Türkei: Der weite Weg zu einer politischen Lösung des Krieges

von Andreas Buro
Hintergrund
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In den kurdischen Gruppierungen im Exil, in den europäischen und amerikanischen Zusammenschlüssen, die sich der Friedensbeihilfe in der Türkei verschrieben haben, aber auch bei Gruppierungen mit dieser Zielsetzung in der Türkei besteht eine wichtige Übereinstimmung, daß eine politische Lösung für den Konflikt gefunden und verwirklicht werden muß. Wer auf eine militärische Lösung setzt, verlängert nur den Krieg und schadet dem Land schwer. Doch nach wie vor erscheint der Weg dahin lang und beschwerlich .

Zwar erklären auch die Generäle, die Zeit für eine politische Lösung nähere sich, doch sie haben anderes im Sinn. Der bedeutendste Mann im Militär, der Stabschef I.Hakki Karadayi sagt, das Militär habe seine Aufgabe erledigt, nun seien die Politiker dran, ihren Teil beizutragen. Dies muß als ein wichtiges Signal gewertet werden. Kurz danach begann allerdings ihre Invasion nach Nord-Irak, und die internationale Friedenskonferenz, zu der der türkische Menschenrechtsverein IHD mit internationaler Unterstützung im Mai nach Ankara eingeladen hatte, wurde verboten. Die "Stiftung für Kurdische Kultur und Wissenschaft" durfte sich zwar registrieren lassen, als sie aber ihr eigentliches Anliegen, die Lehre der kurdischen Sprache, beginnen wollte, wurde ihr dieses sogleich verboten. Widersprüchliche Signale ?

Mehr als zweifelhaft ist es jedoch, ob von der Seite der politischen Parteien und Eliten ein Fortschritt zum Frieden erwartet werden kann. Sie sind mit der Absicherung ihrer jeweiligen Machtposition so beschäftigt, daß ihnen das Wohl des Landes aus dem Blickfeld gerät. Allein der Abgeordneten-Handel - bis 5 Millionen Dollar pro Stimme sollen gezahlt worden sein - dürfte einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit absorbieren. Die gegen die islamistische Refah-Partei sich bildende Yilmaz-Regierung steht auf so wackeligen Füßen und muß es allen der höchst unterschiedlichen Mitträgern der Regierung Recht machen, daß sie voraussichtlich in Sachen Friedensstiftung kaum handlungsfähig sein wird.

Wirklich wichtig sind die Prozesse, die sich innerhalb der Gesellschaft der Türkei abspielen. Die mühsam gegen Militär und Bürokratie sich entfaltende bürgerliche Gesellschaft benötigt Rechtssicherheit, wirtschaftliche und soziale Stabilisierung, Meinungsfreiheit, Investitionen in die Infrastruktur des Landes und selbstverständlich Frieden im Lande. Die enormen Kosten für den Krieg sind für die Gesellschaft der Türkei entwicklungspolitische Verluste, die auch die strukturellen Voraussetzungen für erfolgreiche privatwirtschaftliche Tätigkeit erheblich beschränken.

Der Verein TÜSIAD, von Unternehmern gegründet, wagt denn auch in seiner jüngsten umfangreichen Studie "Perspektiven der Demokratisierung in der Türkei"* eine schonungslose Kritik der bestehenden Verhältnisse und des türkisch-kurdischen Krieges. Ein weiteres Zeichen für Umdenken in der Gesellschaft der Türkei: Im Mai 97 ist es möglich, eine Konferenz "Gipfel der Armut" in der kurdischen Hochburg Diyarbakir abzuhalten. Die Veranstalter waren TESEV - "Stiftung für ökonomische und soziale Studien" (wiederum des Unternehmerverbands TÜSIAD) gemeinsam mit dem Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) und 35 weiteren zivilen Organisationen. In Istanbul wird eine "Stiftung der Solidarität mit kurdischen Frauen" gegründet. Forschung über die Situation der Frauen steht auf deren Programm, ebenso wie konkrete Hilfe oder die Untersuchung von Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung. Im Protest gegen Korruption unter den politischen Eliten und im Eintreten für einen demokratischen Rechtsstaat beteiligten sich 34,8% der Bevölkerung an der Aktion "1 Minute Dunkelheit für dauerhafte Helligkeit". Hinter der neuen TOSAV-Stiftung für die Erforschung gesellschaftlicher Probleme verbirgt sich ein Projekt, in dem kurdische und türkische Repräsentanten sozialer Gruppen gemeinsam eine "Partnerschaft für Frieden" eingehen. In fast allen Großstädten der kurdischen Region in der Türkei haben sich mittlerweile "Demokratische Plattformen" gebildet, in denen, wie zuletzt in Van, Berufsverbände und Gewerkschaften zusammenarbeiten. Sie sind wichtige Elemente der Selbstorganisation und der gegenseitigen Unterstützung. Daneben ringen türkische Kriegsdienstverweigerer um ihre Anerkennung. Viele weitere Beispiele ließen sich finden.

