Interview mit Richard Deats

Über die Arbeit im Versöhnungsbund: Leben in außerordentlichen Zeiten

von Rabia Harris

Harris: Du bist praktisch eine Institution im Versöhnungsbund. Wie lange bist Du hier gewesen?

Deats: Ich bin dem Versöhnungsbund am 1. Januar 1998 beigetreten, als ich Student an der McMurry Universität in Abilene/Texas war. Muriel Lester, Reisesekretärin des Internationalen Versöhnungsbundes hatte den Campus zu einer Zeit besucht, als der Kalte Krieg und die Schwarzen Listen, die Senater Joseph McCarthy von angeblichen Kommunisten anlegte, die Furcht und Paranoia des Landes im Griff hatten. Muriel sprach zweimal auf dem Campus - einmal über die Situation in der Welt im Lichte der Bergpredigt, und einmal über das Gebet. Die Verbindung der Reise ins Innere mit dem Blick nach Außen, den sie darstellte, machte einen enormen Eindruck auf mich, und so beschloss ich, dem Versöhnungsbund beizutreten. Ich bin seitdem aktives Mitglied, und habe zu Friedens- und Bürgerrechtsthemen gearbeitet.

Während des Vietnamkrieges lehrte ich an dem Vereinigten Theologischen Seminar in den Philippinen und war Teil von Antikriegsaktivitäten in Südostasien. Aufgrund dieser Arbeit lud mich der Versöhnungsbund ein, in seinem Büro in Nyack, New York zu arbeiten, was ich seit 1972 getan habe. So war ich Angestellter für 33 Jahre, als Direktor für interreligiöse Aktivitäten, als Geschäftsführer und als Herausgeber des Magazins Fellowship. Das ist eine lange Zeit - aber kein Rekord. John Nevin Sayre war 52 Jahre beim VB angestellt!

Harris: Wie ist Dein Interesse an Gewaltfreiheit entstanden?

Deats: Das geht eine lange Zeit zurück. Als Kind war ich in der Sonntagsschule tief beeindruckt durch ein Bild an der Wand, das Jesus umrundet von Kindern verschiedener Rassen und Nationen darstellte. Dies, zusammen mit dem, was die Kirchenschule uns lehrte darüber, Böses durch Gutes zu überwinden, ein Friedensschaffer zu sein und selbst seinen Feind zu lieben, machte mir die Gewaltfreiheit bewusst, die die Lehren von Jesus durchzieht. Es gibt viele, die sagen "die Bibel ist mehr als die Bergpredigt". Dem stimme ich zu - aber was ich gesehen habe, ist christliche Lehre und Praxis, die viel weniger als die Bergpredigt ist. Ich wurde nie von jenen überzeugt, die auf Appell der Nation hin marschieren, um den Feind niederzumetzeln und seine Städte und sein Land zu zerstören. Im Versöhnungsbund habe ich PazifistInnen aus jüdischen, muslimischen, hinduistischen und buddhistischen Traditionen getroffen, und ich habe entdeckt, dass ich mit ihnen viel mehr gemein habe als mit den christlichen Kriegs-Apologeten.

Harris: Was sind für Dich die Höhepunkte Deiner Karriere?

Deats: Was für ein Privileg und was für eine Herausforderung ist es gewesen, in einer Ära zu leben, in der Gewaltfreiheit - "so alt wie die Berge", sagte Gandhi - sich auf der ganzen Welt ausgebreitet hat, das Schicksal von Individuen, Nationen und Völkern dahingehend beeinflusst hat, Ungerechtigkeit und Unterdrückung gewaltfrei zu überwinden.

Ein Höhepunkt, wenn ich zurückblicke, war meine Beteiligung in der Bürgerrechtsbewegung, das Ende von Jim Crow zu sehen, und dann mit Coretta Scott King zu arbeiten. Es war eine Belohnung, im Rose Garden zu sein, als Präsident Reagan das Gesetz unterzeichnete, das Dr. Kings Geburtstag zu einem Nationalfeiertag machte. Reagans anfängliche Ablehnung dieses Gesetzes wurde durch eine entschlossene Bewegung im gesamten Land überwunden - eine Lektion, die wir uns merken sollten.

Seit der Mitte der 70er Jahre habe ich in der ganzen Welt Workshops über revolutionäre und/oder unterdrückerische Situationen abgehalten. Eine Gelegenheit war z.B. eine Reise nach Süd Korea während der Diktatur von Park. Obwohl ich von dem koreanischen CIA fast die ganze Zeit beschattet wurde, schafften es meine Gastgeber, unangekündigte Trainings in Gewaltfreiheit abzuhalten und zu verschiedenen Zuhörerschaften zu sprechen. Es war auf dieser Reise, dass ich den koreanischen Gandhi, den Quäkler Ham Sok Hohn traf.

