968 war maßgeblich u.a. die Einsicht, daß Frieden und Entwicklung zusammengehören. Die Ökologie war damals als Thema noch nicht ausgeprägt. Ausdruck dieses integrierenden Verständnisses von Friedensdienst·war die Mitgliedschaft von entwicklungspolitisch ausgerichteten Organisationen wie Weltfriedensdienst und Eirene sowie von „traditionellen“ Friedensdiensten wie z.B. dem Christlichen Friedensdienst.

2. Dynamischer Friedensbegriff
Die AGDF definiert „Frieden“ dynamisch. Danach ist Frieden in Prozeß zur Verminderung von Gewalt, Unfreiheit, Not und Angst. Entwickelt wurde dieses Verständnis in der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg, Es setzt sich ab von einem statischen Verständnis von Frieden als der Abwesenheit von Krieg. Das biblische Leitbild der Heidelberger Minimierungsformel ist der·Shalom des Alten Testamentes. Er Ist der theologische Kern des später einsetzenden gegenseitigen Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung seit der Vollversammlung des Ökurnenischen Rates in Vancouver.

3. Durchlässigkeit der Typen von Friedensdienst
In der AGDF werden heute folgende Typen von Friedensarbeit und Friedensdienst geübt, die zusammengehören und nach Themen und Personen gegenseitig durchlässig sind:
a) lokale und regionale Friedensarbeit, getragen von ehrenamtlichen Kräften zu unterschiedlichen Themen·nach dem Motto „global denken, lokal handeln“. Adressaten dieser Informations-und Bildungsarbeit sowie der daraus entstehenden Aktionen sind die Bürger und Bürgerinnen sowie Initiativen und Gemeinden.

b) Bildung und Bewußtseinsbildung zur Bildung von·Persönlichkeit und zur Vermittlung von Fachkenntnisse und Verhaltensweisen. Bildungseinrichtungen tragen durch Seminare und selbständige Entwicklung von Konzepten wesentlich dazu bei, daß Gewaltfreiheit als Gegenstand individuellen, gesellschaftlichen und politischen Denkens und Handelns ernsthaft diskutiert und erprobt werden kann.

c) Soziale und gleichzeitig personenbezogene Lerndienste und entwicklungspolitische Fachdienste in der Form von kurzfristigen Diensten (Workcamps), mittelfristigen Diensten (6-24 Monate) und langfristigen Diensten (Entwicklungsdienst ab 24 Monate, Fachkräfte und entwicklungspolitische Arbeit in unserer Gesellschaft).

4. Neues Instrument für eine friedenspolitische Herausforderung: Friedensfachdienste zur zivilen Konfliktbearbeitung
Schon vor der Zeitenwinde 1989/1990 hatte ein Mitglied der AGDF den Schutz der Menschenrechte durch Begleitung von Menschenrechtsaktivisten zu seinem Programm gemacht. Nachdem der verhüllende Schleier des Ost-West-Systemkonfliktes in den Jahren 1989/90 gefallen war, stellten andere Mitglieder der AGDF in Zusammenarbeit mit Partnern und aus den Erfahrungen der Freiwilligen und der entwicklungspolitischen Fachkräfte neue friedenspolitische Herausforderungen fest, die sich um die Begriffe „Konflikt“ und „zivile Gesellschaft“ gruppieren. Es geht um qualitativ neue Aufgaben, die sich von den bisherigen Kategorien entwicklungspolitischer und friedenspolitischer Arbeit unterscheiden. Friedensdienst und Friedensarbeit konzentrieren sich im Friedensfachdienst auf die Bearbeitung von gewaltförmigen Konflikten mit dem Ziel; die zivile Gesellschaft zu stärken. Neue Partner und-Partnerstrukturen treten auf, die neue Anforderungen an die Entsendeorganisationen und die zu entsendenden oder zu vermittelnden Fachkräfte stellen. Bei mittelfristigen Lerndiensten stellte sich z.B. heraus, daß die Freiwilligen stärker in politische Konfliktfelder hineinwirkten, so daß die Bedeutung des persönlichen Lernanteils gegenüber den fachlichen Anforderungen des Projektes zurücktrat. Einzelne Träger begannen auf Anforderung ihrer Partner Freiwillige zu schicken, die eigentlich überwiegend Fachkräfte sind. Einzelne Freiwillige entwickelten sich im Laufe ihres Dienstes zu Fachkräften. Im Detail kann hier auf die Erfahrung verschiedener Mitglieder im ehemaligen Jugoslawien, Osteuropa, in Lateinamerika und in Afrika verwiesen werden. Diese Entwicklung im Bereich der Lerndienste korrespondiert mit den Erfahrungen der entwicklungspolitisch tätigen Organisationen, daß die Beschäftigung mit den Ursachen von „Unterentwicklung“ in den eigenen Gesellschaften entwicklungspolitisch immer wichtiger wird. Deshalb werden Leitbilder wie „Partnerschaft“ zunehmend kritisch hinterfragt.

