Eine Sisyphus-Aufgabe

Unbewaffneter ziviler Schutz in den palästinensischen Gebieten

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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In der Westbank arbeitet eine Vielzahl von Gruppen und Organisationen, israelisch-palästinensische, internationale und auch lokale rein palästinensische Gruppen, die sich seit Jahrzehnten für den Schutz der Zivilbevölkerung und Aktivist*innen vor der Gewalt israelischen Militärs und Siedler*innen einsetzen. Sie begleiten Menschen durch israelische Checkpoints, Kinder zur Schule, wo sie nah an Siedlungen vorbeigehen müssen, helfen bei der Olivenernte oder beobachten die illegale Zerstörung von Häusern von Palästinenser*innen in Ostjerusalem und anderenorts.

Einige dieser Organisationen und Projekte sollen hier kurz vorgestellt werden; daneben gibt es etliche andere, die vor allem kurzzeitige Delegationen zur Unterstützung der Olivenernte in der Westbank entsandten oder Informationsreisen in die Region veranstalteten, die ebenfalls eine gewisse Schutzwirkung einfach durch die Präsenz von Ausländer*innen ausüben.

Ökumenisches Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI)
Das Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) wurde 2002 gegründet. Durch EAPPI sind kontinuierlich 25 bis 30 ökumenische Schutzbegleiter*innen aus bislang 21 verschiedenen Ländern für jeweils drei Monate vor Ort, „um Menschen und Gemeinwesen zu begleiten, sie durch ihre Anwesenheit zu schützen und den täglichen Kampf und die Hoffnungen der Menschen mit eigenen Augen zu sehen. EAPPI verfolgt strikt das Prinzip einer ‚grundsätzlichen Unparteilichkeit‘: Es ergreift für keine Seite in dem Konflikt Partei und diskriminiert niemanden; nicht neutral ist es jedoch, wenn es um Menschenrechte oder die Achtung des humanitären Völkerrechts geht.“ EAPPI hat auch recht viele Freiwillige aus Deutschland. (1)
 
Community Peacemaker Teams (CPT)
Community Peacemaker Teams, früher „Christian Peacemaker Teams“ (CPT) ist das älteste Projekt dieser Art in Palästina. Es begann 1993 mit einem Einsatz in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen und war eines der ersten Projekte, die nach der Gründung des CPT in den 1980er Jahren durchgeführt wurden. CPT entstand aus der Tradition der „Friedenskirchen“, die Pazifismus und Gewaltlosigkeit als zentrale Grundsätze des christlichen Glaubens betrachten.

Neben der Schutzpräsenz des CPT vor Ort engagierte es sich auch in der politischen Interessenvertretung im Zusammenhang mit der israelischen Besatzung. CPT sagt in seinem Mandat, dass es „den von Palästinensern geführten, gewaltfreien Basiswiderstand gegen die israelische Besatzung und die ungerechten Strukturen, die sie stützen“ unterstützt. (2)

Operazione Colomba
„Operation Taube“ ist ein italienisches Projekt, das Mitte der 1990er Jahre von italienischen katholischen Aktivist*innen gegründet wurde. (3) Sie begannen ihre Arbeit in Hebron 2004, als örtliche palästinensische Führer um internationale Hilfe baten, ihre Kinder auf dem Schulweg vor Schikanen zu schützen. Seitdem ist das Team ständig im palästinensischen Dorf At-Tuwani präsent. Ihre Hauptprojekte sind die Begleitung von Kindern zur und von der Schule und die Begleitung von Hirten zu und von ihren Feldern (die an nahegelegene israelische Siedlungen grenzen).

Meta Peace Team
Meta Peace Team (MPT) ist eine US-amerikanische Organisation, die in Palästina mit Delegationen, von wenigen Wochen bis zu drei Monaten präsent ist. MPT-Teams engagieren sich für Gewaltlosigkeit und schützen Zivilist*innen auf vielfältige Weise, beispielsweise durch Begleitung und Präsenz, Monitoring und Bloggen sowie durch Vermittlung. MPT-Mitglieder haben Proteste in der Stadt Bil’in beobachtet und daran teilgenommen und palästinensischen Bauern bei der Olivenernte im Herbst geholfen. (4)

Die Internationale Solidaritätsbewegung
McCarthy & Pinckney (s. Fußnote 2) schreiben zur ISM: “Die Internationale Solidaritätsbewegung (ISM) wurde während der Zweiten Intifada offiziell gegründet und ging aus einer lokalen palästinensischen Organisation hervor: dem Zentrum für Annäherung zwischen den Völkern. Lokale Aktivist*innen stellten sich das ISM als ein Mittel für internationale Aktivisten vor, sich dem palästinensischen Kampf zur Beendigung der Besatzung anzuschließen, und zwar auf jede Art und Weise, die lokale palästinensische Gruppen als am hilfreichsten erachteten. Zu diesem Zweck ist das Mandat der ISM ausdrücklich politisch: ‚den palästinensischen Volkswiderstand zu unterstützen und zu stärken‘. ISM verlangt von seinen Teilnehmer*innen Gewaltlosigkeit, erkennt aber ein ‚legitimes Recht der Palästinenser auf bewaffneten Kampf‘ an“.

