Überwachungsstaat: Polizei-Datei "Straftäter linksmotiviert"

von Martin Singe
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Immer öfter wird bekannt, dass engagierte Bürgerinnen und Bürger aufgrund ihrer politischen Betätigungen in der polizeilichen Datei "Straftäter linksmotiviert" erfasst werden. Offiziell dürfen in dieser Datei nur "Straftäter" erfasst werden. Offensichtlich reicht aber schon die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder auch einfach nur die Wahrnehmung des Versammlungsrechts, um in die staatsschnüfflerische Gesinnungstäter-Datei zu geraten.

So sind z.B. zwei Mitglieder des Komitees für Grundrechte und Demokratie und der Pax-Christi-Gruppe Bonn wegen eines Aufrufes von 1999 an die Soldaten der Bundeswehr, den rechtswidrigen Einsatz im Krieg der NATO gegen Jugoslawien zu verweigern, mit dem personenbezogenen Hinweis "Straftäter linksmotiviert" in der entsprechenden Polizei-Datei gespeichert worden. Das ergaben jetzt eine Anfrage und Akteneinsichtnahme der Betroffenen im Januar 2008 beim Polizeipräsidium Bonn. Obwohl der Soldaten-Aufruf seinerzeit in letzter Instanz vom Kammergericht Berlin mit einem Freispruch bedacht wurde, da der Text vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sei, erfolgte aufgrund des Ermittlungsverfahrens ein polizeilicher Eintrag. Gemäß Polizeigesetz NRW müssen solche Daten bei Wegfall des Verdachts der Begehung einer Straftat eigentlich gelöscht werden.

Das Komitee für Grundrechte hat in einer öffentlichen Erklärung die systematische rechtswidrige Speicherung von Daten über politisch motivierte Betätigungen im Rahmen der Grundrechte scharf kritisiert. Durch diese rechtswidrigen Praktiken sollten Bürgerinnen und Bürger von der Ausübung ihrer Grundrechte abgeschreckt werden. Eine solch tiefgreifende Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dürfe nicht hingenommen werden. Polizeiliche Praktiken, die zu Generalüberwachung von und Generalverdacht gegen Bürgerinnen und Bürger bei deren Wahrnehmung ihrer Grundrechte führen, gefährdeten die Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft. Die Kriminalisierung bürgerrechtlichen Engagements könne zudem nachhaltige Folgen für andere Freiheits- und Grundrechte haben. Mehrfach wurden Personen, die in der Datei "Straftäter linksmotiviert" gespeichert sind, restriktive Reise- bzw. Aufenthaltsauflagen oder Platzverweise im Kontext von Demonstrationen auferlegt. Im Falle von Beamten und Beamtenanwärtern sind Benachteiligungen bis hin zum Berufsverbot möglich.

Verwaltungsgerichtsklage eingereicht
Einer der Betroffenen hat im Januar 2008 beim Verwaltungsgericht Köln Klage eingereicht, um die Rechtswidrigkeit der Datenspeicherung feststellen und deren Löschung anordnen zu lassen. In seinem Fall sind in der Kriminalakte zusätzlich Daten über die Beteiligung an diversen anderen grundrechtlich geschützten Demonstrationsereignissen gespeichert, u.a. sogar die versammlungsrechtliche Anmeldung einer kleinen Mahnwache mit 15 Personen zum G-8-Gipfel in Köln 1999.

Die Einsichtnahme in die Kriminalakten hat ergeben, dass über die darin aufgeführten und zur Einsicht freigegebenen Daten hinaus nicht einsehbare Daten bei der Staatsschutzabteilung gesammelt werden. Außerdem waren die Kriminalakten der Betroffenen zwischen schriftlicher Auskunftsmitteilung im Sommer 2007 über die gespeicherten Daten und dem Termin der Einsichtnahme im Januar 2008 um einen weiteren Vorgang über einen Soldaten-Aufruf aus Anlass des Irak-Krieges 2003 angereichert worden. Offensichtlich existieren bei den Staatsschutzabteilungen Datenspeicherungen, die in rechtswidriger Weise geheim gehalten werden.

Auch Atomkraftgegner betroffen
Das Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim teilte im Januar 2008 mit, dass etliche Aktive aus diesem Bündnisses in der 2004 vom LKA Baden-Württemberg eingerichteten politischen Straftäterdatei AD PMK (Arbeitsdatei Politisch motivierte Kriminalität) gespeichert sind. Atomkraftgegner W. berichtet, dass er aufgrund dieses Datei-Eintrages von einer Dame der örtlichen Polizeibehörde Ludwigsburg antelefoniert wurde, da diese einen Verantwortlichen für einen anti-akw-Sonntagsspaziergang suchte. W. teilt der Dame mit, dass er nicht der Verantwortliche sei, und bezweifelte, ob es überhaupt eines Verantwortlichen bedürfe. Die Polizistin teilte ihm daraufhin mit, dass man ja wohl wisse, "zu welchen gewalttätigen Auseinandersetzungen es in der Vergangenheit schon öfter gekommen wäre und welche Rolle er dabei gespielt hat". Nach einer Irrgarten-mäßigen Auskunftssuche von Behörde zu Behörde wurde ihm schließlich mitgeteilt, dass aus Gefahrenabwehrgründen nichts mitgeteilt werde. Nachdem das BKA mitgeteilt hatte, dass Daten zu seiner Person in den Verbunddateien "Kriminalaktennachweis" und "Innere Sicherheit" gespeichert seien, teilte ihm das LKA schließlich mit, dass "eine weitergehende Auskunftserteilung unterbleibt", denn "die Speicherung erfolgt gemäß § 38 PolG BW zum Zwecke der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten". - Immerhin sind die NRW-Polizisten zumindest auskunftsbereiter als die baden-württembergischen. In jedem Fall ist eine solche Auskunftsverweigerung skandalös und nicht hinnehmbar!

Vorstehende Zitate sind der Pressemitteilung des Aktionsbündnisses CASTOR-Widerstand Neckarwestheim entnommen, das angesichts der Fakten folgendes (Zwischen-)Resümee zieht: "Aktive Atomkraftgegner werden vom LKA mit der Erfassung in der politischen Straftäterdatei AD/PMK bewusst kriminalisiert. Ihre Straftaten bestehen in der Teilnahme und der Organisation von Versammlungen und Demonstrationen. Das können wir uns nicht gefallen lassen."

Alle, die irgendeinen Verdacht haben, dass auch ihre Daten aufgrund politischer Aktivitäten gespeichert sein könnten, sollten bei den entsprechenden Polizeidienststellen, Verfassungsschutzbehörden, LKAs und beim BKA anfragen und ggf. die Löschung ihrer Daten beantragen. Wer möchte, kann seine Erkenntnisse über polizeiliche Datensammlungen dem Komitee für Grundrechte und Demokratie mitteilen. Ob daraus eine Aktion oder Kampagne für die ersatzlose Abschaffung der Datei "Straftäter linksmotiviert" werden kann, ist jetzt nicht absehbar. Jedenfalls sollte jede/r Betroffene erst mal selbst aktiv werden und sich solcher Kriminalisierung widersetzen!

Kontakt: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln; info [at] grundrechtekomitee [dot] de. Und CASTOR-Widerstand Neckarwestheim, c/o Herbert Würth, Tel.: 07144 -839889.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".