Wichtig daran ist zweierlei: die Kräfte für die Demokratisierung sind nicht von der nationalistischen Welle im Lande erstickt worden, sondern melden sich konstruktiv und bestimmt zu Wort. Zweitens wird erkennbar, wie eng der Kampf um die Entfaltung einer bürgerlichen Gesellschaft, die in der Türkei noch immer auf der Tagesordnung steht, mit der Friedensfrage verknüpft ist. Demokratie kann sich nicht unter Militäroberaufsicht entwickeln, während der Krieg die militärische Position ständig verstärkt.

Läßt man das gegenwärtige irrlichternde Taktieren der politischen Parteien beiseite und bezieht man das Militär als wichtigen Bestimmungsfaktor von Politik mit ein, so werden vage und sicher auch noch reversible Konturen einer Politik der begrenzten Zugeständnisse von "Zuckerbrot und Peitsche" erkennbar, die den Machthabern in Ankara unter den Bedingungen ihrer vermeintlichen Stärke nun möglich und zur politischen Deeskalation geeignet erscheint. Daß zur gleichen Zeit die wichtigsten Mitglieder des Vorstandes der kurdischen Partei HADEP, die eine große Unterstützung bei der Bevölkerung im kurdischen Gebiet der Türkei genießt, aus fadenscheinigen Gründen zu langen Haftstrafen verurteilt werden und außerdem ein Parteiverbot droht, paßt durchaus in dieses Bild. Denn die "Politik der begrenzten Zugeständnisse" zielt nicht auf Versöhnung und gleichberechtigte zukünftige Kooperation und ist keine Politik der unilateralen Schritte zu diesem Ziel. Sie dient vielmehr der Pazifizierung unter den Bedingungen Ankaras. Das aber bedeutet, eigenständige kurdische Kräfte mit starkem Rückhalt in der Bevölkerung sind nicht gefragt.

In vergleichbaren historischen Situationen in anderen Ländern waren die jeweiligen Machthaber bemüht, von ihnen "abhängige Repräsentanten" der Völker oder sozialen Gruppen aufzubauen. Man hoffte, die Bevölkerung würde die neuen Repräsentanten akzeptieren. Zumindest aber könnte es zu Abspaltungen kommen, wodurch die Aufständischen geschwächt würden. Als abhängige Repräsentanten eignen sich solche sozialen Gruppen, die ein eigenes Interesse wenigstens zum Teil an die Machthaber bindet. Dies konnte z.B. die Aufrechterhaltung von Großgrundbesitz, die Sicherung von traditionellen Gesellschaftsstrukturen oder von Privilegien sein. In der Regel hat sich die Bevölkerung durch solche abhängigen Repräsentanten nicht umpolen lassen, zumal diese aufgrund ihrer Abhängigkeit nur einen sehr geringen Gestaltungsspielraum zur Erfüllung von Forderungen der Menschen hatten. Sehr zu befürchten ist aber, daß auf diese Weise Kämpfe innerhalb der Völker, die um ihre Anerkennung ringen, aufkommen, wie sie gegenwärtig im Nord-Irak zu beobachten sind. Solche Kämpfe schaden der gemeinsamen Sache sehr, stürzen aber auch die Länder in unabsehbare Konflikte.

Elemente der Politik von Zuckerbrot und Peitsche werden im kurdischen Siedlungsgebiet der Türkei bereits systematisch erprobt. Wenn etwa die Bewohner eines Dorfes vor die Alternative gestellt werden, entweder "Dorfschützer" mit Bezahlung und freiem Zugang zu ihren Feldern zu werden, oder einem Embargo ihres Dorfes ausgesetzt zu sein, wobei sie die eigenen Felder nicht mehr bebauen dürfen. Dies ist eine schlimme Form der existentiellen Erpressung und im Grunde eine Variante der "Strategischen Wehrdörfer", wie sie in vielen Teilen der Welt von den früheren Kolonialmächten gegen die Befreiungsbewegungen angewandt wurden. Allerdings ist es den Befreiungsbewegungen oftmals gelungen, solche Wehrdörfer von innen heraus "umzudrehen".

In der von mir vermuteten sich anbahnenden neuen Phase des Konflikts liegen große Gefahren. Werden die Kurden in der Türkei sich gegeneinander aufwiegeln lassen und um die "Repräsentanz der Kurden" miteinander blutig kämpfen? Oder gelingt es ihnen trotz aller unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen die Gemeinsamkeit, den Kampf um die Anerkennung ihrer kurdischen Identität und um Gleichberechtigung in den Vordergrund zu rücken. Im Ringen darum müßte die politische Argumentation in den Vordergrund gestellt, eine vielfältige, aber kooperative und nicht ausschließende Repräsentanz akzeptiert und ein Bündnis mit den Kräften in der Türkei gesucht werden, die aus unterschiedlichsten Gründen für eine Demokratisierung der Gesellschaft und eine Überwindung der politischen Korruption eintreten. Dabei gibt es eine zentrale Bedingung: Die PKK als ein sehr wichtiger Repräsentant der Kurden in der Türkei darf nicht aus dem türkisch-kurdischen Dialog ausgegrenzt werden. Freilich darf sie selbst sich auch nicht zur alleinigen Repräsentantin ernennen wollen. Erst die Kooperation der verschiedenen Kräfte kann eine wirklich tragfähige politische Lösung erreichen, die über "Zuckerbrot und Peitsche" hinausgeht und damit den Krieg überwinden kann.

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