Transitzentrum von "Den Krieg überleben" geschlossen

von Beate Roggenbuck
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Oktober 1998. Das Transitzentrum der Hilfsorganisation "Den Krieg überleben" (DKÜ), das während und nach dem Krieg in Bosnien mehr als 8000 Flüchtlingen vorübergehende Aufnahme und Schutz bot, muss aus finanziellen Gründen geschlossen werden. Immer noch - fast drei Jahre nach "Dayton" - beherbergt das in der Nähe von Zagreb liegende Haus an die 200 "Gäste". Während des Krieges drängten sich bis zu 550 Menschen in dem ehemaligen Gemeindehaus, "Dom Lonja" genannt, das der GTZ und später DKÜ von den kroatischen Behörden als Flüchtlingsunterkunft überlassen wurde.

Vor fast sechs Jahren, im Dezember 1992, zu Beginn des Krieges in Bosnien, wird die Initiative "Den Winter überleben" von Organisationen der Friedensbewegung (u.a. waren beteiligt die AGDF, das Komitee für Grundrechte, Pax Christi, ORL und der BSV) und dem Bundesverband der Grünen gegründet. Motor der Initiative ist Martin Fischer. Er wendet sich angesichts der innenpolitischen Weigerung, Flüchtlinge einreisen zu lassen, mit einem Appell an die Öffentlichkeit: "Eine großzügige Überlebenshilfe kann ein Signal gegen Fremdenfeindlichkeit setzen. Durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Spenden für die Kampagne können die Menschen in der Bundesrepublik zum Ausdruck bringen, dass sich große Teile unserer Gesellschaft nicht fremdenfeindlich abschließen, sondern Menschen in Not Zuflucht gewähren." An Heiligabend 1992 kommt der erste Bus mit Flüchtlingen in Bonn an. Der Appell, den Bildern verzweifelter Flüchtlinge nicht tatenlos zuzusehen und selbst aktiv zu werden, ist auf offene Ohren gestoßen. Mehr als tausend Menschen (einzelne und Kirchengemeinden) erklären sich während des Krieges bereit, Flüchtlinge aufzunehmen und eine sog. Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen, mit der sie sich zur Übernahme der entstehenden Kosten verpflichten. Mehr als 8500 Flüchtlinge - mehrheitlich Muslime - können so aufgenommen werden. Je nach Bundesland kann nach einer gewissen Frist eine anschließende Übernahme durch das Sozialamt erreicht werden. Garantiert ist das jedoch nie. Einzelne Gastgeber versorgen jahrelang ihre Gäste aus Bosnien.
 

Auch nach dem Krieg 1995 steht Dom Lonja nicht leer. Es gibt sog. "Altfälle", alte und kranke Leute, die nicht vermittelt werden konnten. Und es kommen neue hinzu. Menschen, die sich immer noch verfolgt und bedroht fühlen, weil die kommunalen Kriegstreiber und Verfolger in vielen Fällen auch in der Nachkriegszeit wieder zu "Amt und Würden" kommen. Wie sollen sich Menschen (in unseren Fällen Muslime in der Republika Srpska) sicher fühlen, wenn der Bürgermeister oder Polizist während des Krieges ein Täter war? Wohin sollen binationale Ehepaare gehen, die sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite als nicht dazugehörig oder - schlimmer noch - als Verräter gelten? Wie können Überlebende von Folter und Verfolgung mit dem Nachbarn leben, der sie vielleicht denunziert oder selbst misshandelt hat? So entschließen sich nach dem Krieg Menschen zur Emigration. Die USA, aber auch Kanada und andere Länder, bieten Kontingente für Flüchtlinge aus Bosnien an, die bestimmte Kriterien erfüllen müssen. Diese Menschen finden Unterschlupf und Hilfe bei DKÜ. Martin Fischer berät und begleitet sie bei dem Verfahren für eine Emigrationserlaubnis.

Neben der Arbeit im Transitzentrum organisiert Martin Fischer seit 1996 auch die freiwillige Rückkehr von in Ungarn gestrandeten Flüchtlingen aus Bosnien. Er kümmert sich um die Beschaffung von Wohnraum, was mit den steigenden Rückkehrzahlen auch aus Deutschland zunehmend schwieriger wird. An die 1000 Flüchtlinge aus Ungarn werden von DKÜ wieder nach Bosnien gebracht, wofür DKÜ den "Menedek-Preis" des UNHCR - Ungarn erhält.