Friedensfachdienste zur Konfliktbearbeitung und Stärkung einer zivilen, weil demokratischen Gesellschaft entwickeln sich. Sie werden im In- und Ausland benötigt und zeichnen sich durch einen überwiegenden Bedarf an Kapazität zur Konfliktbearbeitung und zum Transfer von Fähigkeiten und Kenntnissen aus, Demokratie zu fördern. Sie können leichter entstehen unter Mitarbeit von Personen, die bereits jetzt in den unter 3 genannten Handlungsfeldern tätig sind.

5. Arbeitsbereiche für Friedensfachdienste sind nach den Erfahrungen von AGDF-Mitgliedern im In- und Ausland:

5.1. Fortsetzung der Versöhnungsarbeit an schwereren und komplexeren Aufgaben, z.B. in ethnischen und religiösen Konflikten in der Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen,

5.2. Vorhaben zum Schutz von Bürgern und Menschenrechten; Begleitung von Personen, die sich für die Respektierung von Menschenrechten  einsetzen,

5.3. Stärkung der demokratischen Kräfte in Ländern in gesellschaftlichen Transformationsprozessen, z.B. in Ost- und Südosteuropa durch Unterstützung von dort arbeitenden einheimischen Trägern (Memorial in Rußland),

5.4. Arbeit mit Flüchtlingen (Unterstützung bei der Schaffung von Voraussetzungen für eine Rückkehr von Flüchtlingen in Würde, d.h. zu gesicherten Lebens- und Arbeitsbedingungen),

5.5. Arbeit mit Frauen,

5.6. Arbeit mit traumatisierten Kindern und Männern,

5.7. Im Inland gewinnt die Bekämpfung von Gewalt und die Begleitung·von gewaltgeneigten Prozessen (Castor!) zunehmende Bedeutung: Bildungsträger der AGDF entwickeln Konzepte zur Aus- und·Fortbildung von Multiplikatoren/ Multiplikatorinnen in der Friedensarbeit. Andere Mitglieder laden Ausländer/ Ausländerinnen ein, z.B. in internationalen Peace Teams, Demonstrationen gegen den Castor zu beobachten·und gewaltfreie Demonstranten zu begleiten.

6. Stellenwert der „Ausbildung“
Vorbereitung Und Ausbildung definieren sich nach den Anforderungen der Partner und deren Projekten, nach den Defiziten der Freiwilligen und Fachkräfte sowie nach dem Selbstverständnis der Trägerorganisationen. Ausbildung ist kein Selbstzweck; sondern funktional zu verstehen. Ausbildung kann also nur abhängig von Determinanten organisiert werden.

7. Begriff „Zivile Konfliktbearbeitung“ statt „Ziviler Friedensdienst“
Die Bezeichnung „Ziviler .Friedensdienst“ insinuiert als das Gegenüber den „militärischen Friedensdienst“ und provoziert damit die alte und heute unfruchtbare Debatte über den „Friedensdienst mit und ohne Waffen“. Die Option für die Gewaltfreiheit ist friedenspolitisch heute in den Kirchen Konsens. Deshalb hat die zuständige Arbeitsgruppe der Deutschen Ökumenischen Versammlung in Erfurt (Juni 1996) nicht den Ausdruck „Ziviler Friedensdienst“ gewählt. Das Stichwort vom „Zivilen Friedensdienst“ ist von dem Verständnis von Theodor Ebert geprägt, der mit dem ZFD eine Alternative zum·Militärdienst aufbauen wollte. Das Leitbild der zivilen Gesellschaft und der
Schlüsselbegriff „Konflikt“ legen es sachlich nahe, den Ausdruck „zivile  Konfliktbearbeitung“ zu gebrauchen.

8. Das Verhältnis der zivilen Konfliktbearbeitung zum Militär ist zu klären.
Damit die zivile Konfliktbearbeitung als politisches Prinzip durchgesetzt werden kann, muß deren Verhältnis zum Militär geklärt werden. Diese Aufgabe steht an. Im Augenblick existiert ein Nicht-Verhältnis. Es bewirkt, daß seitens des Parlaments, der Regierung und der Öffentlichkeit Aufgaben der zivilen Konfliktbearbeitung leicht z.B. auf die Geleise der Entwicklungspolitik abgeschoben werden können und damit an politischer Brisanz verlieren.

9. Notwendig: Kooperation
Zur Mobilisierung der notwendigen Ressourcen an Erfahrungen, Projektpartnern, Fachkräften, finanzieller Mittel usw. ist Kooperation nötig. Die AGDF, die im kirchlichen Bereich beheimatet ist und ökumenisch arbeitet, bemüht sich um die Klärung der Voraussetzungen für eine Kooperation mit Mitgliedern der AG KED, der Landeskirchen und anderer Partner, die parallele Entwicklungen durchlaufen. Eine wichtige Basis der Arbeit der AGDF sind die Beschlüsse der Synode der EKD vom 6. November 1996 zur Zukunft der christlichen Friedensdienste.

10. Nächste Schritte in der Diskussion des „Konsortium“-Kreises:
10.1 Verständigung über Ziele und Inhalte einer zivilen Konfliktbearbeitung

10.2 Verständigung über mögliche Handlungsfelder und Aufgaben der zivilen Konfliktbearbeitung

10.3 Verständigung über Rahmenbedingungen der zivilen Konfliktbearbeitung (u.a. Verhältnis zur etablierten Politik, zum Militär, Finanzierung, Trägerschaft)

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Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.