Unfriedliche Friedensforscher oder: Wann lernen sie endlich?

von Andreas Buro
Hintergrund
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Es ist kaum zu fassen! Seit 1989 versucht die Leitung des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg, die bei ihm arbeitende wissenschaftliche Referentin und renommierte Frie­densforscherin Dr. Hanne-Margret Birckenbach aus dem Institut zu kündigen. Die angerufenen Arfbeitsgerichte kommen zu dem Urteil, das Arbeitsverhältnis von Hanne Birckenbach sei unbefristet und weisen die Kündigungen - mittlerweile drei an der Zahl - zurück.

Doch der Direktor und sein Stellvertre­ter - Prof. Egon Bahr und Dr. Dieter Lutz - werden nicht müde in dem Ver­such, mit immer neuen Maßnahmen ge­gen die Friedensforscherin vorzugehen. Ungerührt von den Gerichtsurteilen und den noch schwebenden Berufungsver­fahren des Instituts läßt die Leitung über eine Sekretärin Frau Birckenbach aus­richten, sie habe keinen Arbeitsplatz mehr am IFSH und möge nach Hause gehen. Die Gehaltszahlungen werden von heute auf morgen ohne Ankündi­gung eingestellt.

Der Vorgang, im Milieu der Friedens­forschung spielend, erregt öffentliche Aufmerksamkeit. In Zeitungen wird be­richtet. Selbst Der Spiegel widmet dem Konflikt eine Seite. Die Arbeitsgemein­schaft für Friedens- und Konfliktfor­schung erklärt am 15.2.92: "... In der Konfliktforschung sind wir uns einig, daß die andauernde Bereitschaft zur Kommunikation und zur Verständigung die grundlegende Voraussetzung für eine konstruktive Konfliktregelung ist. Diese Handlungsmaxime gilt insbeson­dere bei asymmetrischen Konflikten für die überlegene Seite. Deshalb erwarten wir, daß die Leitung des IFSH eine ver­ständigungsorientierte Lösung sucht und entsprechende Angebote von dritter Seite ernsthaft aufgreift. Dies heißt fer­ner, daß die Institutsleitung die bisheri­gen Kündigungsschutz-Urteile respek­tiert und das laufende Rechtsverfahren abbricht." Dazu passt die Äußerung von Egon Bahr wie die Faust aufs Auge: "Es ist eine Illusion, daß Frieden hergestellt werden kann, wenn alle Beteiligten nur lange genug miteinander reden" (Spiegel 16/92). Die beiden Sicher­heitstheoretiker Bahr und Lutz folgen stattdessen strategischen Mustern des verflossenen Abschreckungssystems, indem sie den Konflikt eskalieren, wohl erwartend, daß die schwächere Seite materiell oder psychisch über kurz oder lang ihrem Druck nicht würde stand­halten können. Feine Auffassungen vom Rechtsstaat!

Warum aber das ganze? Offiziell liegen den Kündigungen dringende betriebli­che Erfordernisse zugrunde, man wolle nämlich, so der Institutsrat am 20. 9. 89 zukünftig Osteuropa und die So­wjetunion in der Institutsarbeit als Schwerpunkt bearbeiten . Dafür würde die Birckenbach-Stelle benötigt. Die Stelleninhaberin habe jedoch dafür keine Qualifikationen anzubieten. Aus sozialen oder Anciennitätsgründen könne keinem anderen der durchweg männlichen Referenten und wissen­schaftlichen Mitarbeiter des Instituts gekündigt werden. Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Der Institutrat beschließt einen neuen Forschungsschwerpunkt und feuert da­für seine einzige unbefristet beschäftigte wissenschaftliche Referentin. Pikanter­weise wird für den angeblich hochspe­zialiserten neuen Forschungsbereich ein Mitarbeiter eingestellt, ". . . der sich seit einigen Monaten u.a. mit dem Schwer­punkt Osteuropa beschäftigt hat . . ." (Institutsrat v. 22. 3. 1990). Der neue Mitarbeiter muß wirklich hochbegabt sein, wenn er in einigen Monaten zum Spezialisten heranreifen konnte. Warum hätte Hanne Birckenbach, die viel ein­schlägige Erfahrungen aufzuweisen hat, dies nicht können sollen? Inzwischen sollen vor dem Landesarbeitsgericht in Hamburg Gutachter hierzu gehört wer­den.