ISM verzeichnete mindestens fünf Opfer unter ihren Freiwilligen: So wurde z.B. 2003  Rachel Corrie von einem israelischen Bulldozer überfahren, als sie versuchte, sich davor hinzulegen, um das Haus ihrer palästinensischen Gastfamilie vor dem Abriss zu schützen, und der britische ISM-Aktivist Tom Hurndall wurde von einem israelischen Scharfschützen getötet, als er palästinensische Schüler*innen begleitete.

Organisationen vor Ort
Es gibt mehrere israelische und gemischt israelisch-palästinensische Menschenrechtsorganisationen, die in ähnlicher Weise tätig sind. Das Israeli Committee Against House Demolitions (Komitee gegen die Zerstörung von Häusern) fokussiert sich auf die Verhinderung des Abrisses von palästinensischen Häusern durch Israel. Machsom Watch ist eine Frauenorganisation, die u.a. an Checkpoints und bei Gerichtsverfahren präsent ist und sowohl Menschenrechtsverletzungen dokumentiert wie versucht, sie zu verhindern. B’tselem beobachtet Menschenrechtsverletzungen, greift aber nicht aktiv ein. Die Combatants for Peace (CFP) sind eine binationale Organisation aus Israelis und Palästinenser*innen. Sie wollen zeigen, dass ein Zusammenleben möglich ist, und unterstützen gewaltfreien Widerstand in Israel und Palästina. Ta’ayush ist eine Organisation, die israelische und palästinensische Aktivist*innen zusammenbringt, um an gewaltfreien Aktionen gegen die Besetzung des Westjordanlandes teilzunehmen. Es wurde im Jahr 2000 gegründet und protestiert regelmäßig gegen die Zerstörung von Häusern und Dörfern, den Bau von Barrieren, die Beschlagnahmung von Land und die Gewalt durch Siedler und israelische Sicherheitskräfte. Das Center for Jewish Nonviolence bringt internationale jüdische Freiwillige ins Land, die den palästinensischen Widerstand unterstützen wollen (5)

Ebenso gibt es in Palästina einige Organisationen, die sich als Teil des gewaltfreien Widerstands gegen die Besatzung verstehen – zum Beispiel der Holy Land Trust und das Palestine Center for Peace and Democracy. (6) Sie sind aber nicht speziell im Feld der Schutzbegleitung engagiert.

Nach dem Hamas-Angriff
Die Situation der israelischen Friedensgruppen war schon vor dem Angriff der Hamas eher prekär und hat sich seit dem 7. Oktober weiter verschlechtert. (Siehe den Beitrag von Sergeiy Sandler in diesem Heft.) Die internationalen Gruppen setzten ihre Präsenz weitgehend aus; CPM hatte erstmal nur noch lokale Freiwillige im Einsatz. Eigentlich alle planen aber jetzt die Rückkehr oder sind schon zurück. (7)

Die Wirksamkeit des Schutzes durch die internationalen und israelischen Freiwilligen muss allerdings als begrenzt eingestuft werden. Während ihre Anwesenheit in vielen Fällen wohl zur Entschärfung einer Konfrontation beigetragen hat und über viele Jahre z.B. den palästinensischen Landwirten überhaupt erst ermöglichte, ihre Olivenernte einzufahren, ist eine zunehmende Bereitschaft von Seiten des Militärs und der Siedler*innen zu beobachten, sich nicht länger durch das Prinzip „Die Welt schaut zu“ von ihren Übergriffen abhalten zu lassen.

Anmerkungen
1 https://www.oikoumene.org/de/what-we-do/eappi
2 https://cpt.org/programs/palestine, und Eli McCarthy and Jonathan Pinckney (2017): ‘Unarmed Civilian Protection in the Israeli and Palestinian Conflict’, in: Ellen Furnari (Hrsg.) (2017): Wielding Nonviolence in the Midst of Violence: Case Studies of Good Practices in Unarmed Civilian Protection, S. 67 ff
3 https://www.operazionecolomba.it/palestina.html und McCarthy & Pinckney a.a.O.
4 https://www.metapeaceteam.org/international-peace-teams und McCarthy & Pinckney a.a.O.
5 Die Websites dieser Organisationen: https://icahd.org/, https://www.machsomwatch.org/en/content/home-page-machsomwatch, https://www.btselem.org/, https://cfpeace.org/, https://taayush.org/, https://cjnv.org/
Außerdem sind noch tätig: International Women’s Peace Service (keine Website, nur Facebook-Auftritt) und die Presbyterian Peace Fellowship, https://www.presbypeacefellowship.org/
6 https://www.holylandtrust.org/; https://pcpd.ps/en/
7 Informationen, die die Autorin über Emails der internationalen Liste „UCP Accompaniment“ erhalten hat.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.