Ich hatte die Philippinen während der Diktatur von Marcos verlassen. Ich wurde eingeladen, zurückzukehren, um Jean und Hildegard Goss-Mayr bei ihrer Arbeit mit der gewaltfreien Widerstandsbewegung gegen Marcos zu helfen. Wir trafen Gruppen auf ganz Luzon. Diese Bemühungen trugen zu der People Power Bewegung bei, die 1986 das Marcosregime gewaltfrei stürzte und die gewaltfreien Bewegungen in Burma, China, Chile und anderen Orten inspirierte.

Hildegard und ich haben später Workshops in Hong Kong und Südkorea geleitet, und (mit Jean Goss) an ähnlichen Anstrengungen in Bangladesh, sowie der ersten Konferenz über Gewaltfreiheit in der Sowjetunion teilgenommen. Dies brachte mich dazu, Delegationen des Versöhnungsbundes nach Moskau und Litauen zu bringen, um dort die ersten Trainings in Gewaltfreiheit abzuhalten.

Ebenso erinnernswert waren die vielen Reisen in die Sowjetunion und Osteuropa - Versöhnungsreisen an Orte, wo viele dachten, dass Krieg zwischen der kommunistischen und der kapitalistischen Welt unvermeidbar sei. Die Angst bei diesen frühen Reisen wurde immer mehr zu Vorfreude, als Graswurzel-Diplomatie eine beinahe unwiderstehliche Welle von Freundschaft zwischen Ost und West ins Leben rief. Als wir anfingen, Sowjetbürger in dieses Land zu bringen, sahen wir Barrieren schmelzen und Hoffnung auf Frieden aufblühen. Wir lebten die Wahrheit dessen, was Präsident Eisenhower gesagt hatte: "Eines Tages werden die Menschen so sehr Frieden wollen, dass die Regierungen aus dem Weg gehen müssen und ihnen erlauben, Frieden zu haben."

Harris: Von den vielen Dingen, mit denen Du zu tun hattest, welche waren die größte Herausforderung? Was stellte für Deine Ideale die schwierigsten Prüfungen dar?

Ich würde sagen, dass das Schwierigste und Herausforderndste über die ganzen Jahre nicht nur das Zögern sondern die Ablehnung der institutionellen Kirche in Bezug auf die radikale Natur der Lehre "Liebe Deinen Nächsten" gewesen ist. Immer in einer Minderheit zu sein, ist ein dauernder Test der eigenen Ernsthaftigkeit.

Harris: Wie siehst Du die Entwicklung des Versöhnungsbundes über die Jahre? Ist er derselbe geblieben, oder hat er sich verändert, und wenn ja, wie?

Deats: Anfänglich bedeutete Widerstand gegen Krieg, grundsätzlich Nein zu sagen. Die Weigerung zu töten oder Hass und Gewalt gutzuheißen waren - und bleiben - unverzichtbarer Teil unserer Mission. Aber im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde Gewaltfreiheit immer zentraler für unser Verständnis von dem, was es heißt, eine pazifistische Einstellung zu leben. Den größten Anstoß dafür hat die gandhianische Bewegung erst in Südafrika und dann in Indien gegeben.

Gandhi experimentierte mit Gewaltfreiheit als einer Lebensweise und einer Strategie des Wandels. Dieses "Experiment mit der Wahrheit", wie er es nannte, hatte einen enormen Einfluss überall auf der Welt, wo Individuen und Gruppen gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung und dafür, das Martin Luther King Jr die "geliebte Gemeinschaft" nannte, kämpfen. Der Versöhnungsbund ist durch Gandhis Experimente tief beeinflusst worden. Das Gewicht, das wir gegenwärtig auf gewaltfreies Training legen, kommt daher.

Zum zweiten glaube ich, dass eine wesentliche Entwicklung war, dass der Versöhnungsbund zu einer interreligiösen Organisation wurde. Über die Jahre und durch viele Kampagnen hat der VB gewaltfreie Traditionen in anderen Glaubensrichtungen entdeckt.

Harris: Viele Menschen meinen, dass es ein persönliches Opfer bedeutet, in Übereinstimmung mit einem Ideal zu leben. Wie hat Dein lebenslanges Engagement für Gewaltfreiheit Dein persönliches Leben beeinflusst?

Deats: Ich denke oft an eine amerikanische Krankenschwester in Asien, die in einer Lepra-Krankenstation arbeitete. Ein Besucher sagte zu ihr: "Ich würde das nicht für eine Million Dollar tun:" "Ich auch nicht", antwortete sie.