Nach all den sonderbaren Kündigungs- und bei Gericht vorgetragenen Argu­menten fragt man sich nach den wirkli­chen Gründen des Anti-Birckenbach-Kampfes der Institutsleitung. Man­gelnde Qualifikaton in ihrer Tätigkeit ist der Forscherin nie vorgeworfen worden und wäre auch angesichts ihrer vielseiti­gen wissenschaftlichen Arbeiten absurd. Absurd wäre auch die Annahme, daß ihr eigentiches Tätigkeistsfeld, nämlich die sozial-psychologisch orientierte For­schung über innergesellaschftliche und internationale Konflikte in der gegen­wärtigen Situation von geringer Bedeu­tung sei. Das Gegenteil ist der Fall. Mit dem verstärkten Aufkommen von Rechtsradikalismus und Ausländer­feindlichkeit und angesichts der schwe­ren psychischen Beschädigungen im Gefolge der deutschen Vereinigung spielen bewusste und unterbewusste Pro­zesse eine enorme Rolle. Dies gilt auch für die nationalistischen Exzesse in Ost- und Südosteuropa, die damit verbun­denen Identitätskrisen und ihre Eskala­tion zu Bürger- und zwischenstaatlichen Kriegen. Der vom IFSH angestrebte neue Schwerpunkt hätte von einer sol­chen Forschungsorientierung nur Nut­zen ziehen können.

Meine Vermutung über die wirklichen Kündigungsgründe geht in eine ganz andere Richtung. Hanne Birckenbach zieht ihre Motiva­tion zu wissen­schaftli­cher Arbeit nicht zuletzt auch aus ihrem Engage­ment in der Friedensbewegung, als deren Mit­trägerin sie sich immer ge­fühlt hat. Pazifistische und anti-militari­stische Denkansätze sind für sie von großer Bedeutung. Das ist nicht selbst­verständlich der Boden auf dem ein großer Teil der westdeutschen Friedens­forschung angesiedelt ist. Hier wird vielfach über Strategien der Rüst­ungskontrolle und Modelle der Systeme kollektiver Sicherheit nach­gedacht, die trotz aller Ab­rüstungs­beteuerungen in der Vergan­genheit und - schlimm zu sa­gen - auch in der Zukunft die Begleit­musik zur ständigen weiteren qualita­tiven Aufrüstung waren und sind. Ge­rade das IFSH hat sich schon unter der Leitung des Vorgängers von Bahr, dem Grafen Baudissin, unter verschiedenen Formeln der Rüstungskontrolle und Gleich­gewichtspolitik verschrieben, war aber noch liberal genug, andere Ansätze zu tolerieren. Die Friedensbewegung hat sich dagegen in ihren parteiunabhängi­gen Teilen für Entmilitarisierung in auch unilateralen Schritten eingesetzt. Hanne Birckenbach gehört dieser Rich­tung in ihrem Denken an. Unter dem Parteipolitiker Bahr will man davon nun nichts mehr hören. Ich kann hier die Problematik der sehr unterschiedlichen Ansätze nicht weiter entfalten, will aber doch auf eine weitere Dimension hin­weisen. Alle Volksparteien, insbeson­dere auch die SPD, haben stets ein pre­käres, oftmals sogar ein sehr feindliches Verhältnis zu den sozialen Bewegungen, so auch zur Friedensbewegung gehabt. Der Grund dafür ist offensichtlich, stel­len doch diese Bewegungen oft genug die Aussagen und Strategien der Par­teien in Frage und versuchen die An­hänger die Parteien unter oppositionel­len Vorzeichen zu mobilisieren. Für manch einen Politiker ist dies schwer zu verkraften. Die Diffamierungskampagne der SPD in den 60er Jahren und unter Schmidt Ende der 70er Jahre gegen die Friedensbewegung läßt dies klar erken­nen. Andere Politikerinnen der Parteien haben längst begriffen, daß die Arbeit der sozialen Bewegungen zu gesell­schaftlichen Lernprozessen führt, die im Sinne der Fortentwicklung von Demo­kratie unabdingbar sind. Das IFSH als sozialdemokratischer Tendenzbetrieb steht selbstverständlich mitten in dieser Problematik. Am Fall Hanne Bircken­bach wird deutlich, daß man dort sein eigenes politisch-soziales Umfeld nicht begriffen hat.

Wie könnte man sonst die ständigen Bemühungen der SPD, das Gespräch und womöglich die Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen zu ermögli­chen, durch den Rausschmiss der enga­gierten Friedensforscherin konterkarie­ren! . . . und das im Zeitalter der Frau­engleichstellung!

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