Thesenpapier zur "Ökumenischen Dekade zur Uberwindung von Gewalt"

von Hartmut Müller
Schwerpunkt
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Die 21. Friedenskonsultation der landeskirchlichen Friedensausschüsse und Friedensdienste in der EKD fand vom 12.-14. Februar 2001 in der Akademie Iserlohn unter dem Motto "Kehret um so werdet ihr leben - Friedensethik vor neuen Herausforderungen" statt. In der Auseinandersetzung mit dem zurückliegenden Jugoslawienkrieg von 1999 wurde über die Orientierungspunkte für Friedensethik und Friedenspolitik der EKD von 1994 "Schritte auf dem Weg zu Frieden" beraten. Die Teilnehmenden stellten fest, dass es dringend nötig ist, über die folgenden Punkte neu nachzudenken und in einem möglichst breiten Rahmen auf allen kirchlichen Ebenen ins Gespräch zu kommen:

 

1.Die Schrift "Schritte auf dem Weg zum Frieden" irrt grundsätzlich darin, dass sie militärische Gewalt als legitimes Mittel zur Rechtsdurchsetzung betrachtet (S. 5. 16, 21, 25, 27, 30f). Diese kann allenfalls durch eine polizeiliche Gewalt unter einem übernationalen Recht, nach polizeilichen Grundsätzen und polizeilicher Ausbildung und Ausstattung durchgesetzt werden.
 

2.In den Orientierungspunkten heißt es: "Der Gesichtspunkt des nationalen Interesses ist legitim" (S. 30). Dieser Satz stimmt mit dem christlichen Glauben nicht überein, weil er das egoistische Interesse des eigenen Staates in den Vordergrund stellt und es nicht um die uns Christen aufgetragene Sorge in Gebet, Wort und Tat für alle Menschen geht.
 

3.Die Verbundenheit durch die Taufe zu der einen weltweiten "Gemeinschaft der Heiligen" hat eine politische Bedeutung. Ich als Christ habe ein Recht darauf, von meinem Bruder, meiner Schwester in Christus Barmherzigkeit zu erwarten und nicht die Androhung des Todes. Dazu gehört, dass ich auch selber bereit bin, dies allen anderen gegenüber zu gewährleisten.
 

4.Es ist zu prüfen, ob dem Beispiel der Anglikanischen Kirche in England zu folgen ist, die sich aus allen finanziellen Venflechtungen mit Banken und Firmen zurückgezogen hat, die mit der Rüstungsindustrie und Waffenhandel verbunden sind. Dazu ist es nötig, dass Gemeinden, Kirchenkreise, Landeskirchen und die EKD prüfen und öffentlich machen, ob ihre Gelder bei Banken und Firmen angelegt sind, die an der Rüstungswirtschaft beteiligt sind.
 

5.Aus dem Krieg gegen Jugoslawien wurden von den westeuropäischen Staaten u.a. die Konsequenz gezogen, eine eigene eigenständige "Europäische Sicherheitspolitik" zu etablieren und massiv aufzurüsten. Dies trägt zu einer Militarisierung unserer Gesellschaft bei und gefährdet den Frieden in Europa und belastet besonders das Verhältnis zu Russland. Statt weiter aufzurüsten ist es notwendig, dass der Staat entschieden in den Ausbau von Friedensfachdiensten in dem gleichen Maße wie bislang in das Militär investiert. Auch die Kirche muss den Ausbau von Friedensfachdiensten fördern. Es ist zu prüfen, in wie weit es sinnvoll sein kann, dass die Kirche dieser Forderung politisch Nachdruck verleiht, indem sie z.B. Einzelne in ihrer Entscheidung, einen gezielten Militärsteuer-Boykott auszuüben, berät, begleitet und unterstützt.
 

6.Von der Bezeichung von Kriegen als "Humanitäre Intervention" ist Abstand zu nehmen. Sie ist ein Mythos und führt in die Irre. Diese Legitimationsfigur ist seit 1828 gebräuchlich. Seitdem hat es keine militärische Intervention gegeben, die unabhängig von wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnungen stattgefunden hat. Indem sich das Bundesverteidigungsministerium in diesem Zusammenhang auf ein Gewohnheitsrecht beruft, das es nicht gibt, wird von der Bundesregierung das Grundgesetz gebrochen und zugleich verdeckt, dass völkerrechtliche Verträge missachtet werden. (GG Artikel 26, Abs. 1: Verbot der Führung eines Angriffskrieges; UN-Charta, Artikel 2, Abs. 4: Gewaltverzicht und 2+4-Vertrag). Soldaten, die sich auf die Rechtmäßigkeit solcher militärischen Interventionen verlassen, werden in die Irre geführt.
 

7.Es ist von jeglicher Legitimierung militärischer Gewalt Abstand zu nehmen, insbesondere von der missbräuchlichen Verwendung der Begriffe in diesem Zusammenhang wie Rechtfertigung, Opfer, Schuld, kleineres Übel, ultima ratio und Glaubwürdigkeit.
 

8.Hintergründe und Interessenten jeglicher Vorbereitung auf Krieg sind öffentlich beim Namen zu nennen.
 

9.Schon die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen, zusammen mit der atomaren Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland sind Christuslästerung und Sünde. Nach der Feststellung des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag (1996) ist die gegenwärtige Praxis der NATO darüber hinaus völkerrechtswidrig und bedroht das gesamte Verhältnis zum Recht.
 

10Das neue Strategische Konzept der NATO legt einen sehr weitgehenden Sicherheitsbegriff zugrunde (Strategisches Konzept von 1999, Nr. 24). "Dadurch besteht die Gefahr, dass außenpolitische, geostrategische und ökonomische Interessen von Bündnispartnern militärische Interventionen in dritten Staaten begründen können" (Beschluss 21 der Landessynode der EKIR v. Januar 2001) und zur Militarisierung der Außenpolitik führen.
 

Wir bekennen, dass der Auftrag der Christen der Friede ist, der uns durch Christus gegeben und in der Gemeinschaft mit seiner weltweiten Gemeinde aus- und durchzuhalten ist unter dem Ruf, der auch uns gilt: "Kehret um, so werdet ihr leben!"

Iserlohn, 14. Februar 2001

Einstimmig angenommen von den Teilnehmenden an der Friedenskonsultation, die als Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen zur Verfügung stehen.

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