In unserer von Geld getriebenen Gesellschaft meinen viele Menschen, das Erfüllung mit Einkommen zu tun hat. Aber ich kann mir kein erfüllenderes Leben vorstellen, als das Privileg zu haben, an einer gewaltfreien Zukunft zu arbeiten. Und dafür bezahlt zu werden - selbst wenn es nicht sehr viel ist! - ist unvergleichlich.

Ich bin dadurch gesegnet, dass meine Frau Jan ebenso engagiert im Musikbereich arbeitet wie ich für Frieden. Unsere Herausforderung ist, unsere Beziehung in der Mitte der beruflichen Anforderungen stark zu erhalten.

Harris: Was hat am meisten Spaß gemacht?

Deats: Gandhi sagte, "Wenn ich nicht einen Sinn für Humor hätte, hätte ich mich schon lange umgebracht". Ich habe gefunden, dass eine der Charakteristiken vieler Bewegungen für sozialen Wandel ihr Sinn für Humor ist und die Fähigkeit, Freude selbst inmitten der hässlichsten Situationen zu finden. Das habe ich besonders in der Bürgerrechtsbewegung und in den Bewegungen in Südafrika und den Philippinen gesehen.

Kardinal Jaime Sin war Oberhaupt der Katholischen Kirche in den Philippinen während des Marcos-Regimes. Als sich der Kardinal schließlich gegen die Diktatur wandte, war dies von ungeheurer Bedeutung für die People Power Bewegung, und führte zu dem Witz, dass einer der Gründe, warum Marcos besiegt wurde, war, dass er "ohne Sin" (sin = englisch Sünde) gewesen sei. Als die Apartheidsregierung purpurfarbenes Wasser auf Demonstranten in Capetown sprühte, erfanden Tutu und andere ein neues Motto: "Purpur soll regieren!"

Aus diesen Gründen schrieb ich das Buch "How to Keep Laughing Even Though You`ve Considered All the Facts" (etwa: `Wie man das Lachen behält obwohl man alle Tatsachen berücksichtigt`). Der Texaner Molly Ivins erinnert uns: "So kämpft weiter für Freiheit und Gerechtigkeit, meine Geliebten, aber vergesst nicht, dass Ihr Spaß daran habt. Denn Ihr werdet nicht immer gewinnen. Benehmt Euch empörend, macht Euch über die Kinderschrecks lustig, findet Vergnügen an all dem Seltsamen, das von Freiheit verursacht wird. Und wenn Ihr damit fertig seid, Leute in den A. zu treten und das schlichte Vergnügen an einem guten Kampf zu feiern, stellt sicher, dass Ihr denen, die nach Euch kommen, sagt, wie viel Spaß es gewesen ist."

Harris: Wie siehst Du die Situation in der Welt? Hast Du Hoffnung, was die kurzfristige Perspektive angeht, oder nur für eine langfristige?

Deats: Das ist wirklich eine schwierige Frage. Wenn man sich die gegenwärtige Politik ansieht, so muss man sich fragen, ob der Mensch einen Todestrieb hat. Unser Angriff auf die Welt für kurzfristige finanzielle Gewinne bleibt in unserem Land fest im Sattel. Jahrzehnte wichtiger Verbesserungen im Umweltbereich werden von der Bush-Administration und ihrer Politik zerstört, die die reichsten und räuberischsten Segmente unserer Gesellschaft fördert. Und anstatt seine entwürdigende Präsidentschaft aus dem Amt zu jagen, wurden die WählerInnen durch Lügen, Rauch und Spiegel getäuscht und ließen ihn für weitere vier Jahre zurückkehren. Ich muss an die Worte von Joanne d`Arc in George Bernard Shaws Theaterstück "Die heilige Johanna" denken: "Manche Leute sehen Dinge so wie sie sind und fragen `Warum`? Ich träume von Dingen, die es nie gab und frage `Warum nicht?`

Harris: Gibt es noch etwas, das Du unseren Lesern sagen möchtest?

Deats: Die Dicherin Adrienne Rich schrieb: "Ich muss mich denen anschließen, die, Zeitalter nach Zeitalter, in perverser Weise, ohne außergewöhnliche Macht, die Welt neu erschaffen". Ich sehe unsere LeserInnen und Mitglieder des Versöhnungsbundes als Teil dieses rettenden Rests, die, unabhängig von Mode, die Macht von Wahrheit und Liebe bezeugen, wie sie Falschheit und Hass überwindet, und auf diese Weise die Welt neu erschaffen.

Der Artikel stammt aus der Mai-Juni Ausgabe der Zeitschrift "Fellowship" und wurde leicht gekürzt. Quelle: http://forusa.org/fellowship/may-june_05/deats.html.

Übersetzung: Christine Schweitzer

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Richard Deats war bis vor kurzem Herausgeber der Zeitschrift des US-Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes. Er ist einer der bekannten Persönlichkeiten der US-Friedensbewegung.