Nukleare Abrüstungsbewegung schließt erstes Atomwaffendepot

Unfaßbare Atomwaffen

von Jürgen Hossbach
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"Wo ist der Feind?" war auf einem der zahlreichen Transparente zu le­sen, die von den etwa 70 AtomwaffengegnerInnen am 15. und 16. Juni 1996 in die Eifel gebracht wurden. Fündig wurden sie - ein Atomwaf­fenlager der US-Streitkräfte mit vermutlich 10 Atombomben des Typs B 61 und ein Flugplatz des 33. Jagdbombergeschwaders (mit deutschen Tornados). Diese sollen im Falle eines Nukleareinsatzes die US-Bomben zu ihrem Ziel bringen. In Büchel mussten die Teilnehmenden an der Ak­tion erfahren, daß die 20 Atomwaffen wahrscheinlich nicht mehr an ih­rem ursprünglichen Lagerungsort im US-Depot zu finden seien. Abge­rüstet?

- Nein. Beobachter aus der Region hat­ten festgestellt, daß es seit einigen Jah­ren nicht mehr zu Atombombentrans­porten vom Waffenlager zum Flugge­lände gekommen war. Ihre Vermutung geht dahin, daß sich die Kernwaffen mittlerweile in nächster Reichweite zu ihren Trägersystemen, den Tornados der Bundeswehr, auf dem Flughafenge­lände befinden.

"Atomwaffen sind unfassbar", sagte ein Aktionsteilnehmer während der letzten Vorbereitung am Samstagnachmittag. Damit sprach er einen Umstand an, unter dem unsere Gesellschaft leidet: Daß nämlich einerseits in unserer un­mittelbaren Nähe Atomwaffen lagern, die ein unfassbares Tötungspotential ha­ben, und wir trotzdem nichts dagegen tun. Andererseits sind sie nicht fassbar, weil Informationen über ihren Standort und ihre Anzahl unterdrückt werden. Sie sollen außerhalb des Bewusstseins ge­halten werden.

Die "unfassbaren" Atomwaffen, waren auch in Büchel nicht dingfest zu ma­chen. Im Konsensverfahren einigten sich darum die etwa 50 Personen starke Vorbereitungsgruppe darauf, an beiden mutmaßlichen Standorten ein Signal ge­gen die weitergehende Atomwaffenent­wicklung an die Öffentlichkeit und an Washington zu senden.

Blockade und Schließung

Eine Vorausgruppe staffierte am 16.6. gegen 9.30 Uhr die Brücke über die B 259, die als direktes Verbindungsstück das Atomwaffenlager und das Flugge­lände verbindet, mit großen herabhän­genden Transparenten aus. Damit konnten schon im Vorfeld der Aktion Reisende auf der stark befahrenen Bundesstraße auf die Problematik der immer noch existenten Atomwaffen aufmerk­sam gemacht werden. Um 10.00 Uhr blockierten dann etwa 50 Menschen das Haupttor zum Flughafen Die Blockie­renden kamen aus allen Gegenden Deutschlands. Die jüngste Aktionsteil­nehmerin war etwa 1/2 Jahr alt, während die älteste 83 Jahre zählte. In einer ab­solut gewaltfreien Atmosphäre wurde der Asphalt mit großen, bunten Frie­densbildern bemalt und aus blühenden Pflanzen wurde ein Friedenszeichen vor das Pförtnerhäuschen gepflanzt.

Hansjörg Ostermayer, professioneller Märchenerzähler aus Tübingen beein­druckte die Blockierenden mit Ge­schichten und Liedern der Völker, in deren Lebensraum Atombomben gete­stet werden/wurden. Mit zum Teil was­serunlöslichen Radioaktivitätszeichen legten wir im Anschluss eine Spur zwi­schen dem Fluggelände und dem Kern­waffendepot, um den Zusammenhang zwischen in der BRD gelagerten US-Atombomben und der nuklearen Teil­habe der Bundeswehr zu symbolisieren. Während des Zuges und dem Drucken der Radioaktivitätszeichen staute sich der Verkehr auf der B 259, die einen Teil des Weges zum US-Depot aus­machte, kilometerlang. Die Polizei musste die Bundesstraße einseitig sper­ren und überließ uns eine Fahrbahn als "Druckunterlage" für die Radioaktivi­tätszeichen. Vor dem Tor des Atomwaf­fenlagers angelangt, wurde sein Zaun mit vielen Transparenten zugehängt. Während eines Friedensfestes, wurde die einzige Einfahrt des Lagers mit Kette und Vorhängeschloss verschlossen und dieser Aufbewahrungsort für den nuklearen Massentod außer Betrieb ge­nommen. im nächsten Tag (Montag 17.06.96) wurde der Schlüssel auf ei­nem roten Samtkissen dem Ortsbürger­meister von Büchel übergeben und so­mit das Depot einer zivilen "Behörde" unterstellt. Wider aller Erwartungen war die Reaktion des Ortsvorstehers positiv. In seiner Region, die von Standort­schließungen des größten Arbeitgebers, der Bundeswehr, bedroht ist, ist eine deutliche Aussprache gegen eine ato­mare Bewaffnung sehr bemerkenswert. Es ist ein Zeichen, daß auch in der Re­gion die Mächtigen mit Widerstand rechnen dürfen.

Vor dem Lagertor wurde unter großem Applaus eine Atombombenattrappe zer­sägt und damit die Abrüstung aller Atomwaffen in der BRD und Europa gefordert. Deutlich wurde die neue Serie von subkritischen Atomwaffentests kri­tisiert und die US-Regierung zu ihrer sofortigen Einstellung aufgefordert. Im Rahmen der Kampagne "Atomwaffen abschaffen" reihte sich die Atomtest­stopp-Kampagne in den weltweit auf­brechenden Protest an dieser Versuchs­reihe ein. Rund um das Wochenende fanden Aktionen in den Niederlanden, Großbritannien und den USA gegen die subkritischen Tests statt.

Diese Testfolge ist ein Symptom für die Schwäche des sich in der Krise be­findlichen Atomteststoppvertrags, der bislang nach Meinung der Atomwaf­fenmächte und ihrer Verbündeter (auch der Bundesrepublik) nicht als Instru­ment für die nukleare Abrüstung dienen soll. In Redebeiträgen von Martin Kalinowski und Wolfgang Sternstein wur­den Ausblicke auf die weitere Arbeit gegen die nukleare Bewaffnung aufge­zeigt. Unter anderem wurde zur sech­sten Entzäunungsaktion des US-EU­COMs in Stuttgart am 1. September in Stuttgart aufgerufen. In der Abschlußssrunde zeigte sich selbst der Einsatzleiter der Polizei angenehm überrascht von dieser Aktion. Für ihn sei es heute ein "Erlebnistag" gewesen. Wir werden voraussichtlich wieder nach Büchel kommen, denn trotz aller schönen Sei­ten dieses Wochenendes stehen dort immer noch Atomwaffen, die uns be­drohen, und die atomare Weiterrüstung schreitet fort. Unsere Aktionen werden gewaltfrei und phantasievoll bleiben, aber wohl auch stärker konfrontieren.

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