Nachruf

Ulrich Albrecht

von Ute Finckh-Krämer

Der national und international renommierte Friedensforscher Ulrich Albrecht (* 30.1.1941) ist am 26. Dezember 2016 gestorben. Durch einen schweren Schlaganfall im Sommer 2001 war er die letzten 15 Jahre seines Lebens teilweise gelähmt. Zunächst konnte er noch in begrenztem Umfang im Rollstuhl sitzend seine Arbeit als Hochschullehrer fortsetzen, musste dann aber vorzeitig in den Ruhestand gehen und wurde einige Jahre vor seinem Tod zum Pflegefall.

Das erste Mal den Namen Ulrich Albrecht gehört habe ich als ungefähr Zehnjährige. Damals war mein Vater Studentenpfarrer in Hamburg, und Ulrich Albrecht einer der Vertrauensstudenten in der dortigen ESG. Als Jugendliche habe ich mitbekommen, dass er in Berlin Professor für Friedensforschung wurde. Und bald fing ich an, seine Texte zu Militär, Rüstung und Abrüstung als solide und verlässliche Quellen für meine friedenspolitische Arbeit zu schätzen. Dass er als Ingenieur (er hatte Flugzeugbau studiert) Friedensforscher geworden war, ermutigte mich als Mathematikstudentin, friedenspolitische Texte zu lesen und als Fachfremde an friedenspolitischen Publikationen mitzuarbeiten. Seine Veröffentlichungen basierten in der Regel auf Zahlen und Fakten, die er mit seinem Fachwissen als Ingenieur analysieren, kritisch hinterfragen und verständlich aufbereiten konnte. Ich habe ihn auf zahlreichen Veranstaltungen, Tagungen und Konferenzen live erlebt, mit ihm im informellen Teil diskutiert. Er war ein aufmerksamer Zuhörer, der sachliche und treffende Antworten gab und von dem ich wie vermutlich viele andere Friedensbewegte sehr viel gelernt habe.

Sein Forschungsgebiet reichte von technischen Entwicklungen im Rüstungsbereich über die Dynamik von Rüstungswettläufen und Rüstungskontrollbemühungen bis zu den Auswirkungen von Rüstung und Militär auf Staaten und die Lebensbedingungen der Menschen. Er erstellte militär- und rüstungsbezogene Länderanalysen, kämpfte argumentativ gegen den NATO-Doppelbeschluss vom 12.12.1979 und unterstützte argumentativ die GewerkschafterInnen, die sich für Rüstungskonversionsprojekte einsetzten. Er begleitete bis zu seinem Schlaganfall die Außenpolitik der ersten Rot-Grünen Koalition im Bundestag kritisch-konstruktiv.

Sein Wissenschaftsverständnis war ein öffentliches und politisches. Er sah sich in der Pflicht, mit den Ergebnissen seiner Arbeit Debatten zu initiieren und zu beeinflussen, um so Entscheidungsprozesse mit zu formen und zu demokratisieren. So hat er in den frühen 70er Jahren die „Studiengruppe Militärpolitik“ mitbegründet, die über mehrere Jahre Texte zu verschiedenen militärpolitischen Themen veröffentlicht hat, von einem „Anti-Weißbuch“, das 1974 erschien, über einen Band zur Nationalen Volksarmee bis zu Bänden, die sich mit den Widersprüchlichkeiten von Rüstungskontrolle beschäftigten. Damit wurden Voraussetzungen für die informierte, kritische Diskussion um die „Nachrüstung“ in den 1980er Jahren geschaffen.

Als Leiter des Planungstabes des kurzzeitigen Außenministers der DDR, Markus Meckel, versuchte er, seinen Vorstellungen eines gegenüber beiden Militärblöcken auf Äquidistanz gehenden Deutschlands näher zu kommen.

Doch nicht nur seine wissenschaftliche Arbeit ist von Bedeutung. Er verstand sich immer auch als am Pazifismus orientierter Wissenschaftspolitiker. Er war mehrmals Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung, von 1971 bis 1973 und von 1998 bis 2002. Als Grenzgänger zwischen den Ingenieurwissenschaften und politologischer Friedensforschung legte er Grundlagen für die naturwissenschaftliche Friedensforschung, die er von Anfang an förderte.

Ulrich Albrecht hat neben seinen zahlreichen fachwissenschaftlichen Publikationen die Fachzeitschriften der Friedensbewegung als Ratgeber, Autor und fachlicher Berater unterstützt, politische Aufrufe mitgetragen und Aktionen der Friedensbewegung argumentativ begleitet. Z.B. war er viele Jahre Beiratsmitglied der Zeitschrift „Wissenschaft und Frieden“ und hat die „ami“ (Antimilitarismus-Information) unterstützt. Er brachte seine pazifistische Grundeinstellung mit einer klaren und sachlichen Analyse militärischen Handelns zusammen, die auch für die nachvollziehbar war, die sich nicht als PazifistInnen verstanden. Sehr eindrücklich war für mich ein Erlebnis auf einer öffentlichen Veranstaltung im Friedenszentrum Martin-Niemöller-Haus zum Kosovo-Krieg im Mai 1999. Ulrich Albrecht analysierte und kritisierte die politischen Entscheidungen, die zur militärischen Eskalation des Konfliktes geführt hatten. Schließlich meldete sich ein Student und fragte sinngemäß: „Wenn Sie keine fundamentalen Fehler der Politiker gefunden hätten, wären Sie denn dann für den Krieg?“. Ulrich Albrecht antwortete mit einem kurzen Satz: „Nein, dann wäre ich immer noch dagegen, weil ich Pazifist bin.“

Fast nicht zu glauben ist angesichts dieses Lebenswerkes, dass es keinen Wikipedia-Eintrag zu Ulrich Albrecht gibt – vielleicht findet sich jemand, der ihn schreibt?

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