Innenpolitisch engagiert sich DKÜ wie viele andere Hilfsorganisationen gegen die von Politikern fast aller Couleur angestrebte schnelle Rückführung der hier aufgenommenen Flüchtlinge. Die fehlende Infrastruktur in Bosnien, hohe Arbeitslosenzahlen und immer knapper werdender Wohnraum lassen eine massenhafte Rückkehr wie von deutschen Politikern angestrebt, nicht zu, ohne massive soziale Spannungen zwischen verschiedenen Flüchtlingsgruppen zu provozieren. Einzelne Gemeinden und Städte verdoppeln oder verdreifachen ihre Größe durch hinzukommende Rückkehrer, die zusätzlich zu den schon anwesenden Binnenflüchtlingen aufgenommen werden. Flüchtlinge, die aus der Republika Srpska stammen, haben noch immer keine Chance zur Rückkehr dorthin, sodass alle in das Föderationsgebiet drängen. (Die dabei entstehenden Probleme und die Situation der Rückkehrer in Bosnien müssten in einem eigenen Beitrag dargestellt werden, da der Rahmen hier gesprengt würde.)
 

Für "Dom Lonja" wird die Zusammenarbeit mit dem UNHCR wichtiger. Ab Anfang 1997 ist das Transitzentrum ein Subprojekt des UNHCR, d.h. es wird größtenteils mit UNHCR-Geldern finanziert. Die Kosten für den laufenden Betrieb sind enorm, lange konnten sie mit großzügigen Spenden finanziert werden, aber auch bei DKÜ wird das Spendenaufkommen im Laufe der letzten Jahre geringer. Durch die Unterstützung des UNHCR ist Dom Lonja bis zum Herbst 98 die Brücke in ein neues, völlig fremdes Land für die Flüchtlinge. Im Sommer 98 signalisiert das UNHCR, dass sie aufgrund ihrer Budgetkürzungen die Unterstützung einstellen müssen. Dom Lonja kann von DKÜ allein nicht weiter finanziert werden, wir müssen schließen.

So wird das Haus nach knapp sechs Jahren Flüchtlingsunterkunft (in Selbstverwaltung!) wieder an die kroatischen Behörden zurückgegeben. Für DKÜ ein Zeitraum, der zu Beginn nie vorstellbar war. Zur Erinnerung: die Initiative nannte sich zunächst "Den Winter überleben", und erst als deutlich wurde, dass niemand auf ein schnelles Ende des Krieges hoffen konnte, wurde sie im Sommer 93 in "Den Krieg überleben" umbenannt und als Verein konstituiert.

Oktober 98. Gerade zu diesem Zeitpunkt gelingt es Martin Fischer nach längerem Bemühen endlich, eine Besuchsreise für serbische Flüchtlinge aus der Krajina nach Kroatien zu organisieren. (Diese Besuchsreisen können - anders als bei bosnischen Flüchtingen - nicht auf privater Ebene durchgeführt werden.) Hunderte von weiteren Flüchtlingen stehen für solch eine Besuchsreise auf der Warteliste. Im Sinne von Dayton (Recht auf Rückkehr) sind diese Fahrten richtig, nur durch das Durchbrechen des Flüchtlingskarussels kann dieses Prinzip realisiert werden. Zwei weitere Fahrten, die zunehmend konfliktfreier, d.h. ohne Provokationen seitens der jetzigen Bewohner oder Ordnungskräfte auf kroatischer Seite ablaufen, können im Winter noch durchgeführt werden. Ein interessantes, neues Tätigkeitsfeld für DKÜ. Die Weiterarbeit hängt - wie überall - von den Finanzen ab. Wer mehr über die Arbeit von DKÜ erfahren will, kann die DKÜ-Website im Internet anklicken. Die Webpage von DKÜ liefert aktuelle und interessante Informationen für Rückkehrer, Beratungsstellen und Gruppen, die Flüchtlinge betreuen, z.B. relevante Dokumente, Überblick über die Tagespresse zu Bosnien, Balkan News, Chronik 1999, Bosnien für Rückkehrer, Überblick über die Rückkehr seit 1996.

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Beate Roggenbuck ist Mediatorin BM, Trainerin und war Vorstandsmitglied von „Den Krieg überleben“ von 1994 – 2002.